Ultraschall 2: Jack Quartet & Trio Accanto im Heimathafen Neukölln

Hohe Präsenz von Insekten in der neuen Musik: Wespe hieß mal ein Stück von Enno Poppe (der dieses Jahr ausnahmsweise nicht beim Ultraschall-Festival für neue Musik zu hören ist), und Wespen kommen gleich in zwei Titeln der italienischen Komponistin Clara Iannotta vor, deren Werk das JACK Quartet ein ganzes Programm widmet.

Clara Iannottas musikalische Handschrift ist hoch charakteristisch, nicht nur, weil alle gespielten Stücke Streichquartette sind.

Aber innerhalb weniger Jahre vier Streichquartette zu komponieren, dürfte auch schon ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal unter zeitgenössischen Komponist(inn)en sein. Das Faszinierende ist, dass alle Stücke in ihrer kleinteiligen Frickeligkeit eng verwandt scheinen, aufs erste Hören vielleicht sogar ähnlich – und am Ende doch jedes einen ganz eigenen Charakter hat.

Stets aber reibt und quietscht und brummt und knarzt es, auf meist präparierten Instrumenten. Im 2019 komponierten, hier uraufgeführten You crawl over seas of granite sind sie teilweise um mehr als eine Oktave runtergestimmt, da können selbst die vorzüglichen Musiker des JACK Quartets nicht mehr exakt die Tonhöhen kontrollieren; der verschwommene Effekt ist Absicht und führt zu überraschenden Klangerfahrungen. Oberton-Singeffekte ebenfalls. In einem anderen Stück führen eingespielte Sinuswellen zu befremdlichen Tönungen. dead wasps in the jam-jar heißt das. Und wie in Iannottas Ästhetik die Sphären von schwarzer, aber nicht lichtloser Tiefsee und Marmeladenpott mit toter Wespe zueinander finden, ist schon fein. In A failed entertainment hingegen wird der zweite Geiger zum ersten Styroporisten; und obwohl man die Klangfarben des Styropors in der Gegenwartsmusik für restlos ausgelotet hielt, bewährt sich auch das.

Sehr still und nuanciert alles. Manchmal hat es was von einer leicht unbehaglichen Tai Chi-Stunde. Und die Gesänge der Buckelwale kommen einem in den Sinn, aber von Captain Kirk in einer anderen Galaxie über Funk gehört.

Die sympathische Komponistin kommt in, angesichts des meditativ wirkenden Temperaments ihrer Werke, erstaunlicher Rasanz auf die Bühne und stolpert beinah im konzisen Kabelsalat, den sie um die Instrumente gesponnen hat.

Der musikalische Wespenvergleich sei hier gestattet:

Das Trio Accanto im folgenden Konzert ist von so charakteristischem Drei-Klang (Saxophon, Klavier, Schlagzeug wie im Jazz) und derart, teils subtiler, Bewegungsenergie, dass man auf die in der neuen Musik üblichen Bild- und Literaturzitat-Assoziierungen gern verzichtet. Obwohl sich auch hier mitunter Insektologisches anböte, etwa in der transparenten Schwirr-Energie von Yu Kuwabaras In Between. Und in den Exercises 37 + 38 des altersfrischen amerikanischen Avantgardisten Christian Wolff (Sohn des Verlegers Kurt Wolff übrigens) haben die drei Musiker viele musikalische Entscheidungen selbst zu treffen, aber das Ergebnis ist von wunderbarer rhythmischer Hyperkniffeligkeit und heller Kommunikationsfreude.

Wie eine in Marmelade ertrinkende Wespe könnte man sich hingegen in Johannes Schöllhorns Sinaïa 1916 fühlen, einer Komposition auf der Basis zweier Klavierstücke von George Enescu. Obwohl hier nur drei Musiker dabei sind, fühlt man sich stellenweise fast an Mussorgskys Tod in der bekannt farbenüppigen Ravel-Verhunzung erinnert. Und die Flutung des Raums durch keineswegs laute, aber überreiche asiatische Riesengongs ist etwas, das den Hörsinn des Konzertgängers massiv unter Stress, ja fast in Panik versetzt.

Wie wohltuend sind danach die Trockenheit und der Witz und die Schärfe und die Ökonomie des guten alten Georges Aperghis! Sein zumal im teils schrägen perkussiven Gerödel höchst abwechslungsreiches Trio Funambule ist Musik mit dem abenteuerlichen Herzen eines kleinen Kindes – keine Wespe, sondern ein Tausendfüßler, der an jedem Fuß einen anderen Schuh trägt.

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