Hölltorig: „L’Orfeo“ an der Staatsoper

Aus der Noth eine Jugend machen, wie es beim Baröckdichter Andreas Grüffelius heißt! Während das Kammeroperfest der Staatsoper (trotz interessantem Programm) immer was unverhohlt Nothnageliges hatte, lässt man sich heuer bei der Vertretung der durch China tourenden Staatskapelle nicht lumpen: Fast drei Wochen lang sind Barocktage an der Staatsoper Unter den Linden. Les Musiciens de Louvre kommen und die Akademie für Alte Musik, Simon Rattle, Jordi Savall und Alexandre Tharaud, Christophe Rousset und Dorothee Oberlinger und viele mehr. Zum Start aber wird der Lindenopa erstmal altmusikalisch verjüngt zur Freiburger Barockoper, denn das Consort des gleichnamigen Orchesters spielt bei der choreografierten Oper L’Orfeo des bekannten Künstlerpaars Sasha Waltz/Claudio Monteverdi. Weiterlesen

Enttaubend: Cherubinis „Médée“ an der Staatsoper Unter den Linden

Eine der traurigsten und berührendsten Geschichten der Beethoven-Hagiographie erzählt, wie der fast Taube angestrengt einer Spieldose mit der Ouvertüre von Cherubinis Medea lauschte. Das mag eine dieser Schindler-Stories sein, trotzdem ergreifend. Den Namen Luigi Cherubini kennt jeder, was von ihm gehört haben nur Fachpersonal, Freaks und Callas-Fans. Uns musikgeschichtlich Ertaubten erlaubt jetzt eine Neuproduktion der Staatsoper Unter den Linden, das Ohr dicht an die Spieldose zu halten. Und einen atemberaubenden Anti-Fidelio kennenzulernen, inszeniert von Andrea Breth, dirigiert von Daniel Barenboim, hochkarätig besetzt. Am Sonntag war Premiere, der Konzertgänger war in der Folgevorstellung. Weiterlesen

Gesangsnackt: Sciarrinos „Ti vedo, ti sento, mi perdo“ an der Staatsoper

Mag sein, dass Jürgen Flimm insgesamt ein paar Jahre zu viel intendantiert hat, aber zu seinen unbestreitbaren Verdiensten an der Staatsoper Unter den Linden gehört die hartnäckige, ja penetrante Salvatore-Sciarrino-Promotion. Denn mit Sciarrino wird man nie einen Volksblumentopf gewinnen; und ein dereinstiges Sciarrino-Public-Listening auf dem Bebelplatz vermag man sich auch in hundert Jahren nicht vorzustellen. Aber in die sonntägliche Hitze passt die Premiere von Ti vedo, ti sento, mi perdo ganz gut. Obwohl diese Musik in ihrer Reduziertheit ja keineswegs dehydriert klingt, im Gegenteil. Weiterlesen

Verletzlicht: Debussys „Pelléas et Mélisande“ an der Staatsoper

Pelléas et Mélisande-Reichtum ausgerechnet dans la capital de la Prusse: Claude Debussys Symbolschmachtfetzen gibts in der arg konzentrierten Kosky-Regie an der Komischen Oper wieder am 12. Juli. Die schön wässrige Deutsche-Oper-Inszenierung ist derzeit eingefroren, ob die nochmal aufgetaut wird? Die Version an der Staatsoper Unter den Linden aber, die’s im Ausweichquartier Schillertheater pour des raisons techniques viele Jahre nicht gab, ist ein wahres Monument: eine der beiden Arbeiten der großen Ruth Berghaus, die da noch laufen – neben dem 50 Jahre alten Barbier ist dieser Pelléas von 1991 noch knackfrisch. Und so gut, dass es egal ist, wer da singt … naja, fast egal. Weiterlesen

Metaspektakelig: Wiederaufnahme von Purcells „King Arthur“ an der Staatsoper

Abwesenheit macht Freude. Abwesenheit: Daniel Barenboims Staatskapelle gastiert mit ihrem vor wenigen Tagen in Berlin gespielten Debussy-Programm im noblösen Musikverein Wien, hoffentlich macht sie uns Ehre. Freude: Die Staatsoper Unter den Linden hat daher Vakanz für eine willkommene Wiederbegegnung mit Henry Purcells King Arthur, gespielt von der Akademie für Alte Musik unter René Jacobs. Schon die Erstbegegnung vor einem Jahr, noch im Schillertheater, war ja ausnehmend einnehmend.

Wie schlägt sich die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch im Stammhaus Unter den Linden? Weiterlesen

Durchgedreht: Brittens „The Turn of the Screw“ an der Staatsoper Unter den Linden

Feschttage-Rummel isch over: Nach dem österlichen Großbohei mit Verdi, Wagner, Debussy, Argerich, Barenboim & Co darf die Staatskapelle erstmal verschnaufen vom Akkorddienst im Akkord. Aber just wenn sich Starflut und Klangwogen verzogen haben, tauchen im scheinbar schilfigen Schlick oft die feinsten Perlen auf: etwa Benjamin Brittens nun wiederaufgenommene Kammeroper The Turn of the Screw (1954) nach der Erzählung von Henry James. Dazu brauchts im Orchestergraben nur 13 Musiker: ein Streichquintett, vier Holzbläser, an Blech lediglich ein Horn, dazu Schlagwerk, Harfe und Klavier/Celesta. Während der große Orchesterapparat sich erholen darf, ist das Publikum aufs Äußerste gefordert.

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Schleierhaft: Anmerkungen zur neuen „Salome“ an der Staatsoper Unter den Linden

1. So wie nach der Schleier des Nichtwissens-Theorie des Philosophen John Rawls die Erbauer einer wirklich gerechten Gesellschaftsordnung nicht wissen dürften, wo ihr Platz in dieser künftigen Ordnung sein wird, so sollten die Verantwortlichen einer Opernhaussanierung einem Schleier des Nichtwissens unterworfen sein, auf welchem Platz sie im fertigsanierten Opernhaus sitzen werden. Es könnte ihnen, wenn sie die falschen Entscheidungen treffen, also passieren, dass sie im siebenundzwanzigsten Rang ganz linksaußen sitzen werden, sichtbehindert auf engen Stühlen zwischen zwei schnaufenden Falstaffs, wo man sich so behaglich fühlt wie Jochanaan in der Zisterne. Weiterlesen

Anmerkungen zum neuen „Tristan“ an der Staatsoper

1. Wann wirds so weit sein, dass die Pausen zwischen den Aufzügen einer Wagner-Oper länger dauern als die Aufzüge? In der Neuproduktion von Tristan und Isolde an der Staatsoper Unter den Linden ist es (noch) nicht so weit.

2. Das liegt allerdings weniger an der Kürze der Pausen als an Daniel Barenboims Tempi.

3. Das Gefühl Pausen mit Musik dazwischen kann sich dennoch einstellen. Weiterlesen

Lädiert: Strauss‘ „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Unter den Linden

Schön und recht pfiffig, dass die heimgekehrte Staatsoper Unter den Linden den anfangseuphorischen Andrang nutzt, um als eine der ersten Wiederaufnahmen eine Inszenierung des alten Abo-Schrecks Hans Neuenfels auf die sanierte Bühne zu hieven.

Und passt die aus unvereinbaren Gegensätzen verquickte Ariadne auf Naxos von Richard Strauss nicht ganz besonders in diesen Historienhybrid von Lindenoper, der in seiner seltsamen Disproportionalität das Gegenteil des Gewünschten bewirkt: nämlich statt Kontinuität das Lädierte des Hauses hervorzuheben?

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Großkopfert: „Hänsel und Gretel“ an der Staatsoper Unter den Linden

Na endlich ist die Staatsoper Unter den Linden, nachdem sie schon im Oktober wiedereröffnet und gleich wieder zugemacht wurde, wirklich offen. Am ersten Weihnachtsfeiertag schaut der Konzertgänger sich die Neuinszenierung von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel an, gemeinsam mit dem Konzertgängerkind – obwohl das nicht gern in Kinderopern geht, weil es in Kinderopern immer so laut ist. Aber 1. sind in Kinderopern immer die Erwachsenen am lautesten, nicht die Kinder, und 2. ist Hänsel und Gretel ja keine Kinderoper. Auch wenn sie aus einem Kinderspiel entstand und die Grässlichkeiten von Grimms Horrormärchen ziemlich abmildert und Kaiser Willem Zwo persönlich befand, das Werk sei für Kinder ganz besonders geeignet, man könnte ganz „unbesorgt“ seine Kinder hineinschicken (Humperdinck an seine Frau, 14.10.1894). Weiterlesen

Labyrinthesk: Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden mit Daniel Barenboim und Maurizio Pollini

Vielleicht das Schönste: Das erste Abokonzert in der vortags mit Pomp & Schmackes wiedereröffneten Staatsoper Unter den Linden fühlt sich nicht an wie eine zweite Pomp & Schmackes-Wiedereröffnungs-Sause. Sondern wie ein Abokonzert. Gut so, Kunst als Alltag, nicht als Staatsaffäre.

Natürlich schaut man sich dennoch vorher neugierig um. Tritt vorsichtig auf und traut sich gar nicht, irgendwohin zu fassen, nachdem man das mit den 400 Millionen gelesen hat. Nicht dass man achtlos irgendwohin patscht, und schon ist sie wieder weg, diese halbe Sekunde Extra-Nachhall! Über die das halbe Land sich mokiert, die aber für einen Musikliebhaber die Welt bedeutet. Weiterlesen

Hörstörung (15): Eine Dame pustet auf Modernes

Wenn man, wie nun beim ersten Sinfoniekonzert an der grundsanierten Staatsoper Unter den Linden, erleben muss, dass die zwei Sitze neben einem platzierte herrschaftliche Dame bei den ersten Klängen einer zeitgenössischen Komposition im Brusttone des Schreckens ihrem Gatten zupustet: Fffffuh, was Modernes — dann …

… ja dann malt man sich, als werweißwievielte Schurigelungsfantasie gegen notorische Störer, aus, dass Zutritt in einen Konzertsaal nur noch gewährt werde gegen Beantwortung der Frage: Sie! Haben Sie sich angeschaut, was gespielt wird?

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Parsifal und Martha, Hanswurst und Harlequin: Zur Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden

Vorletzte Herrichtung der Staatsoper, 1951       (Quelle deutsche-digitale-bibliothek.de)

Die Frist ist um. Und für Berliner Verhältnisse sogar fristgerecht! Denn eine Verzögerung von drei Jahren gilt in Berlin als überpünktlich. So wird ab dem 3. Oktober 2017 die Musik wieder an der rundum sanierten Heimat der Staatsoper Unter den Linden abheben. Kein Volksentscheid Schillertheater muss den Betrieb im liebgewonnenen Charlottenburger Ausweichquartier bis zum Sankt-Nimmerleinstag verlängern. Und was bedeutet schon ein siebenjähriges Exil angesichts einer jahrhundertelangen Geschichte?

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Wahnsinnig konsequent: Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“ an der Staatsoper Berlin

JMRLenz

Der junge Wolfgang Rihm

Letzte Premiere der Staatsoper im Schillertheater, bevor sie wieder zur Staatsoper Unter den Linden wird! Tout Berlin hat sich zu dieser Premieren-Derniere versammelt, fast janz tout zumindest: Peymann, Reimann, Riemann (Claus, Aribert, Katja), Jochen Waltz & Sasha Sandig etc pp. Auf der Bühne und im Graben kein Star-Soufflé, sondern ein gewichtiges Stück neue bzw Neue Musik, wie es die Staatsoper in sympathischer Konsequenz jedes Jahr zum Saisonabschluss premiert: diesmal Wolfgang Rihms Jakob Lenz, Wahnsinns-Kammeroper von 1977/78 frei nach Georg Büchner. Von Andrea Breth erstmals auf die große Bühne gehoben, nach den koproduzierenden Bühnen von Stuttgart und Brüssel jetzt auch in Berlin.

Die Titelpartie ist der Wahnsinn. 13 wilde Sänger stellen den Dichter J.M.R. Lenz dar, der krass der Welt abhanden kommt, und alle 13 sind Georg Nigl: Weiterlesen

Kreuzluftspiegelnd: Wiederaufnahme „Don Carlo“ an der Deutschen Oper

alonso_sanchez_coello_koenig_philipp_ii._von_spanien_in_spanischer_hoftracht_mit_dem_orden_vom_goldenen_vlies_um_1568_originalHier keine Perlenfischer. In Berlin hat man ja den Luxus, nach anderen Perlen zu fischen: Man kann z.B. Giuseppe Verdis Don Carlo, gestern an der Deutschen Oper wiederaufgenommen, mit dem eben gehörten Don Carlo an der Staatsoper vergleichen. Dort alles in allem differenzierter, hier theatralischer, auch plakativer, für den Konzertgänger letztlich aber emotional berührender.

Noch anregender der Vergleich mit dem sehens- und hörenswerten Boris Godunow, der eben an der Deutschen Oper Premiere hatte: Traurige Despoten unter sich, der Boris und Carlos Vater Philipp (siehe rechts). Beide wahrscheinlich gar keine schlechten Könige, so sub specie historiae betrachtet. Aber wie sie sich quälen sich sub specie aeternitatis (im Puschkin-Russland) bzw sub specie amoris (im Schiller-Spanien). Weiterlesen