Wenn Computer mittlerweile nicht nur in Trivialspielen wie Schach, sondern sogar im verzwackten Go humane Champions ausknocken, warum sollen sie nicht auch komponieren? Bei MaerzMusik stellen menschliche Musiker am Samstag im Haus der Berliner Festspiele mehrere Werke vor, die von Maschinen komponiert wurden: Zunächst in einem historischen Exkurs ein von nahezu antiker Informatik ersonnenes Streichquartett, die Illiac Suite von 1957. Offenhörlich wurde das Programm mit diversen Streichquartetten und Harmonielehrbüchern gefüttert, die ersten Sätze sind diatonisch, die hinteren chromatisch. Da denn doch das gewisse musikalische Etwas fehlt, beschäftigt man sich wie beim lustigen Zitatesuchen damit, den Input herauszuhören und sich über die Individuierung durch die menschlichen Musiker zu freuen, vier Streicher vom Ensemble KNM Berlin.
Da sind die aktuellen Elaborate des Iamus Computers des Biomimetischen Instituts der Universität Málaga schon eine andere Herausforderung. Man erfährt, dass Iamus seine Werke generiert, indem er, evolutionäre Prozesse simulierend, musikalische DNA mutiert – was auch immer das heißen mag, das Hörerlebnis ist verstörend. Der Pianist Gustavo Díaz-Jerez spielt (mit Papiernoten und Umblattlerin) mehrere Stücke am Konzertflügel vor, die ziemlich komplex dahinfließen. Offenbar, sagt das Ohr, in den Jahren nach 1900 komponiert. Zweifellos hielte man es für ein sehr atmosphärisches Stück, wenn Díaz-Jerez, der auch Komponist ist, es als sein eigenes Werk ausgäbe, vielleicht mit dem Titel Noche Canaria. Aber wir wissen ja, woher es kommt; zumindest ungefähr, das mit der Simulation evolutionärer Prozesse und Mutation musikalischer DNA haben wir nicht verstanden.
Man kann nun die Augen schließen und sich als Ort dieser Musik eine Planet-Solaris-Cogitare-ergo-essere-Sphäre vorstellen. Oder als Urheber einen qua Mysterium depersonalisierten Skrjabin. Aber das hilft nur bedingt. Obwohl der Musikfrankenstein der Universität Málaga Francisco José Vico überaus sympathisch wirkt und zur Diskussion einlädt, setzt sofort nach dem letzten Ton eine geradezu panikartige Flucht des Publikums ein, die beweist, dass dieses Konzert (ex negativo) an etwas Entscheidendes rührt, was Musik selbst in ihrer avantgardistischsten Form den meisten Menschen bedeutet: Kommunikation mit einem Urheber. Man begreift schlagartig, wie sich ein Mensch in Konzerten fühlen muss, dem (wie etwa Robert Musil) der Rezeptor für die kommunikative Qualität von Musik völlig abgeht: gewaterboarded. Ob sich Díaz-Jerez‘ Vorschlag erfüllen wird, der Tondichter der Zukunft solle Iamus ganz pragmatisch als kompositorisches Tool benutzen, bleibe dahingestellt.
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