Das gäbe es bei Bruckner nicht: Einlass für Zuspätkommende! Aber nach der Pause profitiert der Konzertgänger selbst davon, die Schlange in der urigen (und unschlagbar preisgünstigen) Cafeteria des Museums war lang, der Sohnemann durstig.
Jeden letzten Donnerstag im Monat gibt es Jazz im MiM, dann lauschen und wundern sich die 1001 Cembali, Clavecins und Clavichorde, Krummhörner und Renaissancelauten über die wunderlichen Klänge, die da aus dem Curt-Sachs-Saal herauswehen. Oder auch nicht, denn die Instrumente in diesem zauberhaften Museum haben gewiss schon alles erlebt. Und die Alpensinfonie, die derzeit Abend für Abend aus der benachbarten Philharmonie herüberschwallt, ist wahrscheinlich eine härtere Prüfung für diese feinen Antiquitäten.
Den Straussrausch souverän ignorierend, wagt der Konzertgänger sich auf fremdes Terrain: ins Jazzkonzert, wo die Musiker keine schwarzen Hosen tragen. Dass es beim Jazz Zwischenapplaus im Stück gibt, davon hat er schon gehört. Der Jazzfreund applaudiert auch anders als der Klassikfreund, mehr mit den Handballen. Er wippt mehr mit und schläft seltener ein. Und der Orchesterleiter Hannes Zerbe, der zwischen E-Piano und Leader-Notenpult hin und her eilt, weist ihn darauf hin, dass man in einem Museum leider nicht rauchen darf.
Rein musikalisch aber findet der Konzertgänger genug Tentakel, die er packen kann, um sich mitziehen zu lassen. Nicht erst, als E-Gitarre, Kontrabass und Piano ihre Version des Scherzos aus Bruckners Achter anstimmen. Mit den wechselnden solistischen Ausflügen hört er diese Musik als ein demokratisiertes Concerto grosso. Spannende Instrument-Erkundungen, aus denen Luciano Berio in seinen Sequenze jeweils fünfzehnminütige Geduldsproben gemacht hätte.
Die Musiker des Hannes Zerbe Jazz Orchester, in dem heute Abend weniger Frauen mitspielen als bei den Wiener Philharmonikern (nämlich keine einzige), erweisen sich allesamt als hochkarätige Virtuosen. Am beeindruckendsten für den Konzertgänger ist die lange Kadenz der Bassklarinette (Gebhard Ullmann), dieses mysteriösen Instruments, das man in der Klassik meist nur als dunklen Farbvaleur hört, etwa im Kontrast zur Celesta im Nussknacker. Atemberaubend, wie expressiv und filigran dieses sperrige Ding klingen kann! Umwerfend auch der Dialog zwischen Piano und Tuba zu Beginn oder das famose Duell von Klarinette und Saxophon am Ende des Abends. Aber im Grunde ist jedes Solo der Höhepunkt des Abends.
Nur wenn alle Musiker auf der rappelvollen Bühne zusammen spielen, etwa in Hanns Eislers Über den Selbstmord, droht der Schallpegel den Saal zu sprengen. Aber dem Sohnemann des Konzertgängers passt’s. Die Frage, wie viele Musiker eigentlich dabei waren, kann er wie aus der Pistole geschossen beantworten: Fünfzehn, davon haben fünf keine Brille. Jazz sei seine Lieblingsmusik, sagt er beim Heimradeln.
Konzerte von Alter Musik bis Jazz im Musikinstrumenten-Museum
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