Unhellernd: Cherubinis MÉDÉE an der Staatsoper

Hoppla, die Ex kommt!

Einen Tag, bevor an der Berliner Staatsoper Unter den Linden ein neuer Rosenkavalier in der Regie von André Heller (über dessen literarische Kunst der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler, der Wortgott hab ihn selig, einst schrieb: „Diesen massiven Herausforderungen des Tiefsinns zu genügen, ist schlicht unmöglich“) Premiere feiert, gibt es eine willkommene Wiederbegegnung mit Luigi Cherubinis hörenswerter Médée. Über Andrea Breths etwas dröge Inszenierung fegt der frische, schnittige Wind des Dirigats von Oksana Lyniv. Den Namen sollte man sich merken, wenn man es nicht schon getan hat.

Die aus der Ukraine stammende Lyniv startet gerade groß durch, im Sommer wird sie ihre Stelle als Chefdirigentin der Oper Graz aufgeben, um den Rufen aus aller Welt folgen zu können. Ihr Dirigat der Médée, die bei der Premiere 2018 von Daniel Barenboim geleitet wurde, macht einen vorzüglichen Eindruck, fesselt vom ersten Moment an auf höchstem Energielevel, dabei präzisemangst und knallkonzis, doch ohne Revolutions-Polterei (wie mal bei einer Eroica von Currentzis). Trotzdem klingt es nach Paris 1797, da hatte Cherubinis Oper ihre Uraufführung, im Après-Terreur-Paris; man hört den orchesterrevoluzzen französischen Schwung, aus dem Beethovens Symphonik (neben den Wiener Vorgängern) kam. Hui, wie da plötzlich die Pauke drüberfährt! Die Rolle des Orchesters bei Cherubini ist stark elaboriert, es gibt faszinierende Soli der Flöte und vor allem des Fagotts, alles hat enormen dramatischen Schwung. Drei eindrückliche Moll-Ouvertüren sind dabei, die zum dritten Satz ist eine so dolle Gewittermusik, dass man die Médée gleich in Sabine umbenennen möchte.

Stattdessen hat die Staatsoper Cherubinis Oper für die Wiederaufnahme in Medea umbenannt, sicher um den heiklen Kartenverkauf für das seltene Werk ein wenig anzukurbeln. Da die originale Fassung als Opéra comique, das heißt mit gesprochenen Dialogen, gespielt wird und nicht die nach Cherubinis Tod erstellte italienische durchkomponierte Fassung (Callas!), wäre Médée schon richtiger. Aber zur Präsenz der vielbejubelten Hauptdarstellerin Sonya Yoncheva passt „Medea“ durchaus. Auch Μήδεια wäre okay! Yonchevas feuersbrünstiger Sopran ist in der Vertikalen wie in der Horizontalen allgegenwärtig: ersteres durch Fülle und Präsenz in allen Lagen, zweiteres durch fast durchgehende Anwesenheit der Hauptfigur auf der Bühne. Wenn es etwas zu bemäkeln gäbe, dann vielleicht Defizite bei den leisen Tönen, im Lyrischen; eine Anmerkung, die man auch bei Oksana Lynivs energischem und übrigens sehr sängerfreundlichem Dirigat noch machen könnte.

So wie es, sagte Pelé einmal, in der Musikgeschichte Beethoven und die anderen gäbe, so in der Fußballgeschichte halt Pelé und die anderen (und man könnte ergänzen: im Bereich „Multimediakünstler, Aktionskünstler, Kulturmanager, Autor, Dichter, Poet, Chansonnier, Schauspieler, Zirkusgründer und Opernregisseur“ André Heller und die anderen). Langer Einleitung kurzer Sinn, auf der Médée-Bühne gibt es Yoncheva und die anderen. Schon für sie lohnt der Besuch. Aber auch wenn alle anderen die anderen sind, sind manche doch anderer. Vor allem Marina Prudenskaya in der Rolle der Médée-Vertrauten Néris, die im zweiten Akt mit einer betörenden Arie hervortritt und im Zusammensang mit Yoncheva, was der Höhepunkt des Abends ist. Für sich genommen, singt Prudenskaya sicher noch differenzierter als Yoncheva.

Drum prüfe, wer sich ewig windet

Francesco Demuro ist als Jason ein angemessen tropfiger Grein-Tenor, sehr hübsch. Würde er im Duett des zweiten Aktes mal auf die tiefen Streicher lauschen, würde er nicht mehr so vertrauensselig der Ex die Kinder überlassen. (Ach Herr, so süße Wohltat bleibt nicht ohne Lohn, dankt diese: Ah! seigneur, un bienfait si doux ne sera pas sans récompense.) Er sollte es aber auch deshalb besser wissen, weil er und Médée ja schon lang genug als argonautische Bonnie und Clyde durch die griechische Welt gezogen sind, hier einen jüngeren Bruder zerstückelnd, dort einen fiesen Onkel von dessen eigenen Töchtern kochen lassend usw usf. Was man halt so macht in seinen jungverliebten Jahren. Na, lassen wir das. Slávka Zámečníková als Jasons Neue namens Dircé hat eine schöne Stimme, aber enerviert durch permanentes, immerhin zunehmend erfolgreiches Anschleifen der Töne; ähnlich wie der Chor nach anfangs wüstem Durcheinanderflattern besser zueinander findet. Iain Paterson als Créon wirkt eher brummelig-neutral.

Die Stimmen klingen bei dieser Aufführung – anders als das Orchester – überwiegend nicht nach circa 1800, sondern nach tiefem 19. Jahrhundert. Das mag Stilpedanten grämen, aber tut der dramatischen Wucht keinen Abbruch. Der Zwiespalt passt vielleicht sogar ganz gut zu der Oper mit ihrer irgendwie hochromantischen, sehr wütenden Hauptfigur.

Beim gesprochenen Französisch kommt Erinnerung an Virginia Woolfs Orlando auf, wo ein Dichter namens Greene dauernd von la gloire schwärmt und die Hauptfigur sich wünscht, er spräche es nicht die ganze Zeit LA GLORR aus.

Andrea Breths Inszenierung ist, seien wir ehrlich, eine kunstgewerbliche Schlaftablette. Das Prädikat „brummelig-neutral“ passt auch hier. André Heller hätte es gewiss anders gemacht. Mehr zu Breth in der Besprechung der Premiere.

Wegen Cherubini und des Medea-Mythos, wegen Lyniv und der Staatskapelle, wegen Yoncheva und Prudenskaya schläft man aber keine Sekunde ein. Die Oper ist auch nur halb so lang wie die von Giacomo Meyerbeer, in dessen Grand Opéra-Schatten Cherubini als Musikdramatiker später verschwand. Schöne Gelegenheit zum Vergleichen: Meyerbeer kann man gerade an der Deutschen Oper intensiv begegnen (warum man das sollte, schreibt der Aficionado Thomas Kliche). Cherubini gibt es an der Lindenoper nochmals am 12., 15. und 21. Februar.

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Ein Gedanke zu „Unhellernd: Cherubinis MÉDÉE an der Staatsoper

  1. Danke für die wieder einmal ebenso informative, wie hübsch dekorierte, wie anregende Besprechung!
    Es gibt für die weiteren Aufführungen noch viele Karten – warum eigentlich? Bei einer fünfstündigen Meyerbeer-Oper leuchtet mir das ansatzweise noch ein, obwohl ich es genauso bedauerlich finde (wenngleich es für solche wie mich, die nur wohlfeile Karten erwerben können, natürlich von Vorteil ist).
    – Nun gibt’s für den Cherubini übrigens eine weniger. (Und ich werde einmal versuchen, auf die von Ihnen in der Kritik erwähnten Aspekte zu achten, wiewohl natürlich jede Aufführung verschieden ist; vielleicht wird aus mir Musik-Kretin gar noch so etwas wie ein semi-debiler Dilettant, freilich so oder so immer hübsch im Passiv.)

    Einen Gruß aus dem Witwesk

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