Alles ein bissl fast normal jetzt schon wieder, das allsaisonbeginnliche Musikfest Berlin hat angefangen. Den Heiner-Goebbels-Eröffnungsabend hat der Konzertgänger mal lieber ausgelassen, aber Concertgebouworkest Amsterdam ist een must. Das große instrumenten-vrachtauto steht vor der Philharmonie, gleich daneben parkt ein Campingwagen, reiner Zufall gewiss. Dass die arroganten Berliner ihrem koninklijken Gast wie jedes Jahr etwas die koude Schouder zeigen, fällt heuer nicht ganz so auf, weil der Große Saal coronabedingt zunächst im Schaakbord-Muster besetzt wurde, bei dem sowieso jeder zweite Platz leer bleibt; dass der Rest dann, als volle Besetzung erlaubt wurde, einfach unverkauft blieb, fällt nicht so auf. Tja, je eigen schuld, o Berliner, du verpasst hier eins der besten Orchester der Welt. Plus Renée Fleming.
Königliche Erscheinung Fleming, nicht nur allgemein auratisch, sondern auch stimmlich – immer noch, wenn man das mal so charmearm sagen darf. Rar sind die Momente, in denen virtuose Figuren gesungen werden müssen in Olivier Messiaens eigenartigem Liederzyklus Poèmes pour Mi für Sopran und Orchester von 1937, aber sie gelingen erlesen. Ansonsten herrscht eher rezitierende Linienführung, auch das ein Genuss. Trotz der schwülen Sakraments-Atmosphäre dieses Werks, halb Liebeslied an Madame Messiaen Claire Delbos, halb religiöse Anrufung, der Duft von Weihräucherstäbchen am Wasserbett. Selbst das unvermittelte Fegefeuer-Drohlied ha ha ha ha ho ho wirkt nach vorgegangenem bekifft-erötelndem alleluia eher wie ein Trip-Absturz. Dann aber hören wir l’epouse est le prolongement de l’époux (die Frau ist Teil des Ehemanns, übersetzen die Übertitel), und der Gatte säuselt der Gattin ins warme Ohr: Va oú L’esprit te mène … Aber ach so schön ist das, und von La Fleming lassen wir uns erst recht alles bieten. Und der überdrehte Schluss von Poèmes pour Mi gemahnt deutlich an die Joie du sang des etoiles der einige Jahre später entstandenen Turangalîla-Sinfonie. Turangarôsa, das hier.
Gerahmt wird dieses Werk durch Debussy und Strawinsky, Letzterer ein Schwerpunkt des diesjährigen Musikfests, wegen irgendeines Strawinsky-Jubiläums. Agon von 1957, das vielleicht früheste der späten Werke, hat nix von der manchmal nachgeredeten Trockenheit des Strawinsky-Spätwerks, es sei denn, jede Menge trockenen Witz. Ein höchst vergnüglicher Gang durch die Instrumentenwelt: die Pauke im Schleichschritt mit der Flöte, die Harfe mit der Mandoline, die Posaune mit dem Xylophon. Gleichermaßen archaisch wie serialistisch überwuppte Barockformeln sind diese solistischen Schrittfolgen, die auch die individuelle Qualität aller Concertgebouw-Positionen fein vorexerzieren.
Den runden, vollen Orchesterklang setzt es dann in Claude Debussys La mer. Verstärkte Meeresströmungen sind zu verzeichnen unter dem Dirigenten Daniel Harding (mit dem das Orchester viel besser klingt als vor ein paar Jahren mit dem nach Grabscherei-Vorwürfen geschassten Daniele Gatti), hoher Druck im Ozeankessel – so als wollte Harding beweisen, womit Messiaen zitiert wird, nämlich dass Debussy einer der größten Rhythmiker aller Zeiten gewesen sei. Subtil klingt es dennoch, auch wenn es vielleicht etwas auf Kosten der atmenden Entfaltung geht. Aber ungeheuer eindrucksvoll und krass perfekt.
Als Toegift dann noch Ravels schniek melancholische Pavane pour une infante défunte, Schlurftanz fürs verblichne Prinzesschen.
Auf Sie ist beim Concertgebouworkest Verlass! Ich höre das eine oder andere vom Musikfest via Digital Concert Hall, morgen bin ich vielleicht in einem der zeitgenössischen Konzerte vor Ort. Der letzte Satz charakterisiert Ravel relativ gut!