Scheiterenthäufend: „Neue Szenen“ an der Deutschen Oper

Das Kernrepertoire teilt seine Bühne mit der Gegenwartsoper (Symbolbild)

Vom Martinsfeuer am 11.11. gehts direkt an den Scheiterhaufen. Oder die Scheiterhaufen, gleich drei; wobei die eh nur als Ausgangspunkt einer Ausschreibung fungieren, höchstens als sehr ferne Assoziationszusammenhänge. Drei neue, kurze Musiktheater sind unter diesem Titel in der Nebenbühne Tischlerei der Deutschen Oper Berlin zu besichtigen und behörigen. Premiere war am 5. November, Derniere zu St. Martin. Dabei scheint das Assoziative zugleich Stärke und Schwäche dieser jungen Gegenwartsmusikdramatik zu sein.

Stärke, weil das Assoziative zu drei sehr gegensätzlichen Ansätzen führt (keiner hat wörtlich etwas mit „Hexenverfolgungen“ zu tun). Schwäche, weil da halt alles mit allem zusammenhängt, was sich dann natürlich auch in die weidlich berüchtigten verplapperten Exposé-Seligkeiten der Gegenwartskunst ergießt. Zum Glück ist auf der Bühne aber viel mehr unmittelbare Plausibilität zu erleben als im Theaterbegleitfaltblatt.

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Taststörung

Zu den unangenehmsten Kindheitserfahrungen gehören Erwachsene, die einen ungefragt anfassen.

pompeo_batoni_-_dido_and_aeneas_1747Auch im Konzert und in der Oper kann man, nebst Hörstörungen und Sehstörungen, solche Taststörungen erleben. Nur dass die Taststörung nicht unbedingt vom Nachbarn ausgeht, mit dem in Körperkontakt zu treten man genötigt ist, sondern von den Künstlern verschuldet wird: Etwa wenn das Publikum im Radialsystem beim Rameau-Gastspiel von Teodor Currentzis‘ MusicAeterna (2015) Ringelpiez mit Anfassen spielen soll.

Etwas Ähnliches war nun in der Tischlerei der Deutschen Oper zu erleben: bei Dido, Henry Purcells Meisterwerk reloaded beziehungsweise bruchgelandet. Weiterlesen

3. Oktober 2015 – Nachhomerisch: ‚Die Irrfahrten des Odysseus‘ in der Deutschen Oper

Seefahrer-Wochenende in der Deutschen Oper: Vor der Premiere von Giacomo Meyerbeers Vasco da Gama (die der Konzertgänger in zwei Wochen besuchen wird) gibt es in der Tischlerei Die Irrfahrten des Odysseus für Kinder ab 10 in einer Fassung von Harriet Maria und Peter Meining mit Musik von Ole Hübner. Der Konzertgänger und seine Kinder (beide unter 10) haben sich mit dem schönen Odysseus-Bilderbuch von Yvan Pommaux seit Tagen darauf vorbereitet

Dass bei dieser Koproduktion mit dem Theater an der Parkaue keine Oper zu erwarten ist, sondern Musiktheater, darauf wird der Hörer gleich anfangs ausdrücklich hingewiesen. Auch auf das langweilige Metageplänkel (Achtung, kein Mythos, wir machen hier Theater) hätten Harriet Maria und Peter Meining getrost verzichten können, es ist weder witzig noch reflektierend. Als anbiedernde Scherze über iPad und Facebook bereits einen Totalreinfall befürchten lassen, kriegt das Stück doch halbwegs die Kurve. Die Spiegelung der drei Darsteller mittels Live-Kameras führt zu erstaunlichen Effekten und lebendigen Szenen, etwa wenn die Gefährten dem Zyklopen Polyphem mit einem angespitzten Bleistift sein Auge ausstechen. Erfreulich blutrünstig ist das, ohne falsche Rücksicht auf zarte Kinderseelen. Kein Kind geht raus oder weint. Von den großen Abenteuern des Odysseus ist lediglich die Fahrt zwischen Skylla und Charybdis gestrichen, vermutlich und nachvollziehbarerweise aus Zeitgründen. Und immerhin werden den Kindern etliche Verse Homers in der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt zu Gehör gebracht!

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Trotzdem kommt die Inszenierung von ihrer penetrant blödelnden Homerverkleinerung nicht los, etwa wenn Odysseus (als Lady Gaga der Antike bezeichnet) im Hermespaket das Ikea-Floß erhält, mit dem er das Land der Phäaken erreichen soll. Und so schwillt einem Herrn der Kamm, bis er bei einem Namenswitz (wir machen was mit Tele-mach) verärgert Ha, ha, ha ruft.

Die von einer (wie Skylla) sechsköpfigen Band gespielte Musik von Ole Hübner ist etwas dünn, mehr atmosphärisch untermalend, mitunter geräuschhaft. Erst im durchkomponierten Finale verdichtet sie sich, auch wenn das ausgewalzte Liebestod-Zitat nicht sehr schlüssig ist. Allerdings kann Hübner, Jahrgang 1993, noch eine lange Komponistenlaufbahn vor sich haben. Reizvoll ist die Performance der Vokalakrobatin Frauke Aulbert, die in ihren besten Momenten an Salvatore Sciarrinos Lohengrin erinnert. Zudem setzt Aulbert, die gelegentlich als Schauspielerin einspringt (etwa als meditierende Zauberin Circe und schließlich als Penelope), ein Gegengewicht zum geradezu ärgerlichen Frauenmangel der Inszenierung. Warum die Göttin Athene und die Nymphe Kalypso als rabiate Blödeltranse von Männern dargestellt werden, erschließt sich überhaupt nicht. Nausikaa fällt fast komplett unter den Tisch.

Dass das grausame Massaker an den Freiern abgesagt wird, darüber mag man sich im Sinne der Humanität unterhalten. Aber zu oft wird dem kindlichen Publikum das Entscheidende nicht zugetraut: sich von einer Geschichte faszinieren zu lassen, die nur manchmal verständlich, oft aber auch fern und befremdlich erscheint. Auf der Insel des Polyphem wird auch der Witz über Herrn Niemand erzählt, der Blöd auf den Kopf spuckt, und Keiner hat’s gesehen. Das ist der Lieblingswitz des 9jährigen Sohnes des Konzertgängers. Aber nicht hier. Und so sagt er beim Hinausgehen: Es war ganz lustig, aber es war eigentlich nicht die Odyssee. Der 6jährigen Tochter des Konzertgängers hat es hingegen bestens gefallen, trotz über anderthalb Stunden Spieldauer. Nur der verärgerte Herr brüllt am Ende: Buh! Scheiße! Und der ist über 10.

Weitere Aufführungen im Oktober und Dezember. Zur Deutschen Oper