22.3.2016 – Kantabel: Geburtstagskonzert für Aribert Reimann

Immer schön, wenn die Berliner Opernorchester mal aus dem Graben heraufkraxeln und oben in ganzer Pracht zu hören sind – wie das Orchester der Deutschen Oper am Dienstagabend im Sinfoniekonzert zum 80. Geburtstag von Aribert Reimann. Ein eher informelles Festkonzert, was ja auch ganz sympathisch ist, kein Gedränge, keine Pompösitäten. Das eigentliche Fest wird 2017 stattfinden, wenn Reimanns neues Werk an der Deutschen Oper aus der Taufe gehoben wird, wie der Intendant Dietmar Schwarz bei einer kleinen, improvisiert wirkenden Ansprache verkündet (die der betagte, aber erfreulich agil wirkende Jubilar auf der Bühne stehend anzuhören hat).

Das Orchester wird dann wieder im Graben sitzen, denn Reimann komponiert zwar modern, aber ohne neumodische Faxen. Vier Reimann-Opern hat die Deutsche Oper seit 1970 bereits uraufgeführt, vor dem Konzert bedauert man, dass nicht eins der Stücke auf die seit Jahren reimannlose Bühne zurückkehrt. Aber auch in den hier zu hörenden Stücken entfaltet sich der Zauber, den Wolfgang Rihm in seiner Laudatio als Kantabilität und Ökonomie beschreibt: Reimann sei der beste Kenner der menschlichen Stimme, von dem alle anderen Komponisten lernten, er schreibe für Menschen, eine Epiphanie des menschlichen Singens sei etwa Melusine. Zu dieser Oper nach Text von Yvan Goll hat Reimann zwei a-cappella-Parerga verfasst, die die Sopranistin Julia Giebel umwerfend interpretiert: reiner Gesang ohne Pusten, Prusten, Husten oder gar elektronische Verfremdung und Zerhackstücken des Textes (Reimann hat die Begegnung mit Stockhausens Gesang der Jünglinge 1956 in Darmstadt wohl eher abgeschreckt), dafür waghalsige Sprünge, ja sogar – horribile dictu – Koloraturen! Am fünftausendsten Abend unserer Liebe bin ich noch immer so schüchtern wie einst, fünftausend Abende lang hätte man zuhören mögen; nur dem Hörer in Reihe 11 hätte man irgendwann das vibrierende Handy entrissen und in den tiefsten Wassern versenkt.

Grandios und ungestört die Drei Lieder nach Gedichten von Edgar Allan Poe, die die Sopranistin Laura Aikin singt: im Sonnet – Silence von solistischen Instrumenten begleitet (jedes eine Stimme, wie Rihm beschreibt), nur die Harfen zu zweit; im zentralen Stück Dream-Land schwebt und springt Aikins farbenreiche Stimme mit ihrer vielgerühmt weiten Tessitura über eindrucksvollen Clustern, die als brummeligstes Brummen beginnen wie La Valse oder Schnittkes Dritte und dann in hypersensiblen Metamorphosen changieren und interagieren. Das Orchester unter Donald Runnicles macht das großartig. Im dritten Stück To- dann nur Horn, Streichquartett und eine Posaune, die die Stimme schließlich ins Schweigen geleitet.

Auf einen Sprung kommt auch Daniel Barenboim vorbei, der bei den Staatsopern-Festtagen gerade zwischen Wiener Philharmonikern, Jonas Kaufmann, Parsifal und Glucks Orfeo herumhetzt und trotzdem niemals gestresst wirkt: Mögen (und müssen) andere auch mehr üben als er, so pusht er mit Genie und Lebensfreude jede Party. Reimannns vierminütiges Klavierstück La Danse Interrompue klingt tadellos, die Finger springen wie die Sopranstimmen; charmant auch, wie sich im Anschluss Pianist und Komponist gegenseitig applaudieren. Barenboim bekennt noch, Reimann etwas schuldig zu sein und gelobt, alles zu tun, um auch einmal eine Reimann-Oper zu dirigieren, dann eilt er hinfort. (Der Verdacht, dass er in der Pause von der Staatsoper herübergeeilt sei und jetzt gleich den 3. Akt von Parsifal leiten müsse, bestätigt sich nicht, bei den Festtagen spielt heute Abend Yo-Yo Ma.)

Am Anfang des Abends stand auf Wunsch von Reimann die 4. Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius, die Sinfonie der Komponisten, wie Rihm verrät: kantabel und ökonomisch, als wäre sie von Reimann. Den Konzertgänger springt wie stets ihre Düsternis an, das Thema führt, obwohl es aufwärts geht, gefühlt steil abwärts, zumindest am Anfang. Hat gelohnt, dass das Orchester sich aus dem Graben hochbegibt. Jetzt geht’s wieder runter. Und Aribert Reimann sitzt wahrscheinlich längst wieder an der Arbeit.

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