Traumgärtnernd

RSB, Vladimir Jurowski und Seong-Jin Cho spielen Schumann, Firssowa, Schostakowitsch

Nanu, was macht denn der Schumann hier? Wie der Pontius ins Credo scheint das Klavierkonzert in dieses Programm geraten. Freilich, die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Auftritt mit dem jungen Pianisten Seong-Jin Cho hat man offensichtlich beim Berliner Schopf gepackt. Cho gewann 2015 als 21jähriger den Chopinwettbewerb, nahm seither mindestens sechs Alben auf, scheint in Korea irre populär (die Philharmonie ist voll von jungen Landsleuten, die alle wie Musikstudierende wirken), und er lebt überdies hier in dem mit Seoul verglichen vermutlich arg beschaulichen Spreekaff. Hell ist sein Klang bei Schumann, ausgesprochen schön, sehr friedlich. Das kann man hochpoetisch finden oder ein wenig spannungsarm. Allzu schnell ist allerdings mancher Landsmensch meinerseits noch mit dem schaurigen Urteil bei der Hand, einem asiatischen Pianisten (so direkt spricht man das meist nicht aus, aber meint es doch) fehle die Tiefe für deutsche Romantik. Was für ein anmaßender Unfug. Und ein Fall, um sich besser mal zwickizwacki bei den eigenen Ohren zu packen und dem jungen, liebevoll klanggärtnernden Cho weiter zuzuhören, wohin die pianistische Reise des Hochbegabten gehen wird.

„Traum“ hat man beim Rundfunk-Sinfonieorchester übers Konzert geschrieben, um irgendwie eine Klammer zu schaffen. Passt bei Schumann immer, auch wenn Cho als Zugabe zum Glück nicht die Träumerei spielt, sondern das zweite Fantasiestück in As-Dur. Klarer ist der Zusammenhang zwischen den beiden anderen Werken, die zu Beginn und in der zweiten Hälfte des Konzerts stehen. Jelena Firssowas 2006 entstandener Garten der Träume (ein Opus 111 übrigens wie Schumanns Fantasiestücke und bekanntlich noch irgendein anderes Werk) nennt sich sogar ausdrücklich Hommage an Schostakowitsch. Wie die anderen Stücke der diesjährigen Komponistin-in-residence des RSB, die schon zu hören waren, ist es sehr atmosphärisch und erlaubt dem Hörer, direkt mitzuschweifen im herumschweifenden Klang. Da tauchen – wie bei einer Schostakowitsch-Hommage recht naheliegend – immerfort D-Es-C-H-Motive auf, aber zum Glück nicht allzu plakativ, hier und da versteckt.

Während man beim Schumannkonzert hier und da das Gefühl hat, der Dirigent Vladimir Jurowski wolle seinem Orchester einen kleinen Stupser versetzen, um den glatten Klang ein wenig anzusengen oder aufzurauen, ist die Firssowa-Aufführung ebenso aus einem so genau gearbeiteten wie herrlich tönenden Soundguss wie der Vortrag der 15. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, seiner letzten, nach mehreren Vokalsinfonien wieder rein orchestral: beeindruckend, ja erschütternd. Wenn die 15 auch ein Traum ist, dann nicht mal unbedingt ein Albtraum, sondern eher einer jener total konfusen, alles vermengenden Träume, von denen erwacht man den ganzen Tag viel verdatterter und kompletter von der Rolle ist, als man nach einem ordentlich eingängigen Nachtmahr wäre. Rossini-Fanfaren treffen hier auf wagnersche Todesverkündigung, die sich anschließend in einen beschwingten Streichertanz hereinmogelt. Und der Klang wandert immerzu gruppen- und einzelstimmenweise „herauf, herab und quer und krumm“ (das ist aus Faust, haben Sie natürlich erkannt) durchs riesige Orchester. Das gibt den Musikerinnen und Musikern viel Gelegenheit zum Brillieren, aber ohne Selbstzweck, nur zum finalen Endzweck. Gelassene, mitunter heitere Aporie. Und es wirft einen als Hörer am Schluss doch ganz aus der Bahn, wie das alles endet in einem einzigen Ticken und Tacken und Klippern und Klappern. Ein Knochen- und Uhrengarten der wirren, beklemmenden und trotzdem vollkommen offenen, freien Träume. Irgendwie schließt sich damit dann doch der Kreis zwischen dieser alles abschließenden Musik und Chos Schumann, der ganz Beginn scheint.

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