Es rappelt Raritäten: neunundneunzig Nixen und Nöcks, elfundelfzig Elfen und irisierende Irrlichter von sage und höre zweiundzwanzig verschiedenen Komponisten. Acht von ihnen Klassiker, von sechsen hat der Konzertgänger noch nie gehört, von weiteren acht zumindest schon mal den Namen vernommen; wenn auch nicht immer als Komponisten. Während im (vielleicht für sowas allzu gut ausgeleuchteten) Großen Saal der Philharmonie das DSO den Nixe-im-Mondschein-Schwelger Rusalka konzertant aufführt, hält im Kammermusiksaal die offizielle Saisongästin der Berliner Philharmoniker Hof, Marlis Petersen, quellkundige Nickerine unter den Sopranistinnen: Anderswelt heißt ihr Liederabend.
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Beherzt: Berliner Philharmoniker, Fischer, Gerhaher mit Dvořák, Wolf, Schubert
Für den Weltklasse-Orchester-Freund in Berlin ist bereits zwischen drittem und viertem Advent Bescherungsbrimborium: Dienstag und Freitag die Wiener Philharmoniker im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Donnerstag die Berliner Philharmoniker in ihrem eigenen Haus. Ein herzensvolles Konzert, Iván Fischer dirigiert, Christian Gerhaher singt: auf dem Gabentisch liegen Dvořák, Lieder von Hugo Wolf und Schuberts große C-Dur-Sinfonie.
Die Legenden op. 59 von Antonín Dvořák scheinen mit zwei Stück gerade richtig dosiert: Nummer 6 in cis-Moll und Nummer 10 in b-Moll, die letzte. Sie alle zu hören, würde vielleicht Überdruss bereiten. Weiterlesen
Belesend: Gerhaher singt, Huber spielt Schubert, Wolf, Berg, Rihm
Doppel-Benikolausung in der Philharmonie: Während im Großen Saal Teddy Currentzis (für manchen Traditionalinski eher ein Knecht Ruprecht) das großmahlersche Riesen-Schoko-Likör-Ei in den Stiefel batzt und dabei selbst eingeschworene Rezensissimi wie Krieger überzeugt, kredenzen der Sänger Christian Gerhaher und sein Pianistenpartner Gerold Huber im Kammermusiksaal 24 allerfeinste Preziosen. Edelste, nobelste Gäste sind da: Altbischof Huber etwa, Tabea Zimmermann; Thomas Quasthoff plaudert vor Konzertbeginn mit Max Raabe, der Fahrradfreundlichsten Persönlichkeit 2019. Ja, für solche Gaben hängt man die Seidenstrümpfe seiner Liebsten vor die Tür: 95 Minuten Liedkunst von Franz Schubert, Hugo Wolf, Alban Berg, Wolfgang Rihm. Weiterlesen
28.4.2016 – Akazisch: Artemis Quartett spielt Wolf, Janáček, Beethoven im Kammermusiksaal
Unter all den Janáček-Wundern sind seine beiden Streichquartette nicht die geringsten. Auch in ihnen hopst die Musik von einer Motiv-Insel zur nächsten und erzeugt dabei einen gleichsam buddhistischen Rausch des Mitleidens, von dem Parsifal nur träumen kann. Im Fall von Leoš Janáčeks Streichquartett Nr. 1 „Kreutzersonate“ tritt ein Mirakel hinzu, das eigentlich eine produktive Fehllektüre ist: Ich hatte die arme, gequälte, geschlagene, erschlagene Frau im Sinne, über die der russische Schriftsteller Tolstoj in dem Werk ‚Die Kreutzersonate‘ schrieb. Janáček hat die abstoßend misogyne und misomusische Erzählung, in der das Alter Ego des Autors sich selbst bejammert und talibangleich erlöst (mittels Eifersuchtsmord an der musizierenden Gattin), in einem nur neuntägigen Schaffensanfall in ein Stück des Leidens und Erbarmens von derart aufwühlender Menschlichkeit und Schönheit verwandelt, dass es kaum auszuhalten ist.
Zumal wenn das Artemis Quartett es spielt.
Eindringlich nicht nur, weil Violinen und Bratsche stehen; der spürbar leitende Cellist Eckart Runge sitzt auf einem Podest, der Augenhöhe wegen. Das im dritten Satz versetzt einfallende Kreischen der zweiten Geige und Bratsche rüttelt und schüttelt einen durch und durch. Auch der Gedanke an die Katastrophe, die das Quartett im vergangenen Sommer getroffen hat, macht diese Musik unerträglich intensiv.
Damit kann man guten Gewissens keinen Menschen in die Nacht entlassen. (Auch wenn das kultivierte Publikum bestimmt einiges abkann: auffällig viele Franzosen unter den Zuhörern, ein weltberühmter Theologe, der Bundesfinanzminister.) Es ist schön, dass man bei der „Kreutzersonate“ noch das luftige Eröffnungsstück des Abends im Ohr hat, Hugo Wolfs Italienische Serenade G-Dur. Die Zerbrechlichkeit und Gefährdung, die den hellen Ton der Primaria Vineta Sareika kennzeichnen und bei Janáček so markerschütternd wirken, zeigen sich in diesem lustigen Rondo von einer ganz anderen Seite: vergebliche Liebesmüh eines nächtlichen Sängers.
Im Adagio von Beethovens Razumovsky-Streichquartett F-Dur opus 59, 1 mit seiner insistierenden Klagefigur, dem Trauerweiden- oder Akazienbaum aufs Grab meines Bruders, ist einem freilich, als hörte man Janáčeks „Kreutzersonate“ von neuem. Der leidenschaftliche Ton des Cellisten Runge, der den ellenlangen Kopfsatz pastoral und drängend zugleich eröffnet und sich im Adagio dann in berührende Diskanthöhen hinaufsingt, prägt das ganze Stück. Die Neue im Quartett, Anthea Kreston, setzt gelegentlich wohltuende ironische Kontrapunkte , wie es auf seine stoische Weise auch der zur Bratsche gewechselte Gregor Sigl tut. Und fast (aber nur fast) ist man erleichtert, dass die mitreißende Musik im Finale abbricht, weil Sigl die Saite gerissen ist: So hochprofessionell das Quartett nach einigen Minuten mit den Trillern der ersten Geige erneut den Schlusstanz einleitet, ist der emotionale Sog natürlich futsch, zumal Sigl die neue Saite beim Spielen unauffällig nachstimmen muss.
Beim ätherischen Stillstand kurz vor Schluss bedauert der Konzertgänger, dass Beethoven als Wiener Klassiker, der er ja 1806 noch mehr oder weniger war, das Stück nicht hier schon zu Ende sein lassen konnte. Dort, vor den knalligen Schlussakkorden, sollten mal die Saiten reißen!
Zugabe der vierte Satz aus KV 387. Den ganzen Mozart gibt’s im nächsten Berliner Konzert des Artemis Quartetts am 23. Mai.
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