Sehstörung (3): Selbsteinprangerung beim „Fidelio“

Auch einem Konzertgänger, der meint, er hätte schon alles gesehen, kann es passieren, dass er einer Aufführung des Fidelio an der Staatsoper Unter den Linden auf einem der gar nicht soooo üblen Hörplätze im dritten Rang beiwohnt, von denen aus man immerhin die halbe Bühne überblickt (freilich um den Preis, direkt unter dem Dach im Kondenswasser von Tönen und Publikum zu sitzen), und gerade darüber sinniert, wie berühmt Ludwig van Beethoven heute wohl noch wäre, wenn diese langweilige, hier überdies öde inszenierte und knallig-lasch musizierte, dabei freilich – u.a. von Klaus Florian Vogt – recht gut gesungene Oper sein gewichtigstes erhaltenes Werk wäre; um auf einmal eine Zuschauerin im am ungünstigsten gelegenen Hörplatzwinkel des Saals zu bemerken, die, um dem Bühnengeschehen besser folgen zu können, ihren Kopf zwischen Brüstung und Geländer eingefädelt hat: gleich einem Pranger in finsteren Zeiten oder gar jener schrecklichen Entkopfungsmaschine zu französischrevolutionärer Zeit, aus der das merckwürdige, schon in den 1820er Jahren außer Mode gekommene Genre der Rettungsoper ja stammt; woraufhin er begreift, dass er eben noch nicht alles gesehen hatte und hat.

Besprechung der Fidelio-Wiederaufnahme bei Schlatz

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Sehstörung (2): Ein Jüngling knipst sich selbst

Der exponierteste Platz im Berliner Musikleben ist die weiße Holzbank auf der Orgelempore im Großen Saal des Konzerthauses: direkt über dem Orchester, im Sichtfeld von ausverkauftenfalls eintausendsechshundert Augenpaaren (die leeren Blicke der 742px-Narcissus-Caravaggio_(1594-96)_editedachtunddreißig Komponistenbüsten nicht mitgerechnet). Bei der gestrigen Eröffnung der Alfred-Brendel-Hommage, in Anwesenheit nicht nur des Geehrten (Loge links), sondern auch des Bundestagspräsidenten Lammert (1. Rang Mitte), begab es sich nun, dass ein auf besagter Empore alleinsitzender vulgo -thronender junger Mann während der vom Konzerthausorchester unter Jan Willem de Vriend engagiert dargebotenen Ouvertüre zu Schillers Trauerspiel „Die Braut von Messina“ ausgiebig mit dem Smartphone sich selbst ablichtete – sozusagen eine an sich selbst vollzogene öffentliche Hinlichtung. 

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Sehstörung

velazquezSichtbehinderungen sind dem Konzertgänger, im Gegensatz zu Hörstörungen, ziemlich egal.

Aber er verstünde doch, wenn ein ungünstig sitzender Besucher von Henry Purcells King Arthur in der Staatsoper im Schillertheater an dem etwa dreißig Zentimeter hohen Haarturm einer Dame in Reihe 2 Anstoß nähme.

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