Also sang „Zoroastre“: Rameau an der Komischen Oper

Wetten, dass das die lustigste Premiere der Saison ist? Jean-Philippe Rameaus Oper Zoroastre 261 Jahre nach ihrer Entstehung erstmals überhaupt in Berlin, ausgerechnet an der Komischen Oper.

ClavisArtis.MS.Verginelli-Rota.V1.003rDass man en passant erfährt, dass Sarastro von Zoroaster (alias Zarathustra) kommt, ist nur ein willkommener Nebeneffekt. Oder hat das die ganze Welt schon immer gewusst, nur der Konzertgänger nicht? Insofern passt Zoroastre wie der Tofu-Fisch aufs E-Bike zur Zauberflöte, mit der die Komische Oper gerade in Moskau war.

Auch Rameaus Librettist Louis de Cahusac war ein Freimaurer, und auch Zoroastre handelt vom Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit, des Tags wider die Nacht. Wie der Regisseur Tobias Kratzer die verworrene Auseinandersetzung zwischen Weiß und Schwarz auf die Bühne bringt, ist nicht weniger als: saukomisch. Wie er aber Weiß und Schwarz dann in ein grelles Grau vermengt: saugut. Weiterlesen

Melismatisch: Aribert Reimanns „Medea“ an der Komischen Oper

800px-Medea_1Bald Halbzeit für Medea! Dritte Aufführung von Aribert Reimanns Belcanto-Horror-Klopper an der Komischen Oper, vier Gelegenheiten gibt’s noch bis zu den Sommerferien. Ein Reimann-Sommer, wie er nicht so schnell wiederkommen wird: In zwei Wochen folgt die Gespenstersonate an der Staatsoper, nach den Ferien dann Reimanns neue Oper L’Invisible an der Deutschen Oper.

Opernfreunde, die danach keine Meinung über Reimann haben, werden mit Lebenslang im Opernmuseum bestraft.

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Mozart auf der Reise nach Moskau

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Ein Gastspiel ist eine Staatsaffäre. Am Abend bevor das Ensemble der Komischen Oper mit seiner Zauberflöte das Moskauer Tschechow-Festival eröffnen darf, hat es sich in der schönen Residenz des deutschen Botschafters einzufinden: »Italienische« Krypto-Renaissance in der Ulitsa Povarskaya 46, einer für Moskauer Verhältnisse ruhigen Seitenstraße im Arbat-Viertel, das irgendwas zwischen altem Adelsquartier, Künstlerkolonie und Touristenfalle ist. Geduldig und in zivil lauschen Tamino, Pamina, Papageno den Reden des Gesandten und Ständigen Vertreters, des Kulturreferenten, der Vertreterin des Goethe-Instituts, des Festival-Generaldirektors. Und immer wieder den Reprisen der Dolmetscherin. Thema mit Variationen: »Die hervorragenden kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland«. Die Redner müssen das Wort kulturelle nicht betonen, damit man die Betonung hört.

»It’s part of the job«, wird Tamino später sagen.

Für die Königin der Nacht gehört es sogar zum Job, einmal ihre Rache-Arie zu trällern. Da scheint selbst Bismarck seine schweren Augenlider ein wenig zu heben, der über dem Bechsteinflügel vor sich hin dämmert, müde geworden vom jahrelangen Grußwort-Einerlei und vielleicht auch vom ewigen Auf und Ab der deutsch-russischen Beziehungen. Später wird er, während die Menge zum Büffet strebt, wo auch Papageno sein Glas Wein erhält, ein kompetentes, unterfordertes Trio hören, das angenehme Musik von Mozart bis Satie spielt. Spätestens bei der Gnossienne ist Bismarck wieder im Ennui versunken.

Ein Gastspiel ist eine Staatsaffäre. Wagt der Besucher sich mutig zur Pforte hinein, die in die Proberäume des Bolschoi führt, muss er, sei seine Absicht auch edel und lauter und rein, eine Sicherheitsschleuse durchqueren, sich dem Metalldetektor präsentieren, seine Tasche öffnen. Er kennt das bereits, so ist es hier in jedem größeren Hotel, jedem Museum, jeder Shopping Mall, jedem U-Bahnhof.

Denn ganz Moskau ist eine Staatsaffäre.  weiterlesen →

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8.2.2017 – Animierend: Strawinsky / Ravel an der Komischen Oper

Wieder Live-Action-Cartoon-Oper an der Komischen Oper: Die zweite Produktion des britischen Regie-Teams 1927 wirkt runder und schlüssiger als die vielgerühmte Zauberflöte. Trotzdem ist man danach etwas unschlüssig, wohin der Ansatz führen soll und kann.

Spektakulär sieht die Verbindung von animierten Filmen und menschlichen Akteuren auf jeden Fall auch diesmal aus:

Und die Koppelung des Balletts Petruschka und der Kurz-Oper L’Enfant et les Sortilèges ist nicht nur deshalb einleuchtend, weil die Komponisten Igor Strawinsky und Maurice Ravel im Jahr 1913 eine Nacht im selben Bett geschlafen haben sollen. Sondern auch weil sie sich inhaltlich berühren: In einem Stück erwachen Jahrmarktspuppen zum Leben, im anderen Dinge und Gegenstände eines Kinderzimmers.

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3.2.2017 – Konzeptspektakulär: Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ an der Komischen Oper

Nichts ist so schlüssig wie ein Fragment. Zumindest wenn’s um romantische Kunst geht. Barrie Koskys Konzeptspektakel von Jacques Offenbachs Opus magnum-ultimum-infinitum Les Contes d’Hoffmann, jetzt als Wiederaufnahme an der Komischen Oper, ist im besten Sinne romantisch.

hoffmann-trinktEin abgehalfterter Säufer inmitten eines Ozeans von leeren Flaschen. Schon dieses erste, überwältigende Bild macht deutlich, dass Offenbachs fantastischer Bilderbogen hier das Hardcore-Kopfkino eines Schädels im Delirium tremens ist. Da ist noch kein Ton erklungen. Und dann kommt erstmal … Mozart! Denn in Offenbachs Opérette grotesque (so Kosky) ist hier E.T.A. Hoffmanns Erzählung Don Juan eingewoben. Oder umgekehrt: die Oper(ette) in die Don Juan-Erzählung eingewoben.

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29.1. 2017 – Exklusiv-Interview: Die Tochter des Konzertgängers über „Die Zauberflöte“ in der Komischen Oper

Auftakt zu einem kleinen Schwerpunkt Komische Oper in den nächsten vier Wochen. Die Wiederaufnahme von Les Contes d’Hoffmann (3.2.), die Neuproduktion Petruschka / L’Enfant et les Sortilèges (8.2.) und die Kinderoper Schneewittchen und die 77 Zwerge (26.2.) werden folgen.

quaglioZum Auftakt der Bestseller schlechthin der letzten Jahre, Suzannes Andrades und Barrie Koskys stets ausverkaufte Inszenierung der Zauberflöte à la 1927.

Gemeinsam mit der Tochter, sieben, die es nicht mag, wenn man ihr widerspricht. Darum statt einer Kritik ein Interview. Exklusiv, denn die Tochter spricht nicht mit jedem. Und sie hat nicht viel Zeit … Weiterlesen

15.10.2016 – Liebesangelnd: Wiederaufnahme von Dvořáks „Rusalka“ an der Komischen Oper

poster_for_the_premiere_of_rusalka_in_prague_31_march_1901Trotz (Binnen-)Seejungfrau, Prinz und Genrebezeichnung Lyrisches Märchen sollte man seine Tochter im Grundschulalter eher nicht zu Rusalka mitnehmen. Antonín Dvořáks krasse Mischung aus Tragödie, Passion und Horrorfilm könnte in ihrer zarten Seele einen Schreck bis ans Ende aller Tage hervorrufen. Andererseits gibt es ja nützliche Dinge, die man im Leben nicht früh genug lernen kann: äußerste Liebesverzweiflung etwa und innigste Todessehnsucht. Außerdem endet Barrie Koskys Inszenierung der Rusalka von 2011, die jetzt an der Komischen Oper wiederaufgenommen wurde und bis Weihnachten noch fünfmal zu sehen ist, in einem Schlussbild, das sich auf Lebzeit in die Seele einbrennt. Wie die verfluchte Nixe sich selbst den Angelhaken des Geliebten, den sie getötet hat, in den Mund legt, wird kein Zuschauer je vergessen. Weiterlesen

25. Juni 2015 – Affektengelehrig: ‚My Square Lady‘ in der Komischen Oper

Der Konzertgänger ist ein gut funktionierender Roboter: Die Mondarie aus Dvořáks Rusalka lässt ihn automatisch weinen, Schuberts Wanderer versetzt ihn automatisch in transzendentale Obdachlosigkeit und glückselig-tödliche Verzweiflung, Purcells One Charming Night entfacht in ihm automatisch feurige Lust auf seine Frau. Was den Konzertgänger betrifft, hätte man also die barocke Affektenlehre nie verdammen müssen, höchstens ein wenig modifizieren; denn auch die Klänge von Helmut Lachenmann oder Salvatore Sciarrino affizieren seinen Organismus automatisch.

Dass von dem süßen Roboter Myon, den die Komische Oper in Kooperation mit der Beuth-Hochschule auf die Opernbühne bringt, keine großartigen Kunststücke zu erwarten sind, hat der Konzertgänger bereits der Presse entnommen; auch der Roboter-Erfinder Professor Hild, alles andere als ein irrer Daniel Düsentrieb, versichert es von Anfang an. So hält die Enttäuschung sich von vornherein in Grenzen, zumal Professor Hild später beweist, dass er selbst nicht schlecht singen kann.

In der Tat ist Myon nicht gerade eine Rampensau, er kann aber recht gut sitzen und mit dem Kopf wackeln; später gelingt es ihm auch, zum Trinklied aus La Traviata den Takt zu schlagen, dirigieren wäre zu viel gesagt. Das erledigt Arno Waschk, der sich auch ans Klavier setzt und die Sänger bei ihren unverdrossenen Versuchen begleitet, dem humanoiden Dingsbums ein gewisses Verständnis für die Macht des Kraftwerks der Gefühle zu implementieren. Der KonzertgängerFeatured image fühlt sich an seine Versuche als Vater erinnert, gewissen anderen humanoiden Dingsbumsen die Faszination klassischer Bildung, zumal Musik zu vermitteln. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, lautet ein afrikanisches Sprichwort, das Remy Largo in seinen Babyjahren zitiert; einem Buch, dessen Erkenntnisse anscheinend auf Roboter zu übertragen sind.

Foto: Thomas Wolf, www.foto-tw.de

Dafür gibt es einen hübschen musikalischen Querschnitt durch das Repertoire der Komischen Oper, inklusive der Kinderopern Des Kaisers neue Kleider von Miloš Vacek (Rinke, ranke, rinke ranke Rosen, niemals ohne, ohne die Hosen) und der Schneekönigin von Pierangelo Valtinoni; bekanntlich gibt es hier die besten Kinderopern der Stadt, wenn nicht der Welt.

Zwischendurch allerdings etwas viel Geplänkel, überlange Rezitative sozusagen, denn die Performance der Gruppe God Squad besteht vor allem darin, Stichworte für sehr allgemeine Reflexionen über das Menschsein überhaupt und an sich und den Roboter zu geben. Da fühlt der Abend sich manchmal wirklich an wie stundenlanges Am-Gras-Ziehen. Trotzdem eine sympathische Veranstaltung, man hätte das Ganze ja auch hypertheoretisch aufblasen können als Post-Anthropozän-Humanoid-Projekt. Lieber so herum, spielerisch, auch wenn es mitunter etwas zäh ist.

Der berührendste Moment des Abends war ein sehr menschlicher: Die Mondarie aus der Rusalka widmeten die Musiker ihrer Kollegin Ina Kringelborn, die vor wenigen Tagen im furchtbar jungen Alter von 31 Jahren gestorben ist; kein Akkuwechsel konnte sie retten, erklärt die Sängerin dem verständnislosen Roboter.

Letzte Vorstellung am 5. Juli