Sterntanzend: Berliner Philharmoniker spielen Strawinsky, Zimmermann, Rachmaninow – und nächtlichen Grisey

Dreierlei Tanzmusiken in der Philharmonie. Nein, viererlei. Denn nach dem Konzert der Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko tanzt es sich erst so richtig sternwärts – im nächtlichen Foyer.

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Zwangshammernd: Kirill Petrenko dirigiert Mahlers Sechste

Mahlers Sechste (zeitgenöss. Darstellung)

Die Menschheit teilt sich in zwei Gruppen, die vermutlich unterschiedlich groß sind: diejenigen, die sich brennend für die Frage interessieren, ob in Gustav Mahlers 6. Sinfonie zuerst das Scherzo und dann das Andante kommt oder aber zuerst das Andante und dann das Scherzo. Und diejenigen, denen es egal ist. Kirill Petrenko macht bei den Berliner Philharmonikern zuerst das Andante und dann das Scherzo. Was unter anderem zeigt, dass sich in dieser Hinsicht sein Abgrenzungsbedürfnis zum Vorgänger Simon Rattle in Grenzen hält.

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Monumental-intim: Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko spielen Josef Suks Asrael-Symphonie

Propheten dürfen vor – Kritiker auch?
(Außerdem oben 4. v.l. Todesengel Asrael)

Prima Raritätenquote nach wie vor von Kirill Petrenko bei den Berliner Philharmonikern! Doch erstmal muss man durch gespannte Atmosphären: Im Kassenbereich drängelt sich ein bekannter Kritiker an der Reservierte Karten-Schlange vorbei, mit demütigender Ignoranz für den hilflosen Philharmonie-Mitarbeiter, der ihn mehrfach freundlich bittet, sich (wie andere Besucher und Kritikerkollegen) anzustellen. Im Block B hört man dann einen gutbürgerlichen Normalbesucher ohne Scham über „nur noch Araber und Türken“ abrotzen. Aber Beethoven hören, ist klar!

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Lorbeerig: Emmanuelle Haïm bei den Berliner Philharmonikerinnen

Wird die Nymphe zum Lorbeer …

Dirigentinnen-Alarm in Berlin! Am Sonntag wird Karina Canellakis das RSB leiten, am Donnerstag steht Mirga Gražinytė-Tyla im Konzerthaus am Pult, am 30. 10. dirigiert Oksana Lyniv die Staatskapelle. Für sie alle gilt dasselbe wie dieser Tage für Emmanuelle Haïm bei den Berliner Philharmonikerinnen (Achtung, Männer sind im ganzen Text mitgemeint): Sie ist nicht da, weil sie eine Frau ist. Vor ein paar Jahren hätte man sogar gesagt, sie sei da, obwohl sie eine Frau ist. Diese Zeiten scheinen zum Glück halbwegs vorbei, der Frauenmangel an den Pulten ist mittlerweile jedem, der kein Grauselzausel, peinlich. (Hier übrigens eine schöne Playlist von Corina Kolbe mit Aufnahmen von Dirigentinnen.)

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Musikfest 2019: Karajan-Akademie mit Susanna Mälkki

Einzige Komponistin und einzige Dirigentin beim diesjährigen Musikfest — Pflichttermin also! Aber ebenso Lusttermin, denn die Dirigentin der Karajan-Akademie im Kammermusiksaal ist Susanna Mälkki, und die Komponistin ist Olga Neuwirth. Wobei man schon mal sagen muss, dass beim stets jubiläumsfreudigen Musikfest (150 Jahre toter Berlioz heuer) ein Programm mit Werken von Clara Schumann, geboren 1819, gewiss kein Fehler gewesen wäre. Nicht an diesem Abend, nicht statt Neuwirth natürlich, sondern anstelle von – halten zu Gnaden – Beethoven und Schubert, die dieser Tage in ziemlich unmotivierten Interpretationen zu hören waren.

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Musikfest 2019: Peter Eötvös mit dem Ensemble Musikfabrik und den Berliner Philharmonikern

Ein Tag für und mit Peter Eötvös beim Musikfest Berlin: ein einnehmendes musikalisches Beisammensein. Eötvös ist kein eitler Selbstdarsteller, sondern wirkt sachlich, bescheiden, freundlich. Das ist durchaus schätzenswert in Zeiten so vieler grabschender und cholerischer Männer im Klassikbetrieb. Am Sonntag leitet Eötvös (während Frank Castorf mit Verdis La forza del destino das Deutsche-Oper-Publikum triggert) zuerst das Ensemble Musikfabrik im Kammermusiksaal und eine Stunde später die Berliner Philharmoniker im Großen Saal. Keine üble Leistung mit 75! Und es geht dabei auch noch bis nach Japan und ins maurische Mittelalter.

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Wohlkandidelt: Kirill Petrenko inauguriert mit Alban Berg und Beethovens Neunter

Ausnahmezustand? Nun ja, die alte Nachbarin des Konzertgängers und der Späti-Verkäufer am Eck wirken tiefenrelaxt wie immer. Aber das philharmoniker-affine Berlin freut sich, dass Kirill Petrenko inauguriert. Während der Wartezeit auf den neuen Chef der Berliner Philharmoniker wirkte die Stimmung ja teilweise überkandidelt, auch dieses Blog hier kandidelte hoch. Aber fürs offizielle Antrittskonzert hat Petrenko dennoch ein ganz besonderes Werk ausgesucht, etwas Ewiges gleichsam.

Sie wissen natürlich längst, wovon die Rede ist. Richtig: Alban Bergs Lulu-Suite.

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Zackig: Andris Nelsons und Daniil Trifonov bei den Berliner Philharmonikern

Vera Skrjabina 1907

Die älteren Abonnenten werden sich erinnern: Zum letzten Mal wurde Alexander Skrjabins Klavierkonzert fis-Moll im Oktober 1910 bei den Berliner Philharmonikern gespielt, von Skrjabins verlassener Ehefrau Vera in der alten Philharmonie an der Bernburger Straße. Statistisch gesehen also ein Jahrhundertereignis, wenn der scheidende Artist in Residence Daniil Trifonov es jetzt wieder spielt. Beim letzten Mal dirigierte Wassili Safonow, der ist schon länger indisponiert, am Pult darum diesmal Andris Nelsons.

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Frugalfeurig: Constantinos Carydis bei den Berliner Philharmonikern

Schnackeliges Berliner Philharmoniker-Debüt von Constantinos Carydis. Nur hoffentlich kein Treppenwitz deutscher Austeritätspolitik, dasss ausgerechnet ein griechischer Dirigent in Berlin zum Sparen gezwungen wird: kein Solist, zwei reine Streicherstücke und zwei Mozartsinfonien mit überschaubarem Gebläse. Aber vielleicht ist es wirklich sein ureigenster Wunsch so. Auch gar nicht so wichtig. Denn wenn Carydis dirigiert, dann brennt das Sparschwein.

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Hochkulti und Subkulti

Die leichte und die allerhöchste Muse nah am Grauen gebaut, Subkultis im eingemauerten Laboratorium und das neue Berlinlied mit Migrationshintergrund: Berlin in der Musik – von Frau Luna und dem in Auschwitz vergasten Tauentzien-Besinger Willy Rosen über Nina Hagen und David Bowie bis zu avantgardistischem Nachtigalltrapsen und dem Stadtaffen Peter Fox. Mein Artikel jetzt in der neuen Ausgabe von 128 – Das Magazin der Berliner Philharmoniker. Irgendwann hoffentlich auch in digitaler Form erhältlich, aber zumindest rinkieken könnse online. (Und bestellen sowieso.)

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KURZ UND KRYPTISCH (2): Blomstedt bringt Wilhelm Stenhammar nach Berlin

KURZ UND KRITISCH hieß einst eine Rubrik im Tagesspiegel, die es leider nicht mehr gibt. Da aber k & k immer fein ist, wird der Konzertgänger, wenn er wenig Zeit hat, in Zukunft immer mal KURZ UND KRYPTISCH rezensieren. Heute: Herbert Blomstedt und Yefim Bronfman bei den Berliner Philharmonikern.

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Geschehend: Bernard Haitink und Paul Lewis bei den Berliner Philharmonikern

Sag niemals nie, aber fühlt sich ziemlich nach Farewell an in diesem bewegenden Konzert von Bernard Haitink bei den Berliner Philharmonikern. In der Saisonvorschau 2019/20 fehlt sein Name, der sonst immer dastand. Gebrechlich wirkt der nun ja nicht mehr ganz jugendliche 90jährige am Freitag nach der zweiten von drei Aufführungen, schwer erschöpft, wie er sich am Ende auf seinen Gehstock stützt, sogar für den tosenden Applaus der grausamen Verehrer noch einmal extra herauskommt. Andererseits, wie kaputt wäre erstmal ein 19jähriger heutzutage, nach einem Brucknerdirigat! Ein Sabbatical wolle Haitink einschieben nach mehreren Stürzen, hört man, that’s the spirit, und inshallah, sag niemals nie.

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FFF: Saisonvorschau der Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko

Ok, Beethoven. Aber kein kompletter Sinfonienzyklus, wie es ihn zum 250. Geburtstag circa 250mal geben wird, sondern die drei großen Fs: Friede, Freude, Fannkuchen Freiheit! Und das ist auch gar kein Anlass zum Blödeln. Denn Kirill Petrenko ist es spürbar ernst, als er bei der Ankündigung der kommenden Konzertsaison erläutert, warum er mit Beethovens Neunter (einmal in der Philharmonie, einmal vor dem Brandenburger Tor) einsteigen wird in seine erste Saison als nun aber wirklich Chef der Berliner Philharmoniker: Weil dieses Werk seine Wahl wäre, wenn die Menschheit ein einziges ins Weltall schießen wollte, um von sich selbst dem Universum zu erzählen, mit aller Freude, allem Großem und allem Schrecklichem.

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Lippenhängend: Rattle kehrt mit Bachs „Johannespassion“ wieder

Neuer Chef trifft den alten? So ein Quatsch.

Hoppla, gleich nach dem Neuen ist der Alte da – und er ist immer noch der Alte, will heißen junggeblieben: Simon Rattle dirigiert die Berliner Philharmoniker eine Woche, nachdem es sein Nachfolger Petrenko tat. Und siehe, das verträgt sich. Welt-Kritiker Manuel Brug, an dem sich die Geister scheiden, hielt kürzlich der Musikkritik das hysterische Japsen über die Petrenko-Ankunft vor (auch mit Zitaten von dieser Seite, einem davon allerdings missverstanden). Brugs wohl wichtigster Punkt: Eine ihrer verlorenen Bedeutung hinterherjagende Musikkritik macht aus Kirill Petrenko den Heiland schlechthin! Und verteufelt allen Ernstes bereits jetzt Simon Rattle, dem sie vorher noch ähnlich albern zugejubelt hat, macht ihn klein, und den aktuellen Nachschöpfer zum angehimmelten Gott. Offenbar wird das immer noch so gebraucht. Ein Ersatz-Christus muss sein.

Recht hat er. Dann lieber den richtigen Christus. Johannespassion. Bach.

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Seelfoppig: Petrenko und Kopatchinskaja bei den Berliner Philharmonikern

Analyse einer Zwölftonreihe (zeitgenöss. Darstellung)

Programm wie zum Adorno-Foppen: erst Schönberg, dann Tschaikowsky. Man kugelt sich vor Aussichtsfreude auf die kommenden Jahre bei dieser jüngsten Kirill-Petrenko-Verheißung bei den Berliner Philharmonikern – so toll ist das.

Von Anbeginn aktiven und konzentrierten Mitvollzug verlange Arnold Schönbergs Violinkonzert opus 36: So weist Adorno den Hörer zurecht (zitiert im lesenswert unverschraubten Einführungstext von Malte Krasting). Aber bei Patricia Kopatchinskaja wird die Philharmonie gottlob nicht zur geschlossenen Mitvollzugsanstalt. Es ist keine Interpretation für Merker mit Tabulaturen, die die Zwölftonreihen rauf, runter, rückwärts und im Sechseck gegen den Uhrzeigersinn verzeichnen. Sondern gestische Musik, klangtheatrig im besten Sinn. Schönberg aus dem Geiste des Pierrot; ein auch fürs Hören produktiver Ansatz.

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