27.5.2016 – Klavierfestival (4): Sophie Pacini spielt Chopin, Liszt und Schumann

Das Konzert dieser vielversprechenden Pianistin beginnt unter keinem guten Stern: Weil rund um den Gendarmenmarkt Stau herrscht, fängt es rücksichtsvollerweise zehn Minuten später an – was für den ungeduldigen Sitznachbarn des Konzertgängers offenbar schon eine Impertinenz ist. Als die junge Deutsch-Italienerin Sophie Pacini sich an den Flügel im Kleinen Saal des Konzerthauses setzt, bumpern Pauken aus dem Großen Saal herüber, wo die Zauberflöte gespielt wird (da geht der Konzertgänger am Samstag mit tutta la famiglia hin). Whistler-Nocturne_in_black_and_goldUnd in den ersten Takten von Frédéric Chopins Nocturne b-Moll op. 9, 1 bimmelt, fast hat man darauf gewartet, ein Handy.

Pacini ist natürlich ganz Profi und lässt sich nichts anmerken. Sie spielt dieses und das folgende Nocturne Des-Dur op. 27,2 bemerkenswert unsüßlich, unsentimental, unweichlich, unverträumt, vielmehr sehr deutlich und energiegeladen, dabei dunkel getönt. Die Töne im Diskant tröpfeln und perlen nicht klischeehaft, sondern verbinden sich zu klaren, ja dramatischen Linien. Man versteht, warum Martha Argerich diese junge Pianistin unter ihre Fittiche genommen hat.

Allerdings fällt bereits hier auf, was den ganzen Abend prägen wird: eine sehr hohe Grundlautstärke. Ob Pacini den Kleinen Saal oder den Yamaha-Flügel falsch einschätzt oder das Publikum (eventuell ja zu Recht) für schwerhörig hält? Jedenfalls wird der Bass manchmal so dröhnend, dass es, um im Nocturne-Bild zu bleiben, an nächtliche Ruhestörung grenzt. In Chopins Scherzo Nr. 2 b-Moll op. 31 (statt der angekündigten Polonaise-Fantasie As-Dur) geht das gut, wenn das energiegeladen fragende Rollen auf wuchtige Entladungen trifft. Auf höchstem technischen Niveau ist es ohnehin.

Trotzdem freut man sich, mit den Consolations 1 – 3 eher innerliche, fast bescheidene Stücke von Franz Liszt zu hören. Aber das dicke Ende folgt auf dem Fuße: Die Tannhäuser-Ouvertüre ist eher eine Klavierversion als eine Opernparaphrase, in der kompositorische Funken sprühen würden. Sehr reizvoll allerdings die Auf- und Abwärtsläufe im Bacchanal. Pacini spielt das beeindruckend, gewaltig, steigert den Pilgerchor immer weiter, wenn man bereits denkt, noch lauter wird es nun wirklich nicht gehen. Aber der ungeheurliche Aufwand für so ein musikalisches Nichts hat auch etwas Bedauerliches, man bräuchte gleich wieder consolation. Wenn es nach dem Konzertgänger ginge, sollte Pacini sich diese Nummer für gutdotierte Einladungen zu Wagnervereinsjahrestreffen aufheben. (Gut allerdings, dass Kultursenator Tim Renner nicht in klassische Konzerte geht; er könnte sonst auf die Idee kommen, ein Opernorchester abzuschaffen und dafür Sophie Pacini anzustellen.)

Henri_Rousseau_-_A_Carnival_EveningRobert Schumanns Carnaval ist natürlich ein ganz anderes Kaliber. Sehr witzig scheint Pacini Schumann allerdings nicht zu finden. Natürlich ist kein Pianist zum Lächeln verpflichtet, aber die Forte-Kontraste im Pierrot etwa sind so korrekt ausbuchstabiert, dass die Komik, die zur Bizarrerie gehört, verlorengeht. Stattdessen betont Pacini (was natürlich legitim ist) das Dramatische und Zerrissene dieser vorbeifliegenden Charaktere und Gestalten.

Natürlich ist das brillant. Pacini lässt viele Stücke ineinander übereinandergehen, was sehr überzeugend ist. Aber mancher Hörer wird eine gewisse Leichtigkeit vermissen. Es wird auch wieder arg dröhnend, nicht erst wo es sich schwer vermeiden lässt, etwa im finalen Davidsbündler-Marsch; wobei selbst hier vorstellbar wäre, die komische Seite stärker hervorzukehren (ein Marsch im 3/4-Takt!).

Man würde sich wünschen, diese hochbegabte Pianistin würde irgendetwas Verrücktes oder Falsches tun. Und vor allem leiser spielen. Die Pegelsau dieses Rezitals kann sie ja wieder rauslassen, wenn sie dereinst im Großen Saal der Philharmonie spielen wird. Denn dass sie ihren Weg gehen wird, steht außer Frage; in einem knappen Jahr gibt sie ein Rezital im Rahmen der Meister-Klavierabende von Adler, da steht sie in einer Reihe u.a. mit Ivo Pogorelich, Elena Bashkirova und Grigory Sokolov.

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