Goldgeistig: RSB, Ruzicka, Chen spielen Bruch, Enescu, Ruzicka

Goldenes Feuerwerk ad honorem Erdoğani

Auf circa 777mal Schostakowitsch gibts in unserem Konzertleben einmal George Enescu. Oder auf immerhin noch 77mal Max Bruch, mit wohl abnehmender Tendenz. Wann wird zumindest Enescu-Bruch-Egalität erreicht sein? Einen Schritt in diese Richtung macht das Rundfunk-Sinfonieorchester unter Peter Ruzicka im Konzerthaus.

Nur nicht ganz leicht, dahin zu gelangen! Denn Mitte ist dicht. Die alte Krawallschachtel Erdoğan scheint stundenlang die Linden rauf und runter zu kutschieren. Aber mit dem Fahrrad kommt man immer irgendwie durch. Ich wünschte, ich hätte auch eins, rührt eine eingeklemmte Taxifahrerin das Herz des Konzertgängers. Weiterlesen

13.4.2016 – Strömend: Ruzicka, Beethoven und Enescu beim DSO

 

Wettstreit der Berliner Orchester in der Challenge Deutschland sucht die Super-Rarität: Nachdem das Konzerthausorchester am Wochenende mit Mieczysław Weinbergs selten gespielter 5. Sinfonie vorgelegt hat, steht beim Deutschen Symphonie-Orchester unter Peter Ruzicka in der nicht eben überfüllten Philharmonie die Fünfte von George Enescu auf dem Programm: ein unvollendetes Werk von 1941, dessen Particell der rumänische Musikwissenschaftler Pascal Bentoiu orchestriert hat und das in dieser Form erstmals 1996 in Bukarest aufgeführt wurde.

Enescus Symphonie Nr. 5 D-Dur für Tenor, Frauenchor und Orchester beginnt als breiter, wunderbar melodischer Strom, der schon ewig andauern und ewig weiterfließen könnte. Der interessierte Konzertgänger weiß mittlerweile, dass der Nebenspuren der Moderne (Ruzicka) viele sind, aber Enescus Stück ist sowas von D-Dur, dass man zunächst darin zu ertrinken fürchtet. Aber es ist ein glückliches Ertrinken in einem bald abschwellenden, bald aufwogenden Strom von Schönheit, ein langer Gesang, der in dunkle Regionen führt, an den Rand des Verschwindens in die unendliche Nacht. Schließlich nimmt das Bedrohliche überhand, dräuende Posaunen, Trompeten, Tuba, Tamtam; bis Celli und Hörner den Hörer wärmen und die Celesta ihn zu den Sternen entrückt. Völlig organisch wirkt es, dass im trauermarschigen Finale dann dem Tenor Marius Vlad (der in Rumänien das italienische Fach rauf und runter singt, auch mal Lohengrin oder Tannhäuser einschiebt, überdies Generalmanager der Rumänischen Nationaloper Cluj ist) friedlich-schmerzvolle Todessehnsucht entströmt: Doar moartea glas să dea frunzişului veşted, und über mich die Linde wird ihre Blüten breiten.  Die weibliche Hälfte des RIAS Kammerchors macht dazu mystische Aahs, sicher schon 1941 ein abgelutschtes Mittel, aber die femininen Vokalisen tragen die herbe Stimme sehr schön. Auf dem Gipfel der Traurigkeit beginnt die Tenorstimme zu sprechen: als triebe die Welt davon. Man strömt danach hinaus in die Nacht.

Ein umwerfendes, nein: umhüllendes Plädoyer für George Enescu, mit dem man zwar offensichtlich die Philharmonie nur schwer füllt; aber diese Musik würde auch vor leerem Saal lohnen. Wenngleich ein voller Saal natürlich schöner wäre. Und verdient, bei solchem Orchesterglanz, für den Enescu und das glanzvoll spielende DSO gleichermaßen zu loben sind.

Vor der Enescu-Symphonie gab es zwei strömende Hörerlebnisse anderer Art: Peter Ruzicka ist nicht nur Dirigent und Intendant, sondern komponiert vor allem, wie zuletzt beim Ultraschall-Festival zu hören. ‚R.W.‘ – Übermalung für Orchester von 2012 beginnt mit einem Wachmacherakkord und spinnt sich in luxuriösen Klängen fort, bald sirrend, bald knallend, aber immer angenehm zu hören. Man freut sich auch über die kaum übermalten, sondern recht unverhüllten Parsifalzitate. Der Konzertgänger fragt sich aber, ob 1) man die absteigenden Glockenquarten, die einem schon nach jedem Parsifal (jaja, großartig) zu den Ohren rauskommen, auch noch von einer Flöte hören muss, und 2) ob es eine gute Idee ist, die kargen, reduzierten Klänge des späten Liszt (auf dessen Am Grabe Richard Wagners Ruzicka sich bezieht) derart zu entkargen und dereduzieren. Im Publikum murmelt es nach dem Stück aber ringsum: Schön… ja, wirklich schön…

In Beethovens 4. Klavierkonzert G-Dur scheint der Dirigent Ruzicka an seine Grenzen zu stoßen, der Orchesterklang ist (bei aller Klangschönheit, die das DSO immer hat) recht breit, mitunter etwas unausgewogen und nicht immer präzise im Zusammenspiel mit dem Solisten. Der allerdings klingt hervorragend: Herbert Schuch (gebürtiger Banater Schwabe, was das Konzert eigenartig abrundet) ist ein Pianist der leisen, aber sehr deutlichen Töne, dem das langsame Tempo entgegenkommt. Das eröffnende piano dolce könnte man sich sinnierender nicht wünschen. Im Andante wird die Breite des Orchesters zur Tugend, aus dem Gegensatz zwischen einstimmigen Streichern und beschwörend gläsernem Klavierton entsteht größtmögliche Spannung. Spätestens die Zugabe, die Sarabande aus Bachs 3. Englischer Suite, von Schuch versunken, ja andächtig gespielt und mit ihren fast gotischen Bizarrerien faszinierend fremdartig, weckt den Wunsch, diesen interessanten Pianisten mit einem Solorezital zu erleben. Da muss der Berliner einmal Braunschweig und Gauting an der Würm beneiden.

Nachtrag: Aber nur bis zum 29. April 2017, dann gibt Schuch einen Klavierabend im Konzerthaus Berlin.

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24.1.2016 – Pianoforteverklärend: Ultraschall, letzter Tag

Schwachstarktastenkasten – dieser Name, den Beethoven für das innovative Pianoforte vorschlug, passt zum Programm, mit dem der Pianist Christoph Grund den letzten Tag des ULTRASCHALL-Festivals für neue Musik eröffnet. Es folgen noch ein Geigenrecital von Barbara Lüneburg und das Abschlusskonzert des Deutschen Symphonie-Orchesters.

Zwei Klaviersonaten der St. Petersburgerin Galina Ustwolskaja (1919-2006), die erst seit dem Ende der Sowjetunion allmählich bekannt wird, rahmen Christoph Grunds Recital im Radialsystem. Oft werden an Ustwolskajas Klaviermusik die x-fachen Fortissimi und extremen klanglichen Härten betont, die im Dienst einer sehr individuellen Spiritualität stehen. Doch an der Klaviersonate Nr. 5 (1986) fallen nicht nur die heftigen Cluster auf, sondern ebenso das lange Nachlauschen und die häufigen Paarungen sehr hoher und sehr tiefer Töne, wie in Beethovens Spätwerk – nur der Anschlag ist völlig anders: Harte Gnade manifestiert sich in dieser Musik. In der 6. Sonate (1988) gibt es ein solches Nachlauschen hingegen nur in einem kurzen Piano-Intermezzo kurz vor Schluss. Ansonsten walzt die Musik, von Grund mit vollem Unterarmeinsatz auf die Tastatur geschmettert, heftig über den Hörer hinweg. Erstaunlich aber, wie der ebenso feinnervige wie athletische Grund die Walze umstandslos anhält, um die Noten umzublättern; und danach weiterzuwalzen.

Leise, aber keineswegs an der Grenze zum Unhörbaren, wie gern geschrieben wird, komponiert Mark Andre, Komponist der Wunderzaichen, für Ultraschallverhältnisse geradezu eine Berühmtheit. Magische elektronische Klänge steigen in S3 direkt aus dem Flügelkorpus auf, ausgehend von Aufnahmen, die André in Istanbul gemacht hat. So wie es in der deutschen Literatur immer Romgedichte geben wird, so lange die Villa Massimo ihre Stipendien vergibt, so bringen die DAAD- und sonstigen Komponistenstipendien alle möglichen Stadtgeräusche in die Musik; etwa auch die Unterwasserrecordings von Karen Power.

Überaus dankbar hört man Andrés kontemplativ, ja spirituell sirrende Klänge. Man muss beim Hören die Augen schließen, um verklärt zu werden – und es funktioniert, der Konzertgänger hat die Ewigkeit erblickt. Wie sie aussah, weiß er danach nicht mehr; aber sie klang wunderschön.

Rummeliger geht es in Franck Bedrossians The edges are no longer parallel zu: Der ganzkörperverkabelte Pianist darf am, auf, ums und im Klavier all das machen, was man als Kind gern getan hätte, aber wegen der Nachbarn nicht durfte. Man hätte den Eltern sagen müssen: Ich will das Opertonspektrum analysieren und ein Meta-Klavier erzeugen. Ein grandioses Spektakel, aber auch kleinteilig, weil der finger- und handflächenfertige Pianist immer an einer anderen Stelle einen neuen Prozess in Gang setzen muss. – Zum Konzert

Zugang verpasst…

In Barbara Lüneburgs Solo-Recital gibt es eine Bildershow mit sehr schönen Fotos von Eisstrukturen, arktischen Landschaften und Schiffsbugen, interessante Sätze über Identität/identity aus Forschungsprojekten in sozialen Netzwerken sowie interessante Glazialklänge aus dem Lautsprecher. Der Konzertgänger fragt sich nur, wer die sympathische Frau ist, die da am Rand der Bühne steht und ein wenig auf der Geige herumstreicht. Aber man hat schon langweiligere Urlaubsdias gesehen.

Die junge Ultraschall-Reporterin hat in diesem Recital mehr gehört. – Zum Konzert

…und ein gelungener Ausstieg

Zum Abschluss des diesjährigen Ultraschall-Festivals tritt wieder das Deutsche Symphonie-Orchester auf, das auch das durchwachsene Eröffnungskonzert gespielt hat. Für Simone Young ist kurzfristig der Dirigent Franck Ollu eingesprungen. Im Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks sitzt der Konzertgänger neben einem zufällig hereingeschneiten alten Herrn ohne Neue-Musik-Affinität, der hier vor 50 Jahren Ferenc Fricsay gehört hat und sich erinnert, wie weiland Karl Richter Bruckners Vierte verhunzte.

Liza Lims Pearl, Ochre, Hair String hat einen frohmachenden vollen symphonischen Sound, einen sehr spezifischen Ton, der wellenförmig durch das Orchester ritscht und ratscht, ausgehend vom Cello, das Mischa Meyer mit einem Bogen streicht, bei dem das Haar außenrum gewickelt ist. In Blau, See von Robert HP Platz deckt der Titel mehr Assoziationen zu, als dass er sie öffnete – trotzdem ist es ein fesselndes Oboenkonzert. Der Solist (François Leleux) musiziert gemeinsam mit dem Englischhorn auf der Empore, nach und nach treten weitere Instrumente hinzu. Bis die Große Trommel dreinfährt und das Stück zwar nicht abmurkst, aber in ständiger Wiederholung niederschmettert, so dass die Musik nur im Not-Modus weiterglimmt. In dem aber immer noch ein wunderbares Zwiespiel von Oboe und Tuba möglich ist. – Schön auch die eigens von Platz komponierte Zugabe, in der die Oboe scheherazadeerlesen auf einem Liege- oder besser Schwebeton von Flöten, Klarinetten, Hörnern und Trompeten singt. Leleux macht das vom Festival ermüdete Auditorium eindringlich auf die Qualität dieser Musik aufmerksam – so dass es sich doch noch zum rauschenden Applaus durchringt.

Das war ja Musik, murmelt der Fricsay-Veteran.

Zum Abschluss FLUCHT. Sechs Passagen von Peter Ruzicka, Vorgeschmack auf eine entstehende Walter-Benjamin-Oper: makellos theatralische Musik, die das Ausdrucksrad nicht gerade neu erfindet. Es gibt 6 klar unterscheidbare Abschnitte, jeder auf seine Weise gehetzt. Das klingt mitunter etwas routiniert, aber gut; und nach 5 Tagen neuer Musik mögen auch die Ohren des Konzertgängers erschöpft sein. – Zum Konzert

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