28.5.2016 – Liebend machend: „Die Zauberflöte“ im Konzerthaus

Unsere Kultur und Zivilisation geliebt machen – das nannte Iván Fischer in seinem charmanten ungarischen Deutsch auf der Pressekonferenz, in der das spannende, vielfältige Programm der nächsten Saison vorgestellt wurde, als Beweggrund für das außergewöhnliche Engagement des Konzerthauses für Flüchtlinge. Max_Slevogt_Zauberflöte_SzeneWer wäre geeigneter als Fischer, unsere Kultur geliebt zu machen?

Weil es nie zu früh und nie zu spät ist, sich dem dritten großen Rätselwerk unserer Kultur (Peter von Matt) zu nähern, pilgert das Publikum von 3 bis 99 zu Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte als „szenisches Konzert“. Auch der Konzertgänger mit seiner ganzen Familie; die Jüngste wohlpräpariert durch intensives Videostudium herausragender Königinnen der Nacht wie Diana Damrau, Natalie Dessay und Florence Foster Jenkins:

Iván Fischer dirigiert nicht nur sein Konzerthausorchester, sondern verantwortet auch die Inszenierung, die schon in Budapest, London und Abu Dhabi zu sehen war.  Das Orchester sitzt in einem Ad-hoc-Graben. Auf dem Podium blättern sich die Seiten eines großen Bilderbuchs um, vor dem die Sänger agieren. Im ganzen Saal bewegen sich sechs Schauspieler, die die Hauptfiguren spiegeln und die Sprechpassagen übernehmen. Die simulierte Spontaneität, mit der die sechs Darsteller im Publikum als scheinbar Freiwillige gefunden werden, ist zwar etwas ernüchternd, das Berlinerisch des Papageno-Doubles nicht astrein und der zum Teil umgeschriebene Text nicht immer besser als der von Schikaneder; aber auch nicht schlechter.

Die Aufführung macht durchgängig großen, großen Spaß. Das klein besetzte Konzerthausorchester spielt federleichten, stets deutlichen Mozart in einer originellen, aber wunderbaren Mischung aus historisch informiertem schlanken Sound (in der vibratofreien Schreckenspforten-Szene klingt es fast wie die Akademie für Alte Musik) und in einigen Arien eher breiten Tempi. Iván Fischer leitet es in seinem typischen kuriosen, furiosen Stil, mit schlaksigem Gefuchtel und viel Zeigefinger auf den Lippen: Sein Mut zu leisen Tönen ist geradezu ein Alleinstellungsmerkmal im Klassikbetrieb.

Die Sänger machen ihre Sache durchweg gut, obwohl sie es manchmal schwer haben, weil die Mikrofone der unsichtbaren Sprecher hinter dem Vorhang zu laut eingestellt sind und den folgenden Gesang anfangs dünner wirken lassen, als er tatsächlich ist.

Mandy Friedrich ist als Königin der Nacht mehr als wacker, klingt definitiv eher nach Damrau als Jenkins, erreicht jede Höhe und überzeugt als höllischer Stinkstiefel. Bernard Richter singt den Tamino nach kleinen Anlaufschwierigkeiten kraftvoll und männlich. Valentina Nafornita (Pamina) hat eine eher frauliche als mädchenhafte Stimme, ist aber in der Höhe ganz täubchenhaft. Krisztián Cser ist ein nobler Sarastro, Peter Harvey ein klarer, markanter Sprecher, Hanno Müller-Brachmann ein rundum überzeugender Papageno mit überragender Diktion. Die drei Damen Eleonore Marguerre, Olivia Vermeulen und Barbara Kozelj harmonieren aufs Damenhafteste, Drachentöterischste und Verludertste. Norma Nahoun und Rodolphe Briand sind ordentliche Papagena und Monostatos, Letzterer eindrucksvoll auch aufgrund seiner unter Lack und Leder sich wölbenden Wampe, die den Sohn des Konzertgängers fasziniert. Die Tochter verliebt sich sehr nachvollziehbar in die drei Knaben von der Ungarischen Staatsoper.

Unbestechliche Qualitätskontrolle: Die Tochter, 6, bleibt wach bis zum Schluss. Der Sohn, 9, vergisst seinen Groll wegen des verpassten Champions-League-Finales (er wird es dann noch zu Verlängerung und Elfmeterschießen, in dem ohnehin der Falsche gewinnt, nach Hause schaffen).

Eine der charmantesten Aufführungen der Saison. Geeignet, unsere Kultur geliebt zu machen. Und uns Hörer zu Liebenden. Sogar die Kinder des Konzertgängers zanken auf dem Heimweg nur halbherzig.

Zum Konzert / Zum Anfang des Blogs