Teutönend: Berliner Philharmoniker und Janowski arbeiten Bruckner

Es gibt Kombinationen, die passen einem normalerweise einfach. Eine Kombination, die dem Konzertgänger normalerweise sehr passt, ist Marek Janowski mit Anton Bruckner: Kohäsion statt Schnickschnack, Elaboration statt Ekstase. Die sich dann freilich ereignen kann, aber eben nicht, weil sie einem vorgetanzt und eingebläut würde.

Manchmal ereignet sie sich aber auch nicht.

Es ist schade, dass Janowski so gar nicht mehr bei seinem Ex-Orchester RSB dirigiert, wohl um den Nachfolger Jurowski nicht durch Altköniggebaren zu behindern. Aber die nunmehr regelmäßigen Termine bei den Berliner Philharmonikern sollten entschädigen. Wie schon vor anderthalb Jahren steht Bruckner auf dem Programm (damals die Vierte).

Normalerweise gibt es ja immer wieder zwei Richtungen des Bruckner-Kombinierens im Konzert: entweder erheblich Älteres wie Mozart oder gleich renaissante Cantussi firmussi u.ä.; oder Moderne. Eine dritte Möglichkeit ist die naheliegendste, aber vielleicht sogar ungünstigste: Bruckner mit Bruckner kombinieren.

Denn Anton Bruckners 2. Messe e-Moll erweist sich dem Konzertgänger heute (wiewohl vor drei Jahren mal mit einiger Lust gehört) als eher spröde denn archaisch. Der von Gijs Leenaars einstudierte Rundfunkchor Berlin intoniert natürlich divin. So rein wird mans nicht so schnell wieder hören. Den reinen Bläsersatz aus sechsmal Holz und neunmal Blech, auf den Bruckner sich hier beschränkt (weil er die Messe für eine Freiluftaufführung schrieb), könnte wohl auch ein solides Polizeisportorchester ordentlich absolvieren. Aber auch wenn er keiner philharmonischen Güteklasse bedürfte, ist diese natürlich stets willkommen.

Für kundige Hörer lässt sich der kargen Angelegenheit gewiss wunder was an Struktur enthören. Aber ein sinnliches Vergnügen ist es nicht; ein holziges Mysterium.

Nun müsste eine von Janowski dirigierte Bruckner-6. Sinfonie A-Dur eigentlich selbst mit Andrea Gabalier im Vorprogramm hörenswert sein. Dass die Sechste voll von freudevoller Leichtigkeit sein kann, war 2013 mit Chailly am Pult desselben Orchesters zu hören, in der damals völlig einleuchtenden Verbindung mit Mendelssohns Italienischer.

Italienisch klingt an diesem Abend hier nun überhaupt nichts. Zackig, geradezu knappatmig, mit kurz angebundenen Fermaten, Ritardandi, Pausen der Kopfsatz: Das tönt hochkonzentriert, aber eben auch arg teutönisch. Man wünschte sich doch zumindest gelegentlich etwas Schwelgen, Glanz, auch einfach mehr  Klangschönheit. Im Adagio verhindert Janowskis habituelle Ungeduld zwar Kitsch und überschäumende Emotion, aber ist das derart ausbuchstabiert nicht allzu nüchtern? Im Scherzo passts prima, auch wenn das Trio, manchmal Konzertgängers Lieblingspart in dieser Sinfonie, etwas spannungsarm und teilweise fast trampelig klingt. Das Hineindrängen ins Finale ist nun wieder grandios, ein einziger Kopf-vornüber-gebeugter Klang, atmend in seinen Verzögerungen, Anspannungen, Entfesselungen. Doch die akkumulierte Mürbnis, ja Knäckebrötigkeit des ganzen Abends verhindert, dass er am Ende noch abhebt.

Natürlich ist auch eine Janowski-Bruckner-Kombi, die nicht abhebt, immer hörenswert aufgrund von Maß, Kompetenz und Disposition. Aber von den inspirierten Funken, die in seiner Arbeit beim RSB immer wieder flogen, ist hier wenig zu spüren. Ob Janowski und die Berliner Philharmoniker so richtig Lust aufeinander haben?

Bericht bezieht sich auf die zweite Aufführung am Donnerstag.

Weitere Kritik: Schlatz fand’s am Mittwoch „frugal“, vielleicht sogar fürchterlich; der Tagesspiegel hingegen stimmig kantabel; Stagescreen war ebenfalls angetan und begründet es viel konkreter.

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5 Gedanken zu „Teutönend: Berliner Philharmoniker und Janowski arbeiten Bruckner

  1. Und zur Sechsten allgemein: https://www.eroica-klassikforum.de/forum/index.php?thread/3747-wab-106-sinfonie-nr-6-a-dur-allgemeiner-thread/

    Warum die Sechste von den reifen Sinfonien ab der 3 als Aschenputtel gilt, vermag ich nur zu vermuten. Ich lernte sie mit Celibidache kennen und so gewann ich von Beginn an einen anderen Eindruck. Vielleicht hängt es schon damit zusammen, dass sie zwischen zwei gänzlich anders gearteten Sinfonien steht und so bereits im Kopfsatz ein wenig unauffällig wirkt: Die Fünfte mit ihrer enormen dynamischen Bandbreite und allein ihren unterschiedlichen Lautstärkepegeln fetzt zuweilen ins Ohr und bei der Siebten wüsste man in einem Kurvendiagramm gar nicht, wie man die einzelnen schönen Stellen sichtbar machen sollte, weil ihrer einfach zu viele lange vor dem Adagio ins Ohr strömen. Die 6 dagegen nimmt einen langen Anlauf, bis sie überhaupt in voller Kraftpose dasteht und überhaupt erst in der Coda fährt Bruckner seine Überwältigungsstrategie auf und dann aber gleich unvergleichlich. Auch der langsame 2. Satz ist natürlich wundervoll in seiner ätherischen Schönheit und gemahnt an mancher Stelle an Mahler; aber auch er wird eben noch nicht wie bei diesem über 30 Minuten ausgewalzt und bleibt in der Form. Das Scherzo dann wirkt wiederum ungeheuer modern und gehört meines Erachtens zu den interessantesten Bruckners gleich nach dem der Neunten; und der Schlusssatz hat schließlich einen Charakter, der vielleicht nicht unbedingt dem typischen antonesken Finale entspricht; er mündet nicht in eine alles überflutenden Schlusswendung, sondern strömt sozusagen evolutionär einem gelösten Ende entgegen.

    • Auf jeden Fall ist das ein sehr schönes Plädoyer für die Sechste!
      Zu Ihrem zweiten Kommentar unten: Mit dem Suisse-Romande habe ich Janowski vor Jahren mal live gehört, Berlioz Fantastique und noch was, auch sachlich auf gewisse Weise, aber die Chemie hat jedenfalls gestimmt – was mir bei den BP jetzt anders vorkam.

  2. Die Sechste, Aschenputtel unter Bruckners Riesen, ist ganz schwer zu geben. Und ich löge, wenn ich sagte, Janowskis Zyklus mit dem Orchestre de la Suisse Romande würde mir wirklich zusagen. Daher hätte unheimlich gerne auch live zugehört.

  3. Schön, dass Sie auch da waren.
    Es freut mich ehrlich, dass wenigstens der Tagesspiegel positiv berichtet. Immerhin ist Janowski einem in seinen 2, 3 letzten RSB-Jahren mit seinen knorrigen Spätromantik-Interpretationen ans Herz gewachsen. Was in dem TSP-Bericht „Stimmigkeit der Kantabilität“ bedeutet, ist mir nicht klar. Genauigkeit der Phrasierung? Zusammenspiel der Stimmgruppen? Kantabel war es gerade nicht. Mein Leseeindruck ist, dass Frau Mahlke auch nicht begeistert war, aber es nicht sagen will. Bin mir immer noch nicht sicher, ob die 6. nicht einfach sehr schlimm war oder ich nur keinen Nerv für derartig Karges hab. Es wäre interessant, den einen oder anderen Musiker zu hören. Im Sommer werde ich mir die 6 in aller Ruhe in der Digital Concert Hall anhören.

    • Ja, „Stimmigkeit der Kantabilität“ ist mysteriös. Manchmal gibt es einfach so ein Verlegenheitslob, einfach weil man weiß, dass alle Beteiligten kompetent und zurecht respektiert sind. Ich habe sonst Janowskis Sachlichkeit fast immer sehr gern erlebt. Deshalb neige ich zur Vermutung, dass die Kombination mit den BP doch nicht so gut passt, oder zumindest in diesem Konzert nicht passte.
      Oder mit der Sechsten? Aber ich habe schon Konzerte gehört, in denen die mir gar nicht „sperrig“ (wie Sie sie nennen) vorkam, sondern ein großes A-Duriges Vergnügen war. Zuletzt bei Ticciati habe ich sie wiederum kaum ausgehalten. Naja. Am Ende spielen auch immer schwer verbalisierbare persönliche Vorlieben rein und auch Tagesform und -stimmung des Hörers.

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