Gamelanmusik, rief Professor Herbert Schnädelbach seinerzeit im Seminar zur Philosophie der Musik, als er die Rede von Musik als „universaler Sprache“ (etwa Beethovens 9. Symphonie) widerlegte: Dann hören Sie sich doch mal Gamelanmusik an!
15 Jahre und etwa ein dutzend Neunte später folgt der Konzertgänger dieser Aufforderung: bei einem Abend mit indonesischer Musik im Rahmen der Reihe Unterwegs – Weltmusik im Kammermusiksaal, die Roger Willemsen vor vier Jahren ins Leben gerufen hat. Wegen einer schweren Erkrankung kann er die Konzerte derzeit nicht moderieren (von hier aus gute Wünsche!), doch dank der Kuratorin Birgit Ellinghaus finden die „Blind Dates“ mit den musikalischen Schätzen der Welt weiterhin statt. Die Moderation hat die Aspekte-Moderatorin Katty Salié übernommen, die allerdings mit ihrem Kultur-TV-Sprech die Geduld des graumelierten Weltmusik-Interessierten auf die Probe stellt. Ein Konzert ist kein musikwissenschaftliches Seminar, trotzdem wäre es schön, statt Allgemeinplätzen über indonesisches Essen ein wenig über musikalische Strukturen, Harmonik oder auch Notation zu erfahren. Das vorzügliche Programmheft mit einem lehrreichen Text von Colin Bass und Katerina Pavlakis schließt diese Lücke aber teilweise.
Und ein wenig lässt sich die musikalische Fremdsprache durch bloßes Hören erlernen. Gamelanmusik gibt es nur im ersten Teil, den das Ensemble Gamelan Taman Indah aus Leverkusen (!) bestreitet. Auf der Bühne stehen sechs Tonnen schwere Bronze-Gongs, Xylophone und Trommeln, dazu Flöten und Streichinstrumente, zwischen denen die dreizehn Musiker hin und her wechseln; in der indonesischen Musik sind offenbar Allrounder gefragt, nicht Spezialisten wie im europäischen Symphonieorchester. Überhaupt nicht schwer, sondern schwebend leicht klingt die klassische javanische Gamelanmusik, die bald den Saal füllt – eine edelmetallische Wohllautwolke, die viele Hörer sicher eher eingelullt als meditativ genießen (aber das mag im abendländischen Klassikkonzert oft ähnlich sein).
Die Auswahl ist gelungen, denn der Neuling hört sich leicht in den unterschiedlichen Charakter der stets auf geraden Takten basierenden Stücke ein. Er lernt, zwischen den in immer neuen Mischungen miteinander verschmelzenden Gongs zu differenzieren, und gewinnt den zarten Sound der Spießgeige (Rebab) lieb, die manchmal wie eine ganz leise E-Gitarre mit Distortion-Effekt klingt; nein, es ist natürlich umgekehrt, die verzerrte E-Gitarre klingt wie eine viel zu laute Spießgeige.
Ketawang Puspawarna Mulyaras, die Komposition eines Prinzen, wird im Dunkeln gespielt, eine Nachtmusik von berückender Atmosphäre, die auch ohne das Grillenzirpen vom Band fesseln würde. Dem betörenden Chorgesang schließt sich ein wundervoller Zwiegesang von Spießgeige und Bambusflöte an.
Ganz anders ist der zweite Teil mit Talago Buni aus der Minangkabau-Region auf Sumatra. Schon optisch: die Bühne ist komplett entschlackt, die sechs Musiker benutzen ihre Stimmen, Flöten sowie leichtes Schlagwerk; nur die große Trommel aus Kokosnussbaumholz erinnert an die gewichtigen Instrumente von Java, ist aber ein Eigenbau des Ensembles, das Instrumente weiter- und neuentwickelt.
Man lernt, dass Minangkabau die größte noch existierende matrilineare Gesellschaft der Welt ist – und zugleich orthodox muslimisch. (Gern würde man all die Schlaumeier von Dresden und anderswo, die so gern über den Islam dozieren, dort hinschicken; aber es würde wahrscheinlich nichts nützen.) Die konservatoriumsstudierten Musiker von Talago Buni, fünf Männer und eine Frau (die eine Art Zweispitzkopftuch trägt, sehr elegant, etwa so), haben deutlich virtuosere Aufgaben zu erfüllen als die Kollektivisten des Gamelanklangs. Sie reproduzieren keine klassischen Klänge, sondern binden lokale Traditionen von Westsumatra in moderne, teils avantgardistische Kompositionen ein. Höchste melismatische Gesangskunst verbindet sich mit den Dialogen verschiedener Bambusflöten, deklamatorischer und rezitativischer Sprechgesang inklusive Lachen mit wiederkehrenden rhythmischen Modellen, die von Pop-Pep bis zu sufischem Kreisen reichen. Das Stück Galuik Sirompak von Muhammad Halim Susandra Jaya baut sich aus abgerissenen, fast abstrakten Bestandteilen auf, wie Beschwörungsformeln; sie schwellen zu einer gewaltigen Klangtrance an, die sich am Ende erschöpft aushaucht.
Vielleicht keine universale Sprache; aber eine musikalische Offenbarung.
Zum Konzert. Weitere Blind Dates mit musikalischen Schätzen am 26. Januar (Naher Osten) und 26. April 2016 (provenzalische Troubadourmusik)
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