Der älteste praktizierende Dirigent weltweit – Stanisław Skrowaczewski hat die persönliche Bekanntschaft mit Anton Bruckner nur knapp verpasst und könnte der Vater von Daniel Barenboim oder Marek Janowski sein. Alles praeter propter. Um exakt zu sein: Er erblickte das Licht der Welt im damals polnischen Lwiw/Lemberg genau 23 Tage vor der ersten funklautlichen Regung des Klangkörpers, der später zum Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) werden sollte.
Wie es sich gehört, gilt Skrowaczewski als Bruckner-Experte, ab 80 scheint Dirigenten eine über den Notentext hinausgehende Kenntnis dieser Musik zugänglich, die Jüngeren, sich noch unsterblich Wähnenden verschlossen ist. Und ab 90? Dass Skrowaczewski, der dieses Jahr 93 wird, gut zwei Jahre nach seiner imposanten Aufführung der Vierten mit Anton Bruckners Sinfonie Nr. 8 c-Moll noch einmal nach Berlin in die Philharmonie zurückkehrt, ist ein Geschenk.
Die für ihn bereitliegende Partitur der Achten (Haas-Fassung) berührt Skrowaczewski ein einziges Mal – vor Konzertbeginn, um sie zu schließen. Kein Stuhl, kein Hocker auf dem Dirigentenpodest für die kommenden 80 Minuten. Allein davon wäre man beeindruckt, selbst wenn das Konzert so lala wäre. Aber davon kann keine Rede sein, Skrowaczewskis Bruckner ist enorm: alles andere als ausgewogen, oft durchaus laut mit schwerem Blech (man sitzt gut in Block D, zwanzig Meter vom Orchester entfernt) – Skrowaczewski wird sich nicht mehr von 70jährigen Grünschnäbeln erklären lassen, dass eine Brucknersinfonie im Grunde eine spezielle Form von Kammermusik sei. Er betont die Härten der Partitur, etwa den Kontrast von brutaler Wucht und zartestem Piano im Scherzo oder das infernalische Vorschlaggewitter im Finale.
Aber bei aller Massivität keine Spur von Undurchsichtigkeit: Das polyphone Stimmengeflecht ist deutlich und plastisch, Musik von klarer Monumentalität und monumentaler Klarheit. Die sich aber auch immer wieder verflüssigt, denn die Solisten genießen bei Skrowaczewski große Freiheit und sind durch die Reihe wunderbar: Horn (Martin Kühner), Oboe (Gabriele Bastian), Flöte (Silke Uhlig), Klarinette (Michael Kern) et al., nicht zuletzt die Pauke (Jakob Eschenburg), die nach den gleißenden Trompetenschreien am zerfallenden, verlöschenden Schluss des ersten Satzes Allegro moderato so beklemmend sanft wispert. Der Konzertgänger ist wieder überrascht, wie kurz dieser erste Satz ist.
Im Scherzo leuchtet dem Konzertgänger wieder ein, warum er anno dunnemal beim ersten Hören dieser Symphonie das Trio bereits für den langsamen Satz hielt. Da kannte er ja das wahre Adagio noch nicht, den Satz der Sätze, für den die Frau des Konzertgängers erst auf die Welt gekommen zu sein meint. Unter feierlich langsam versteht Skrowaczewski wirklich langsam, es ist ein Musikstrom, in dem der Konzertgänger seinerseits der Sonatensatzwelt abhanden kommt; doch nicht schleppend, die Übergänge grandios, dito die Solovioline von Rainer Wolters. So wie die einzelnen glänzen, so glanzvoll eins ist das Ganze, ein in seiner Zerrissenheit außerordentlich organischer Orchesterklang.
Nach der großen Themenvereinigung und dem a tempo gespielten Schlussknall beobachtet man zitternd Skrowaczewskis heiklen Weg vom Podest zur Treppe. Stehende Ovationen des Publikums, ein Gefühl überwältigender Dankbarkeit. In der Saison 2017/18 ist ein weiteres Konzert geplant. Gott befohlen!
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