Pelléas et Mélisande-Reichtum ausgerechnet dans la capital de la Prusse: Claude Debussys Symbolschmachtfetzen gibts in der arg konzentrierten Kosky-Regie an der Komischen Oper wieder am 12. Juli. Die schön wässrige Deutsche-Oper-Inszenierung ist derzeit eingefroren, ob die nochmal aufgetaut wird? Die Version an der Staatsoper Unter den Linden aber, die’s im Ausweichquartier Schillertheater pour des raisons techniques viele Jahre nicht gab, ist ein wahres Monument: eine der beiden Arbeiten der großen Ruth Berghaus, die da noch laufen – neben dem 50 Jahre alten Barbier ist dieser Pelléas von 1991 noch knackfrisch. Und so gut, dass es egal ist, wer da singt … naja, fast egal.
Denn die wunderbare Marianne Crebassa ist alles andere als egal. Von schwebend-welliger Bewegung sind Körper wie Stimme der Mélisande. Ihr (Mezzo)Sopran klingt so üppig wie elegant, warm, dabei stets bedroht und verletzlich. Es ist erstaunlich, welchen gesanglichen Reiz Debussys sprechnahe Deklamiererei doch zu entfalten vermag. Überwältigend schön ist die paradoxe Aura, mit der diese Crebassa-Mélisande ihr langes Haar besingt: archaisch und artifiziell zugleich.
Auch der Bariton Michael Volle kann einem nicht egal sein: wie der als Golaud vorantapst auf dem schmalen Grat zwischen Zärtlichkeit und Gewalttätigkeit, die beide ihr Ziel suchen. Wie er in der Höhe seine Stimme zu öffnen versteht, wenn er im 5. Akt Mélisande singt! Um dann selbst noch als Reuiger (hier die Handlung) seine auf den Tod verletzte Geliebte einem Schlussverhör zu unterziehen, in einer Brutalität, die ja von Beginn an spürbar war – während Crebassa-Mélisande in immer zartere Kristallizität entrückt.
Unter den weiteren Rollen verdient besondere Erwähnung der junge Solist des Tölzer Knabenchors, der Golauds Sohn Yniold in fast beängstigender Souveränität sich ängstigen lässt.
Und dann ist da noch Rolando Villazón. Wie könnte einem der egal sein? Man wünscht sich, wünscht es sich wirklich, die strapazierte Tenorstimme dieses sympathischen Sängers möge noch einmal aufblühen.
Natürlich bewältigt Villazón die Rolle des Pelléas irgendwie. Aber die Betonung liegt auf irgendwie. In der mittleren Lage ist seine Stimme nach wie vor ausnehmend schön. Aber sobald es auch nur mäßig in die Höhe geht, wird sie gequetscht, gepresst, manchmal geradezu meckernd. Geradezu tragisch wirkt es, wenn er im vierten Akt Crebassa-Mélisande ansingt: Ta voix! ta voix … elle est plus fraîche et plus franche que l’eau! Dieser Pelléas klingt nicht, wie Mélisande, verletzlich, sondern verletzt. Dieser Kontrast gibt dem Stück sogar eine interessante neue Dimension; aber es ist zu bezweifeln, dass die im Sinn der Sache ist.
Villazón fügt sich darstellerisch sehr diszipliniert ins Ensemble ein (keine tischtanzenden Mäuse hier, obwohl die Regisseurin seit 20 Jahren aus dem Haus ist), selbst wenn er etwas Grund-Buffeskes aus seinem Bewegungsvokabular wohl nicht mehr herausbugsieren wird. Die Berghaus-Inszenierung lebt, und zwar gerade in ihrer Strenge. Zwei Farben dominieren das Bühnenbild von Hartmut Meyer, ein Grünlich und ein Violettlich, die beide ins Graue tendieren, mal weniger, mal mehr. Aber die Dichotomie ist offen, sie lässt sich z.B. nicht auf männlich/weiblich herunterbrechen. Ambivalent auch das Goldgelb, das sich zusehends hineinschiebt: als halsbrecherisch steile Himmelstreppe wie als tödlicher Keil – ambivalent wie das Lichtsymbol in Maeterlincks dunklem Bedeutungswald.
Bei Maeterlinck, so Konzertgängers Gefühl, wird zu oft Geheimnis gesagt, als dass es geheimnisvoll wirken könnte. Die Inszenierung aber schält Geheimnisse heraus, ohne es auszuposaunen, etwa durch die reduzierten geometrischen Formen. Auf der Kuppe eines Kreises spielt sich viel ab, der ein Loch und einen Schlitz hat – und dessen Form den Kuppenkappen entspricht, die Pelléas und Golaud auf ihren Köpfen tragen. Mélisandes vielbesungenes Haar indes ist falsch. Die ganze Klasse der Inszenierung zeigt sich auch in der knappen Choreografie der Dienerinnen am Schluss, die an so etwas wie schwarzes Gras denken lässt, im Zwischenreich von leichtem Wind und Windstille.
Die Staatskapelle Berlin lässt in dieser Pelléas et Mélisande-Aufführung Feinheiten und Kraft hören, die man in Berlins anderen Opernorchestern wohl nicht auf diesem Niveau hat. Heimelnd warm kommts aus den Hörnern und tiefen Streichern, ehe der Klang abrupt ins Dramatische oder Gewalttätige umkippt. Die hervortretenden Solisten tönen extraordinaires. Daniel Barenboims eher glühender als pointillistisch mäandernder Zugriff bewährt sich im Lauf von über drei Stunden. Ouaip, sein Debussy ist doch impressionant. Ein subtilerer Ansatz wäre vielleicht mystischer, aber würde doch auch den Geduldsprobe-Faktor erhöhen. Denn Maeterlincks Idee vom statischen Theater klingt doch immer nach einer Drohung.
Ach du heilige Scheiße, sagt ein Tourist, der vor Beginn den Plot im Programmheft liest: fünf Akte! Ihm sei Wagner empfohlen, der hat nur drei. Ansonsten muss der Konzertgänger fazitieren: Inszenierung ein Klassiker. Orchester packend. Die Hauptrollen zu zwei Dritteln hervorragend. Das ist also kein Ja aber, sondern ein JA! (aber).
Noch eine Aufführung am 14. Juni, dann vier weitere in einem Jahr.
Kritik der Wiederaufnahme bei Schlatz
Ein schöner Artikel, der zum Denken anregt. Vielen Dank dafür!
Gratulation zum Mut bei den Temperaturen.
Ich verstehe auch nicht, wie man den Tenor so besetzen kann. Aus Sensationsgier um die üblichen Touris anzulocken, denn merkwürdigerweise waren ja alle Vorstellungen sehr voll, und das bei dieser Oper.
Das er sich das antut…..
Ich hatte mir bei der Hitze am Samstag die Carmen geschenkt, ist eh nicht meine Oper
Ganz voll war es nicht. Einige waren sicher wegen Villazón da. Große Namen zu besetzen, um als schwer geltende Kost an den Mann/die Frau zu bringen, ist ja an sich nicht verwerflich. Und ich freue mich über jeden Touristen in unseren Opern. 🙂
Du hast absichtlich nur 3 Sänger erwähnt oder?
Das die Briefleserin grottenschlecht und der olle Arkel wirklich unter aller Kanone waren haste lieber verschwiegen, wa?
Bei Rolando fand ich vor allem die völlig fehlende Mittellage schockierend. Das ist bei einer Baritonpartie (hoher Bariton, à la française) schon sehr bitter. Ich hoffe, dass die Stimmruine nächste Spielzeit bei der Wiederaufnahme aus dem Rennen sein wird und wir Crebassa genießen können, ohne das er das versaut.
Aber der Hirte/Arzt (Dominic Barberi) war gut.
Ein Wort wie „Stimmruine“ mag ich nicht, weil es ja um das Organ eines Menschen geht, nicht um ein lebloses Bauwerk. Könnte mir aber auch vorstellen, dass 2019 noch anders besetzt wird.