Unwillens frei: FUCK MARRY KILL

Florence, oder: Wir backen uns eine Frau

Die Erkenntnis, dass das Frauenbild im Großteil des Opernrepertoires unter aller Sau ist, rennt offene Türen ein. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass das Publikum durch diese offenen Türen auch hindurchginge. Vielleicht ist sogar alles noch schlimmer geworden, denn selbst die alte Opern-Weisheit It’s not over till the fat lady sings ist obsolet geworden: Heutzutage müssen die Sentas, Carmens und Desdemonas auch noch jung und schlank sein, um schön zu lieben und schön zu sterben. Aller Grund also, dass ein freies Opernprojekt im Prenzlauer Berg sich mit solchen Weiblichkeitsvorstellungen auseinandersetzt: unter dem prägnanten Titel FUCK MARRY KILL, nach dem gängigen Teenager-Spiel, und zugleich sowas wie das „Kinder Küche Kirche“ des Musiktheaters. Die Krone der Schöpfung nennt sich der erste von vier geplanten Teilen.

Fünf Sängerinnen sind dabei, die bereits Mélisandes und Dorabellas gesungen haben (Marysa Abbas), FroSch-Ammen und Frickas (Andrea Baker), Contessa Almavivas und Mimìs (Milena Knauß), Micaelas und Zerlinas (Simone Riksman), Papagenas und Zerbinettas (Anne Martha Schuitemaker) – kurz, die können singen, und das hört man auch an diesem Abend. Hier aber sind diese Paraderollen auf einmal unwillens; und momentweise frei.

Die Aufführung findet in den unterirdischen Wasserspeichern im Herzen des Prenzlberg statt, an einem Ort also, der mit den berühmt-berüchtigten „Müttern vom Kollwitzplatz“ für ein weiteres Frauenklischee steht … Die Atmosphäre dieser Wasserspeicher ist aufgeladen, nackte Mauern wie in einem uralten, entputzten Sakralraum, kalt und dunkel, verborgen inmitten des Hearts of Hipness. Vor der eigentlichen Aufführung im Kleinen Wasserspeicher gibt es im großen Speicher nebenan eine Soundinstallation der Komponistin Ruth Wiesenfeld. Ringförmig sind in diesem Gewölbe die Gänge angeordnet, man wähnt sich in sehr ordentlichen danteschen Höllenkreisen. Verliese der Frauenstimmen, die wir hier quasi aus den Gemäuern hören. Ein vokales Schwappen, als hätten sich die stillen Wässer von einst hier drin in Bewegung gesetzt.

Der sehr lange Nachhall im kleinen Wasserspeicher verfremdet dann bei der Aufführung im kleinen Speicher mit scheinbar ins Leere führenden Treppen die Arienbruchstücke der Sängerinnen. Körper, steht mit Kreide auf die Mauer geschrieben, und mit einem einsamen (natürlich!) amour beginnt’s, das Andrea Baker ins Gewölbe hinaufsingt. Später hören wir Erda im Pingpong zweier Stimmen zwischen den Säulen, und im Schnelldurchlauf krepieren die Frauen: erstickt wie Desdemona oder den eigenen Begräbnisgesang anstimmend wie Dido, When I am laid in earth, etc pp. „In der Oper sterben Männer als Helden und Frauen als Opfer“, heißt es; und in der Tat, die Ausnahmen, die einem einfallen mögen, bestätigen ja eher die Regel.

Als der einschlägige Salome-Ruf erschallt: Man töte dieses Weib!, da beginnen die Sängerinnen mit des Propheten Gummikopf Fußball zu spielen. Da kippt der Abend ein bisschen in das, was man wie früher Schultheater nennen würde, wenn es nicht der Ernsthaftigkeit von Schultheateraufführungen Unrecht täte. Ein paar solcher Momente gibt es; aber da der Abend samt wandelndem Publikum stets in Bewegung und Fluss bleibt, gehen sie auch schnell vorüber. Das ist der dynamischen, geschickt lenkenden Einrichtung der Regisseurin Teresa Reiber zu verdanken. Und den reizvollen stimmlichen Momenten. Und so einigen Denk- und Empörungs-Anstößen: Man fasst es kaum, wenn etwa die dunkelhäutige Mezzosopranistin Baker berichtet, dass Opernhäuser von ihr verlangten, sie solle sich für die Rolle der Amneris weiß schminken – white-facing als Arbeitsvoraussetzung, im 21. Jahrhundert!

Hochinteressant auch, wenn Baker von den unbekannten Opern von Scott Joplin erzählt, oder einige sehr schöne Verse der hierzulande fast völlig unbekannten Shirley Graham Du Bois vorsingt: somewhere near that dream … Davon würde man gern mehr hören.

Akustisch am ansprechendsten ist es ansonsten in dieser trockengelegten Wasserkathedrale, wenn alle fünf Stimmen (in Klangskulpturen von Ruth Wiesenfeld) zusammenkommen, erst eng im Kreis, dann im Gewölbe sich verteilend. Wie eine postapokalyptische Polyphonie wirkt das. Die referierenden Teile aber sind, so interessant vieles auch ist, dramaturgisch und akustisch schwieriger. Manches franst aus, so dass der Abend gelegentlich im gesammelten Brainstorming steckenbleibt, ohne dass man die Stringenz des Ganzen so richtig am Schlafittchen zu packen kriegte. Aber wenn am Ende eines Abends Publikums-Ohren und Geistestaschen mit losen Anregungen vollgestopft sind, ist das nicht wenig.

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