Weltrettend: Premiere von „Albirea“ im Atze-Theater

Wenn der böse Geist die Menschheit in der Pfeife raucht, muss ein Mädchen ran!

Grand opéra fantastique im Atze! Jeder, der in Berlin Kinder hat, kennt das Musiktheater im Wedding: Mit seinem Dreijährigen geht man zu Oh wie schön ist Panama oder Ferdi und die Feuerwehr, mit der Zehnjährigen zu Rico, Oscar und die Tieferschatten oder dem Stück über die Mädchenrechtlerin Malala, mit dem Teenager dann zu dem preisgekrönten dreieinhalbstündigen Biopiece über Johann Sebastian Bach. Bis zu sechzehn Vorstellungen gibts in der Woche, kein Berliner Opernhaus spielt mehr. Das neue Stück ALBIREA – Nur ein Kind kann die Welt retten von Thomas Sutter und Sinem Altan nun wird beworben als die größte ATZE-Produktion aller Zeiten.

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Schmalgratgackernd: „Die Hühneroper“ im Atze-Theater

Chicken Run and Sing im Atze-Musiktheater: Premiere für die Hühneroper, ein Bühnen-Ei-Festspiel für Kinder ab 5 Jahren. Kein leichtes Unterfangen, in einem Singspiel über das Leben auf einer Hühnerfarm musikdramatische Fantasie und das Thema Massentierhaltung unter einen Kamm zu bringen. Schließlich würde sich zu dem Sujet eine blutrünstige Bildersprache à la Calixto Bieito geradezu aufdrängen. Oder eine bratrünstige, wie neulich, als Peter Sellars zum heiteren Hühnermassaker in Janáčeks Schlauem Füchslein Videoloops von Hähnchenspießfressern laufen ließ. Durch drastische PETA-Realistik würde das junge Publikum zwar seiner Chickenwings nicht mehr froh; aber eben auch seines Lebens nicht. Weiterlesen

Vierfachknorke: „Emil und die Detektive“ im Atze-Musiktheater

230px-Stamp_Emil_und_die_DetektiveEin Besuch im Weddinger Atze-Musiktheater lohnt fast immer – auch und gerade während der berühmt-berüchtigten Festtage der Staatsoper und zwischen letztem Ring des Nibelungen und alljährlicher Karfreitags-Passion. Einfach um mal runterzukommen und sich der wirklich wichtigen Dinge zu versichern: Parole Emil!

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1. Juli 2015 – Seelenbildend: ‚Das doppelte Lottchen‘ im Atze

Featured imageKita-Schließtage haben ihr Gutes: Man kann mit der Tochter am Mittwochmorgen ins Atze gehen, das in existenzgefährdenden Schwierigkeiten steckende famose Weddinger Musiktheater für Kinder. Und sich in die allererste Reihe setzen, auf Wunsch der Tochter, die 1. die unruhigen anderen Kinder lieber hinter als vor sich hat und 2. die Kleider der Darstellerinnen ganz genau sehen will. Schließlich hat sie ihr eigenes Outfit akkurat aufs Doppelte Lottchen abgestimmt, da will sie nicht in den hinteren Reihen verschwinden.

Die Tochter des Konzertgängers hat für ihr Alter von 5 Jahren bereits immense Opernerfahrung, von der grandiosen Schneekönigin in der Komischen Oper bis zur Entführung aus dem Serail in der Staatsoper, die ihr sogar in der äußerst abstrakten Thalheimer-Inszenierung sehr zugesagt hat; bis heute trällert sie auf dem Spielplatz gerne: O wie will ich triumphieren / wenn sie euch zum Richtplatz führen / und die Hälse schnüren zu / schnüren zu / schnüren zu!

Da ist das äußerst kindgerechte Doppelte Lottchen (in der Inszenierung von Göksen Güntel, 2014, Musik: Thomas Sutter) mit seiner Kaskade an witzigen Einfällen und spritzigen Musicalmelodien eine sichere Bank. Die kleine Band beginnt mit einer treibenden Schwanensee-Variation, bei der der Cellist seinen Bogen in  Fetzen schrubbt. Auch später erkennt der erwachsene Begleiter zu seiner Freude manch altbekannten Gassenhauer von der Opernbühne, etwa Humperdincks Hänsel und Gretel. Das kindliche Publikum reagiert unmittelbarer: Wenn der Lehrer auf der Bühne ruft Was ist denn das für eine Sauerei?, schallt ein helles Stimmchen aus dem Auditorium: Das war ich nicht! Offenbar die Macht der Gewohnheit. Beim romantischen Kuss tönt dann ein allgemeines Iiiih durch die Reihen.

Von dieser unappetitlichen Entgleisung abgesehen, ist das Publikum vom Stück rundum begeistert. Nicht nur die Freude über den Wiener Staatsoperndirigenten, der mit seinem Stab in der Nase bohrt, eint Jung und Alt. Guylaine Hemmer und Anna Trimper hätte man gern als große Schwestern, sie können singen, springen, raufen und herzzerreißend weinen. Auch Erich Kästners onkelhaften Ton (Die Mutter ist eine Medizin, die kann man nicht in der Apotheke kaufen) lässt man sich in dieser quirligen Inszenierung gern gefallen. Zumal es nie falsch ist, sich musikhörend solche seelenbildenden Fragen zu stellen: Wie können sie nur so böse sein? Oder sind sie gar nicht böse? Ist nur das, was sie tun, böse?

Kästners dubioser Schluss, die Versöhnung des unüberbrückbar entfremdeten Paars um der Kinder willen (man mag sich die Zukunft dieser Ehe nicht vorstellen), ist in dieser Version entschärft, Vater und Mutter ziehen zwar zusammen, werden aber nicht wieder ein Paar. Kein Märchen mehr; das ist weniger verlogen, aber auch ärmer. Die Tochter des Konzertgängers allerdings sagt am Ende, nach zwei Stunden, Hungers ungeachtet: Schade, dass es nicht gleich wieder von vorn anfängt. Auf dem Spielplatz singt sie nicht mehr vom Hälse-Zuschnüren, sondern: Wir sind gleich, wir sind gleich / wie ein Ei dem anderen! / Keiner kann uns unterscheiden! / Keiner! / Nicht einer! / Keiner, keiner, keiner, keiner!

Zum Doppelten Lottchen

Spielplan des Atze