Wollend: Patricia Kopatchinskaja & Iván Fischer mit Sibelius & Bartók im Konzerthaus

50dddab938844c06e7b894ab0874dfb9Forderung: Jede Geigenschülerin im Laufe ihres Geigenschülerindaseins mindestens einmal zu Patricia Kopatchinskaja schicken. Nicht weil sie da die sauberste Bogenführung sähe oder hören würde, wie makellose Intonation geht oder süffiges Vibrato oder historisch korrektes Stilbewusstsein. Sondern weil sie da die Frage vor den Latz geknallt kriegte: Was ist dein Stil? Was willst du von der Musik?

Mit Jean Sibelius‘ Violinkonzert d-Moll op. 47 verabschiedet sich PatKop von der hochoffiziösen Würde als Staatsviolinistin-in-residencia des Konzerthauses. Da weht einen teils ein eisiger Wind an, so ungewohnt klingt das alles. Wie einen Faden aus Kristall hört man, und zwar an der Grenze zum Nichthörbaren, das einfache erste Thema. So fern und gefährdet scheint das noch nie geklungen zu haben. Erster Satz ohne Sahne. Alles auf die Gefahr der Verhunzung hin, und ohne subtil.  Wenn jemand nicht die angeblich einzig gültige Version spielt, heißt es, dass der Komponist sich im Grab rumdreht, sagt Kopatchinskaja im lesenswerten Tagesspiegel-Interview: Hoffentlich dreht er sich mal rum! Voller Ton dann, aber ohne Schmalz im zweiten Satz; und im Finale schreit die Geigerin vor Glück auf, als das Orchester ihr ein Tutti-Forte in den Nacken bläst.

Was willst du von der Musik?

Emotionale Wucht, keinen gefühligen Lärm. Iván Fischer ist der perfekte Partner als expressiver Leise-Dirigent. Das Konzerthausorchester zieht voll mit, und wie Kopatchinskaja sich ihrerseits dem Orchester zuwendet, nennt man wohl gern musikantisch: spontan, aufmerksam, lustvoll. Mehrmals dreht sie sich im Kreis, um direkt ins und mit dem Orchester zu spielen, gleich anfangs vis-à-vis der Pauke, dann dem Klarinettisten. Gemeinsam mit Ralf Forster spielt sie dann auch die Zugabe, einen Satz aus der Suite für Violine, Klarinette, Klavier von Darius Milhaud.

Sympathisch ist das, und mehr: respektvoll, die Zugabe gemeinsam mit einem Orchestermusiker zu spielen. Bei den Berliner Philharmonikern hat sie das mit Daniel Stabrawa gemacht.

Ein Phänomen, wie das zweifellos angegraute, angeblich eingestaubte Abo-Publikum mitzieht. So hat es diesen Sibelius sicher noch nie gehört, und es hat ihn oft gehört. Trotz spürbarer Verblüffung (und obwohl die alte Dame neben dem Konzertgänger nur wenig klatscht, weil, wie sie erklärt, aus medizinischen Gründen nicht viele Kalorien verbrauchen dürfe) mächtige Begeisterung. Die Abonnenten sind gar nicht so. Wenn das Publikum tatsächlich eingestaubt sein sollte, so lässt es sich den Staub gern von den Köpfen pusten. Unter mancher Dauerwelle schlummert ein Davidsbündler.

Offene Arme und Ohren also für den nächsten hochoffiziösen Residenzmusicus, der sicher nicht weniger polarisiert: Cameron Carpenter unter dem Motto Make Orgel schrill again.

Vor dem Violinkonzert Sibelius‘ Valse triste, mit hellem Grundklang (Kontrabässe hinter dem Orchester, nicht seitlich); die Aufschwünge federnd, nicht sentimental breit. Schade, dass ein Nacheinlass den Beginn versaut und ein Huster den Schluss.

6a00d83451c29169e2014e87f13ad3970d-700wiIn größtmöglichem Kontrast zur Valse triste endet das Konzert mit Béla Bartóks vollständiger Orchesterpantomime Der wunderbare Mandarin. Ein gut koordiniertes wüstes Spektakel, in dem Forsters Klarinette erneut glänzt. Knallt und strahlt und keucht, dieses Stück. Dass man (wie schon bei Fischers Aufführung des Holzgeschnitzten Prinzen in einem der legendären „Überraschungskonzerte“) die Handlung der Pantomime auf Übertiteln mitlesen kann, reduziert den Leerlauf dieser, wie man ja immer spürt, Bühnenmusik. Muss man sich nicht vorher die idiotische Handlung einprägen. Schön, wenn man in den Posaunenglissandi die komischen Liebesgebärden des alten Kavaliers erkennt. Nur dem falschen Dativ nervt (wie sie sich ihm entledigen). Und die öde Provokation des Sujets wird auch in der besten Aufführung nicht knackiger. Umso schöner summt der Cantus Domus seine verklärenden Schlussvokalisen von den Seitenrängen aus.

Letzte Gelegenheit, PatKop als Residenzviolinistin zu erleben, am Sonntag Nachmittag. Geigenschülerinnen mitnehmen!

Nachtrag: Allerletzte Gelegenheit am 6. Juli mit Kurtágs Kafka-Fragmenten!

Zum Konzert  /  Mehr über den Autor  /  Zum Anfang des Blogs

 

4 Gedanken zu „Wollend: Patricia Kopatchinskaja & Iván Fischer mit Sibelius & Bartók im Konzerthaus

  1. Ich mag Patricia Kopatchinskaja, habe sie auch in Weimar erlebt; aber ich halte es bei allen ihren Einspielungen mit dem Amazon-Rezension gemihaus, der zu Tschaikowski schrieb:

    „Jedoch, wem dies nach allzuviel Tchaikovsky Seeligkeit, als mal was andres als üblich gefällt, der kommt hier voll auf seine emusic-thrills.
    Allerdings nervt auf Dauer doch eine spürbar offensive Originalitätssüchtigkeit, es anders als viele andre zu machen. (Ein Brendel würde anregen, besser ein neues Konzert zu komponieren).
    Jedenfalls genoss ich danach die ebenso flinke geigerische Noblesse des Heifetz, Oistrachs seriöse und klangschöne Vehemenz und Kremers forschende fantasievoll-differenzierte Berliner Einspielung.“

    Alles hier: https://www.amazon.de/Tchaikovsky-Violin-Concerto-Stravinsky-Noces/dp/B0172IW1OA/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1498204690&sr=8-3&keywords=Patricia+Kopatchinskaja

    • Da sind wir vielleicht wieder beim Thema Live-Künstler. Ich kennen PK nicht von Aufnahmen, nur aus Konzerten. Die leben davon, es nicht nur anders zu machen „als üblich“, sondern auch anders als sie selbst es beim letzten Mal gemacht hat. Das ist unglaublich feurig und lebendig. Ob sich diese (sehr durchdachte) Spontaneität auf Tonträgern konservieren lässt? (Ist keine rhetorische Frage, vielleicht hör ich mir im Sommer mal ihre Aufnahmen an.)
      Im Zweifel würde ich immer sagen, nicht PK oder Kremer, sondern PK und Kremer.

Schreibe einen Kommentar