What’s next? Sperm playing Rachmaninoff? fragte einmal angesichts des neuesten Wunderkindvideos ein Kommentator bei Youtube. Das Alter der Solisten im Konzerthaus beträgt immerhin zwölf, fünfzehn und zwanzig – und zwar Jahre, nicht Schwangerschaftswochen. Sie spielen im Rahmen der Hommage an Yehudi Menuhin das Programm, das selbiger im Alter von zwölf Jahren 1929 in Berlin gab, in einem legendären Konzert mit Bruno Walter am Pult. (Die älteren Besucher werden sich erinnern.) Heute dirigiert der Brite James Judd, ein veritabler Rudi Gutendorf der klassischen Musik, Weltenbummler zwischen Israel, Neuseeland, Utah und der Slowakei. Und macht seine Sache prima; aber das Augenmerk liegt natürlich auf den jungen Geigern.
Die grundsätzliche Frage, ob man Musiker in diesem Alter unbedingt der großen Bühne aussetzen muss, ist natürlich kein Einwand gegen die Solisten und erst recht kein Zweifel an ihren offenhörlichen Hochbegabungen. Das etwas beklemmende Bild des pummeligen Yehudi mit Herrn Walter relativiert diese Frage auch; wenn’s ein Irrwitz ist, so doch nicht aus Zeitgeist.
Der Saal ist voll, das Publikum begeistert, es bejubelt jeden der drei wie den Superenkel, von dem man nie zu träumen wagte. Die Junggenies machen ihrerseits schon mal Bekanntschaft mit dem Abokonzert-Fegefeuer, das da heißt Hustenexzesse bei Bach, Türenbumpern im Beethoven-Larghetto und Handyklingeln im Brahms-Adagio. Sie zucken nicht mit der Wimper deshalb.
Die 12jährige Yesong Sophie Lee aus den USA, Gewinnerin des Menuhin-Wettbewerbs 2016 in der Kategorie Junior (der Senior ist 17), spielt auf einer Guarnieri-Geige das Violinkonzert E-Dur BWV 1042 von Johann Sebastian Bach, technisch exzellent und mit hellem, glanzvollem Ton. Bei aller Frische alte Schule mit viel Vibrato. Sie ist aber zum Glück nicht das dressierte Püppchen, das man vorher doch befürchtet hat: Aktiv sucht sie Blickkontakt zum Orchester, wendet sich um, lächelt, reagiert, freut sich merklich an der Musik.
In Beethovens Violinkonzert D-Dur überrascht zunächst das Konzerthausorchester unter James Judd positiv: Viel konturierter, prägnanter, aktiver klingt es als vor drei Wochen unter Thomas Sanderling mit dem (brillanten) Josef Špaček. Der in Schweden geborene Daniel Lozakovitj (15, Hobby in Geigenpausen: Schach) ist bereits mit Valery Gergiev im Mariinsky aufgetreten und absolviert den Solopart mit Bravour, mag er auch im Kopfsatz hier und da noch an natürliche (oder eher übernatürliche) Grenzen stoßen. Im Rondo zieht er das Orchester frech hinter sich her. Phrasierung, Agogik und Dynamik sind vorbildlich; eine gewisse letzte Dringlichkeit (die ja auch immer eine Projektion des Hörers ist) mag sich noch einstellen. Man will natürlich nicht so weit gehen, ihm Schicksalsschläge zu wünschen; ein paar Slayer-Downloads wären auch was. Fast erschreckend ist es, dass Lozakovitj bereits die Erwachsenenmarotte übernommen hat, die Blumen an die nächstsitzende Orchesterstreicherin weiterzureichen. Und eine Bachzugabe zu spielen.
Der dänisch-amerikanische Geiger Stephen Waarts, als einziger Solist noch im 20. Jahrhundert geboren, zeigt in Johannes Brahms‘ Violinkonzert D-Dur eine sympathische, stellenweise faszinierende Nonchalance gegenüber oberflächlicher Tonschönheit. Ein Geiger der leisen Töne, dem das Spröde, Fahle zu liegen scheint; seine dramatische Bewegung kommt ganz von innen, ohne äußerliche Effekthascherei; im Adagio gelingt ihm ein zarter, völlig unklebrig singender Ton, unbeirrt davon, dass das Orchester hier bisweilen etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Sehr einnehmend wirkt, dass er einen riesigen, recht grindigen Wischlappen auf dem Dirigentenpult ablegt; und als Zugabe nicht Bach spielt, sondern Eugène Ysaÿe.
Der zwölfjährige Menuhin soll bei einem weiteren Wunderkindkonzert 1929 noch das Mendelssohn-Violinkonzert als Zugabe gespielt haben. Darauf muss das Publikum im Konzerthaus verzichten, dennoch ein gewinnbringendes und v.a. viel versprechendes Konzert.
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