Klangrede und Kohlsuppe: Harnoncourt in die Augen geblickt

Dies ist kein Nachruf. Ein sehr schöner Nachruf steht z.B. in der NZZ. (Es stimmt einen aber immer wehmütig, dass all die Nachrufe längst geschrieben waren, während der Verstorbene noch unter den Lebenden weilte.)

Nur eine kleine Erinnerung an das letzte Konzert mit Nikolaus Harnoncourt, das ich zusammen mit meiner Frau erleben durfte: Bei der schönen Hommage, die ihm das Konzerthaus Berlin 2014 ausrichtete, saßen wir im 2. Rang links direkt über dem Podium. Wenn Harnoncourt den ersten Geigen des Concentus Musicus seinen legendären Blick zuwarf, konnten wir ihm direkt in die weit aufgerissenen Augen blicken. Der hätte nicht nur die Musiker, sondern auch den tranigsten Hörer aufgeweckt – wenn das nicht das aufregende, erfüllte Musizieren „seines“ Orchesters ohnehin getan hätte.

Auf unvergleichlich charmante Art hatte Harnoncourt vor dem Konzert eine Einführung zu Mozarts Haffner-Serenade gegeben, die 9sätzige Salzburger Hochzeitsmusik. Er sprach über die Mühen des Ehealltags, die man da gleich hören werde: Wieder Kohlsuppe, stöhnt es in der Musik… doch dann leuchtet erneut das Glück. Überzeugend und berührend auch deshalb, weil Harnoncourts Frau Alice am ersten Pult des Ensembles saß, das die beiden 1953 mit einigen Mitstreitern gegründet hatten.

(Foto: Mariuszjbie)

Als unermüdlicher Didakt machte Harnoncourt dann auch beim Dirigieren das Publikum auf die immer wiederkehrende Kohlsuppe aufmerksam. Das war sympathisch, aber es wäre gar nicht nötig gewesen, wir hörten es alle, weil er uns so gut darauf vorbereitet hatte.

Nach dem Konzert hörten wir noch, wie Harnoncourt sich im Gespräch auf dem Flur darüber echauffierte, wie Mozart bei Bruno Walter geklungen habe. Als wäre es gestern gewesen. Als hätte nicht er selbst, Harnoncourt, uns längst die Ohren für einen ganz anderen Mozart geöffnet.

Aber eben darum geht es wohl, nicht nur in puncto historische Informiertheit: Nicht ein für allemal die Ohren zu öffnen, sondern immer wieder. Kohlsuppe, Glück.

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