Ein Förderverein zur Wiederentdeckung NS-verfolgter Komponisten und ihrer Werke hätte sein Ziel erreicht, wenn er überflüssig geworden ist. Davon ist musica reanimata zwar noch weit entfernt. Aber die Musik des 1894 geborenen avantgardistischen Tausendsassas Erwin Schulhoff, der 1942 im Internierungslager Wülzburg zu Tode kam, taucht im klassischen Konzertleben öfter auf. Schulhoffs vielseitiges Werk ist jedoch erst zum Teil erschlossen, und so ist es ein guter Einfall, das Jubiläumskonzert zum 25jährigen Bestehen des Vereins diesem (wieder) bekannt gewordenen Künstler zu widmen, zugleich bei dieser Gelegenheit unbekannte Schulhoffwerke vorzustellen.
Unbekannt sind Schulhoffs Lieder, über die Gottfried Eberle eben ein Buch veröffentlicht hat. 16 Lieder werden im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses vorgetragen, davon 7 als Uraufführungen. Von den Zigeunerliedern des 16jährigen über Vier Lieder auf Texte von Hans Steiger, in denen der 19jährige Schulhoff Abschied von der Tonalität nimmt, bis zu den faszinierenden Fünf Gesängen mit Klavier von 1919 auf schwer menschheitsdämmernde Texte voll expressionistischer Substantivierungen spannt sich der Bogen. Offenkundig hat Schulhoff sich schon in seiner frühen Zeit ständig neu erfunden. Die Qualität ist naturgemäß unterschiedlich, es sind aber Juwelen darunter wie die neu entdeckte zauberhafte Miniatur Lass mich an deinem stillen Auge oder der mysteriös schwebende Gesang Langsam wandle ich dahin.
Der Bariton Hans Christoph Begemann singt sehr solide, bewältigt auch zuverlässig Schulhoffs im Lauf der Jahre zunehmende Falsettvorliebe. Oft scheint der Klavierpart (Klaus Simon, der die Lieder auch bei Schott ediert) interessanter als die Singstimme. Im Zigeunerlied Rings ist der Wald wiederholt sich ständig ein einziges rhythmisches Modell von fast schubertscher Einfachheit. In Nun versank der Abend taucht der Klaviersatz in skrjabinhafte Nebelsphären ab.
Vergleichsweise etabliert ist Schulhoffs Kammermusik, aus der zwei spannende Werke gespielt wurden: In den 5 Stücken für Streichquartett „à Darius Milhaud“ von 1923 gibt es einen atonalen Walzer mit rhythmischem Versteckspiel, eine Serenade mit sphärischen Flageolettklängen, Tango und Tarantella und Kunstfloklore alla czeka. Das Kleequartett, vier junge Japanerinnen, spielt das sehr akkurat, aber vielleicht nicht ganz adäquat, ohne jede Schroffheit; das Feuer der 20er Jahre im allgemeinen und Schulhoffs im besonderen lodert so nur auf Sparflamme. Zu artig, sagt die japanische Freundin des Konzertgängers, die öfter ins Konzert geht als er, vielleicht ist das unser Charakter. Wer weiß. Aber ein Tarantelstich würde diesen technisch brillanten Musikerinnen guttun.
Nichts zu kritteln gibt es beim unbestrittenen Meisterwerk des Abends, Schulhoffs 1. Streichquartett von 1924, das das Repertoire jedes Quartetts bereichert (hier kann man reinhören und mitlesen). Alles ist da, das Funkensprühen im Presto con fuoco, die groteske Melancholie im sensationellen zweiten Satz mit seinen Flageolettwogen, slowakische Folklore im Allegro giocoso. Der langsame Satz steht hier sehr effektvoll am Schluss, Andante molto sostenuto, ein jenseitiges Finale, das seinesgleichen sucht.
Die nächsten Konzerte von musica reanimata am 24. und 25. November beschäftigen sich mit Artur Schnabel als Komponist und Interpret.
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