Obertonüberreich: Pierre Boulez‘ „Répons“ im Boulezsaal

Pierre Boulez im Pierre Boulez Saal mit dem Boulez Ensemble: Der thematische Schwerpunkt des Abends scheint klar. Darum gibts Boulez‘ Répons für sechs Solisten, Live-Elektronik und Ensemble gleich zweimal, zwischendurch spricht Dirigent François-Xavier Roth über Pierre Boulez.

Ist ja auch ein Hauptwerk des Maître d’Avantgarde, entstanden ab 1979, uraufgeführt 1981 in viertelstündiger Erstfassung in einer Donaueschinger Turnhalle, dann mit Weiterentwicklung der elektronischen Möglichkeiten angewuchert auf ein Dreiviertelstündchen. Es könnten auch noch sechs Viertelstündchen werden, verriet Boulez im Jahr 2000, aber dazu kam es nicht mehr. Vielleicht lässt sich ein Werk, das in diesem Sinne wächst, sowieso nicht im klassischen Sinn vollenden. Vor seinem Tod 2016 wünschte Boulez sich vom Architekten Frank Gehry, die Répons mögen in dem nach ihm benannten Saal aufgeführt werden. Weiterlesen

Kombinationssicher: Nils Mönkemeyer und William Youn im Pierre-Boulez-Saal

Die Kombinationen machens, und mehr noch die Kombinationen der Kombinationen. Im Pierre Boulez Saal kombinieren der Bratschist Nils Mönkemeyer und der Pianist William Youn Altes und Neues, Mozart mit Sciarrino, Schubert und Brahms mit Boulanger, Chin, Pintscher. Vor allem aber kombinieren sie die Kombination Viola & Konzertflügel mit der Kombination Viola & Hammerklavier. Lauter Traumkombinationen sind das.

Aber am allerobertraumhaftesten ist die letzte. Mönkemeyers Bratsche und der Hammerflügel vom Bamberger Klavierbauer J.C. Neupert sind genau richtig aufeinander eingetönt. Weiterlesen

Kreisquadratisch, überzeugwältigend: RIAS Kammerchor, Capella de la Torre, Justin Doyle mit 2x Monteverdi

Abschluss, vielleicht sogar heimlicher Höhepunkt des Claudio Monteverdi-Bogens beim diesjährigen Musikfest: Nach den drei Opern unter John Eliot Gardiner (mehr dazu und noch mehr) setzt es Geistliches im Doppelpack im Antrittskonzert des neuen Chefdirigenten Justin Doyle beim RIAS Kammerchor. Vor der unsterblichen Marienvesper gibts nämlich endlich mal den selten aufgeführten Hauptteil von Monteverdis gescheitertem Bewerbungsschreiben beim Papst zu hören, die Missa „In illo tempore“.

Die rangierte im Druck von 1610 vor der berühmten Marienvesper, die sich auf dem Titelbild nur im Kleingedruckten findet (ac Vespere pluribus decantandae). Während die Vesper ein Sammelsurium der verschiedensten modernen Stile ist, sollte die Missa Monteverdis Kompetenz im streng polyphonen Altväterstil beweisen. Weiterlesen

Resonanz und Hygiene

Was wird nicht alles bekakelt, wenn es um die Klassik geht! Unsterbliche und vergessene Werke, spektakuläre und enttäuschende Aufführungen, Weltstars, Blender, geheime Sandrart-cupidMeister ihres Fachs – keine unwichtigen Dinge, gewiss. Doch wer spricht von den Toiletten? Dabei kann niemand bestreiten, dass der Konzertbesucher dort Minuten von hoher Dringlichkeit verbringt. Nicht nur, weil es innerste Bedürfnisse gilt, sondern auch, weil Musik nachklingen will und muss.

Doch hält das stille Örtchen, was sein Name verheißt? Dieser Frage gehe ich im neuen VAN-Magazin nach. Ein investigativer Blick in die Eingeweide der Klassik.

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Erstlich: Michelangelo String Quartet im Boulez-Saal

Pompeii_-_Casa_dei_Vettii_-_PentheusZerreißen müsste der Konzertgänger sich können! An der Komischen Oper feierte eine Mussorgsky-Rarität Premiere, an der Deutschen Oper Götz Friedrichs legendärer Ring Derniere, zehn andere Köstlichkeiten nicht zu vergessen … ach, und im Pierre-Boulez-Saal gibt’s nichts Geringeres als ein Quartettfestival. Nach dem Staatskapellen-Streichquartett (da war der Konzertgänger im Rheingold) und einem Haydn-Marathon des famosen Hagen Quartetts (da war Walküre, seufz) spielt das Michelangelo String Quartet drei grundverschiedene Erstlinge. Beethoven, Bartók, Smetana. Am Abend zwischen Walküre und Siegfried. Weiterlesen

Hörstörung (11): Ein Herr kratzt sich am Knie

sketch-of-a-knee-1886.jpg!LargeDer Segen steil ansteigender Reihen wie im neuen Pierre-Boulez-Saal, die (anders als etwa in unseren Opernhäusern) auch noch nicht ausgewachsenen oder kleingeratenen Hörern uneingeschränkte Sicht auf die Musiker erlauben, verkehrt sich für denjenigen in eine Heimsuchung, dessen Ohr sich auf der Höhe eines fremden Knies befindet, welches offenbar so unerträglich juckt, dass der hinter einem sitzende Herr, zu dem dieses Knie gehört, sich genötigt sieht, sich an selbigem ein ganzes Beethoven-Streichquartett lang zu kratzen.

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12.3.2017 – Fremd: Schuberts „Winterreise“ mit Barenboim & Gerhaher im Boulezsaal

Zum Raum wird hier die Zeit: Neun Tage dauert die Eröffnungswoche des Pierre-Boulez-Saals. Am achten Tag der Woche zieht Franz Schuberts Winterreise mit Christian Gerhaher und Daniel Barenboim fremd ein, fremd zieht sie wieder aus. Durchaus gewöhnungsbedürftig in der überaus klaren Akustik und schnörkellosen Architektur, die bei allem geschwungenen Gehry-Genios etwas an einen Plenarsaal mit BVG-Sitzen erinnert. Aber wäre es besser, eine Winterreise Winter_Landscape_by_Caspar_David_Friedrichkönnte sich in einem Saal bequem einheimeln? Je fremder, desto besser.

Der Konzertgänger besucht die zweite Aufführung, am Sonntagvormittag: Auch diese Zeit ist für eine Winterreise befremdlich, wie die Frühlingssonne vor der Tür. Aber wenn man zuvor seinen Nachwuchs frühmorgens in die tiefsten Felsengründe gebracht hat, nämlich zu einem Fußballturnier in eine unwirtbare Weddinger Turnhalle, geht’s schon. Da ist man nicht übel eingestimmt auf alle Trostlosigkeit der Welt. Weiterlesen

8.3.2017 – Pianissimokraftvoll: Barenboim & Radu Lupu spielen Schubert im Boulezsaal

Der Pierre-Boulez-Saal (der sich offiziell Pierre Boulez Saal schreibt, warum?) hat die schöne Eigenschaft, sich schon beim zweiten Besuch völlig vertraut anzufühlen. Beim Eröffnungskonzert saß der Konzertgänger im Parkett, diesmal im Rang: Den zu betreten ist ein Wanken und Schwanken machendes Erlebnis, aber für Menschen mit Neigung zu Schwindelgefühlen dem Parkett unbedingt nachzuziehen. Nicht wegen der Höhe, sondern wegen des achterbahnartigen Auf- und Abwärtsschwungs, mit dem der Rang den Saal umkreist.

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Für erfahrene Alpinisten, Teufelsbergbezwinger und Philharmonie-Block-G-rechts-Besucher ist das allerdings kein Problem, sondern eine überwältigende Raumerfahrung. Man darf nur nicht geistesabwesend das Programmheft aufs abschüssige Geländer legen!

Für Vertrautheit sorgt auch das Personal: Daniel Barenboim und Radu Lupu spielen vierhändig Franz Schubert. Weiterlesen

5.3.2017 – Hellwach: Barenboim & Co eröffnen den Pierre-Boulez-Saal

kand-3Sind die eigentlich alle ausgeschlafen? Am Sonntag um 11 Uhr gibt es das Konzert zur Eröffnung des neuen Pierre-Boulez-Saals zum zweiten Mal, keine zwölf Stunden nach dem Ende des ersten am Samstagabend. Und man wird ja wohl kaum direkt danach zu Bett gegangen sein.

Daniel Barenboim insonderheit traut man es zu, dass er neben der verdienten Feier gleich wieder etwas gefundraist hat für einen neuen noblen Zweck. So wie er es zugunsten der Barenboim-Said-Akademie getan hat, in der schon seit einem halben Jahr Stipendiaten aus Israel und arabischen Ländern miteinander studieren, kommunizieren, musizieren. Den neuen Konzertsaal gab’s obendrauf, mit dankenswerter Gratis-Unterstützung des Architekten Frank Gehry und des Akustik-Gurus Yasuhisa Toyota. Weiterlesen