Unruhevoll: Robin Ticciati & DSO spielen Gabrieli, Purcell, Adès, Mahler

Copy_of_Lute_Player_by_Frans_Hals_-_SK-A-134Rein äußerlich wirkt Robin Ticciati wie ein Student, der einem in der U-Bahn mit seiner Gitarre ein bissl auf den Senkel geht, aber dabei grundsympathisch ist auf seine wuschlig-schüchterne Art. Als Dirigent in der Philharmonie jedoch, noch dazu baldiger Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, weiß er offenhörlich, was er tut. Beeindruckend hoher Klangsinn. Nur die ganz großen dramaturgischen Bögen in den ganz großen Werken scheinen manchmal brüchig. Aber nicht der Spannungsbogen des Konzerts: ein ausgefinkeltes, subtil zusammengestelltes Programm ist das.

Schluss- und Höhepunkt ist so ein ganz großes Werk, Gustav Mahlers 4. Sinfonie G-Dur. Ticciati geht den Kopfsatz langsamer und vor allem ohne die klangliche Härte an, die vor vier Monaten bei Simon Rattle und den Philharmonikern auffiel. Wunderweichwundes Blech hier. Doch die Musik ist darum nicht weniger abgründig: überfallartige Ausbrüche und mehr noch überfallartige Entspannungen. Der Satz ist Bedächtig, aber keinesfalls gemütlich mit seinen Be- und Entschleunigungen. Die schrillen Spitzen im zweiten Satz stechen spitzer denn je. Schimmernde Streicher im Ruhevoll, und die ohnehin schöne Oboe (Viola Wilmsen) klingt gleich doppelt so schön, wenn man bemerkt, dass die Oboistin zu zweit auf dem Podium sitzt. (Alles Gute!)

Im intensiven Übergang zum Finale macht es sich bezahlt, dass Ticciati mit Lautstärke zuvor achtsam haushielt. Die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller steht hinter dem Orchester, was ihrem ausdrucksvollen Gesang eine himmlische Ferne verleiht; obwohl ihre warme, volle, frauliche Stimme eher nach Strauss klingt als nach kindlich heiterem Ausdruck. Textkenntnis war für den Hörer nicht von Nachteil, aber so gehts dem Konzertgänger in Mahlers Vierter fast immer. Herrlich, wie sich der Streicherklang nach dem Keine Musik ist ja nicht auf Erden in menschliche Stimme zu verwandeln scheint. Um zu ersterben. Aber schon zuvor, bei den Schellenschlägen, die wie Peitschenhiebe sind, und dem jammervollen Ochsenblöken in den Bässen, dachte man ja: Was für ein Paradies ist das denn.

Geschmeidig und voller Unruhe.

2e0886eda3a753aa51694d44b03483bfDer Ton der danebengestimmten Totenfiedel im zweiten Satz, der anno dunnemal erschreckend gewesen sein mag, klingt heutzutage immer etwas gemütlich. Eine Art eigene Mahlerfolklore, mit der Mahler nicht rechnen konnte. Gregory Ahss fiedelt das auf wünschenswertem Topniveau, aber der Konzertgänger denkt still in sich hinein: Ein Orchester sollte mal die Kopatchinskaja ans Pult setzen, nur für diese Fiedelei im Ruhevoll — mal hören, was ihr einfiele, um das wieder so unbehaglich und unruhevoll zu machen, wie es mal war.

Mit himmlischen Freuden im ganz wörtlichen Sinn begann das Konzert: Zehn (oder besser gesagt zweimal fünf) Blechbläser lassen hoch oben, über Block K, Giovanni Gabrielis Canzon duodecimi toni ertönen. Ein Hauch von venezianischer Mehrchörigkeit, wenn der Posaunenklang zwischen den Gruppen hin und her schwingt. Danach beginnen in irdischen Gefilden, d.h. auf dem Podium, die Bratschen in Henry Purcells ›In Nomine of six parts‹ und ›In Nomine of seven parts‹ für Streicher: mittig, menschlich, berührend.

Die Holzbläser, als dritte Hauptgruppe des Orchesters, machen sich dann in Thomas Adès‘ Violinkonzert (2005) gleich bemerkbar: Während der Solist Wei Lu mit wellenartigen Bewegungen einsetzt, setzt das Holz, voran die Flöten, schrille Akzente, so dass erst keine Minimalismus-Gemütlichkeit aufkommt. Im zentralen zweiten Satz stapfen Pauken, Trommel, Tuba mit schweren Schritten im Nacken des Solisten, der über eine längere Passage mit weiten Abwärtsstrichen davonhechelt. Wei Lu, sonst Konzertmeister des DSO, ist erwartungsgemäß ein technisch hervorragender Solist, der übermäßige Exaltation scheut.

Warum spielen aus dem Orchester besetzte Solisten eigentlich niemals Zugaben?

Ob Adès‘ Komposition gut ist, keine Ahnung. Für sie spricht, dass man sie gern ein zweites Mal anhören würde, um das zu beurteilen.

Auch nach einmaligem Hören sicher: Raffiniertes Programm, wie man es bei Ticciatis Vorgänger nie erlebt hätte. Tugan Sokhiev entfaltet auf ganz andere Weise magischen Klang — nachzuprüfen nächste Woche bei den letzten beiden DSO-Terminen vor der Sommerpause.

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8 Gedanken zu „Unruhevoll: Robin Ticciati & DSO spielen Gabrieli, Purcell, Adès, Mahler

  1. Ich freue mich doch sehr auf Ticciati. Das Violinkonzert von Ades hätte ich gerne gehört. „wie man es bei Ticciatis Vorgänger nie erlebt hätte“ – ja das stimmt schon, da gab es zwar russische Raritäten, aber sonst naja.

    • Allerdings einige Klasse-Raritäten darunter, z.B. diese Johannes-Damascenus-Kantate von Tanejew. Und in dem, was er macht, wirkt Sokhiev auf mich „fertiger“ als Ticciati, bei dem sich glaube ich noch einiges entwickelt. Aber das spricht ja nicht gegen Ticciati, vielleicht im Gegenteil. Ich hab ihn hier zum ersten Mal gehört und freu mich auf mehr.

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