Spektakulös: Konzerthausorchester, Iván Fischer, Kit Armstrong spielen Kagel, Zimmermann, Beethoven

Iván Fischer-Programme können auf skurrile Weise spektakulär sein. Rund ums angeblich langweiligste der Klavierkonzerte Beethovens strickt er das originellste Programm, das in der zyklischen Aufführung aller fünfe im Konzerthaus zu hören ist: vorneweg Kagel, hintendran Bernd Alois Zimmermann.

Mustering-Chelsea-pensioners-c.-1785.jpg

Mauricio Kagels permanent aus dem Tritt geratende Märsche, um den Sieg zu verfehlen (1979) sind so avantgardistisch wie broadway-tauglich. Das Konzerthausorchester spielt fünf der zehn Märsche. Vor der großen Blasabteilung zwei theatralische Schlagzeuger: Der eine brilliert auch an der Mülltüte, der andere an der Abfalltonne. Schade nur, dass diese Tonne so sauber ist. Die Bläser könnten vielleicht aufs Ganze etwas besoffener klingen, einfach exakt so, wie Fischer (unnachahmlich unexakt wirkend) mit den Armen schlackert. Dass Kagels subversives Spektakel seine Wirkung nicht verfehlt, zeigt sich u.a. darin, dass ein älterer Herr im Parkett, der ein wenig Erich Mielke ähnelt, mit seinem Schlüsselbund mitklappert. Bis seine Frau, aber nicht unwohlwollend gegenüber der Chuzpe des Gatten, ihn zur Ruhe ruft.

51c2b97d0fa202f9106f6af39a4dc261Einen mindestens ebenso witzig wie Kagel aus dem Tritt geratenden Marsch gibts im Schluss-Rondo von Ludwig van Beethovens 2. Klavierkonzert B-Dur op. 19. Das spielt der Pianist Kit Armstrong, der kurzfristig für den erkrankten Till Fellner eingesprungen ist und so zum heimlichen Hauptprotagonisten der zehntägigen Hommage an Alfred Brendel wird , in deren Rahmen das alles stattfindet: Er spielte bereits das 3. Konzert mit den Wiener Philharmonikern und Herbert Blomstedt. Sonntag Vormittag tritt er gemeinsam mit Adrian Brendel zum Abschluss der Hommage auf.

Armstrong spielt, obwohl (aber ist das ein obwohl?) Mathematiker, emotional und spontan, aus dem Moment heraus, aber immer klar und deutlich. Das pendelt toll mit Fischers Musizieren in eins. Schön, dass er auf einem Bechsteinflügel spielt: ein Farbenrausch eigenen Charakters, die Obertöne fliegen tiefer, der Bass ist herb bis brummelig, manchmal perkussiv. Der Tick Hammerklavierkonzert tut Beethoven gut, auch wenn Armstrong sich nicht auf Stilfragen kapriziert. Das Konzerthausorchester wirkt vifer als bei den Aufführungen der Klavierkonzerte 1 (Piemontesi), 4 (Helmchen) und 5 (Lewis) an drei aufeinanderfolgenden Abenden, mit denen es sich vielleicht etwas übernahm. Heute ist viel mehr Hinhören, Zögern, Luftanhalten.

Zugabe: am ersten Abend, wird erzählt, Bach; am zweiten Abend die Nr. 7 aus György Ligetis Musica Ricercata. (Ziemlich anders klang Armstrong für diesen Kritiker.)

Nach dem Konzert kommt Armstrong (trotz Konzerttermins am nächsten Vormittag) noch zu einem Nachtgespräch in den Musikclub, wo er die Aufführung einer eigenen Komposition für Hammerklavier mit der Akademie für Alte Musik im November ankündigt und seine fünf Lieblingskomponisten nennt: Bach, Mozart, Liszt, Händel und William Byrd – hier eine Aufnahme von 2015:

Und zwischen Beethoven-Konzert und Nachtgespräch hört Armstrong sich noch in der Ehrenloge versteckt den zweiten Programmteil an: Beethovens 1. Sinfonie C-Dur op. 21 ist ohnehin einer der lustigsten Klassiker überhaupt, nicht nur wegen des eröffnenden Septakkords und der wichtigtuerischen Tonleiter im Finale. Amüsiert lauscht Fischer dem vierten Ton nach, verdutzt dem sechsten, gebannt dem siebten auf langer Fermate. Das Orchester lässt sich von Fischer infizieren, die Aufführung sprüht vor Witz und Spannung.

4ac0ff71f108fb475955270fa0d81087Zum Schluss, als Gegenstück zu Kagels subversiver Blaskapelle, Bernd Alois Zimmermanns anarchische bis apokalyptische Klanggewitter: Musique pour les Soupers du Roi Ubu (1968) ist ein immenses Spektakel, aber zugleich abgrundtief bedrohlich. Eine wüste Collage aus lauter Evergreens, von Barocktänzen über Tristan, Bilder einer Ausstellung, Radetzkymarsch bis zum Dies Irae. Faszinierend seltsam ein Kontrabassquartett in hoher Lage, arg beklemmend der Schluss aus donnernden Klavierakkorden von Stockhausen, Walkürenritt und Berlioz‘ Gang zum Richtplatz.

Die Texte zwischen den Musiksätzen handeln zwar nicht unmittelbar, wie Zimmermann es wünschte, von der politischen und kulturellen Situation des betreffenden Ortes und Landes, stammen dafür aber von Alfred Brendel. Dem Sprecher Max Hopp, der auf dem Fahrrad hereinkommt und hinausfährt (typisch Berlin, Konzertsaalradler als Steigerung des Gehwegradlers), fehlt naturgemäß der charismatische Charme des Autors. Dafür lässt er dem Sprachklang und Wortwitz der Gedichte mehr Echoraum als Brendel es in seiner eigenen Lesung tat.

Zitat des Abends aus Brendels Menschenfresser-Gedicht:

An düsteren Tagen

fressen wir unsere Widersacher

Huster […]

die heitere Gewißheit

Gutes zu tun


Zum Konzert  /  Mehr über den Autor  /  Zum Anfang des Blogs

2 Gedanken zu „Spektakulös: Konzerthausorchester, Iván Fischer, Kit Armstrong spielen Kagel, Zimmermann, Beethoven

  1. Na, also Sie sind ja auch überall. Ich war auch sehr angetan vom Konzerthausorchester. Es ist ja sehr schwierig, Beethoven gut und unterhaltsam zu spielen. Das Programm war natürlich allerfeinster Güte, vor allem mit dem spröden Zimmermann zu enden.

Schreibe einen Kommentar