Schwarzgrünschwarz: Wagners „Fliegender Holländer“ an der Deutschen Oper

Kohlrabendüsterer neuer Holländer, der eigentlich Erik und Senta heißen müsste – sowohl was Sängerleistungen als auch was Regiekonzept angeht.

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Der Regisseur Christian Spuck richtet nämlich an der Deutschen Oper den Blick auf den liebenden Erik, den Richard Wagner in seiner Heinrich-Heine-Verhunzung hinzuerfunden hat. In anderen Inszenierungen tapst der Erik doch immer etwas störend rein und raus, ohne dass man ihn groß beachten würde. Dabei steckt er ja in der größten Not, ist er doch (so Spucks Ansatz) der einzig wahre und real Liebende unter lauter Narzissten. Interessanter Effekt: Während die Erik-Handlung normalerweise einen tragischen Konflikt im Fliegenden Holländer nur vortäuscht (Carl Dahlhaus), verschiebt sich hier, wenn der Fokus sich auf Erik richtet, der Schwerpunkt von einer dramatischen Ballade Richtung Drama. Plötzlich interessiert man sich für das Geschehen, wühlt es einen auf.

Und wie sieht das alles aus? Schwarz, sehr schwarz, mit einem hoffnungslosen Tupfer Grün dazwischen. Dieser grüne Tupfer ist der Jäger Erik, der schon während des Vorspiels auf der Bühne sitzt, in einem heruntergekommenen Raum, wo hinten auf 50 Quadratmetern das Wasser plätschert (beeindruckendes Bühnenbild von Rufus Didwiszus). Eriks Albtraum-Erlebnis entsprechend sind die drei Aufzüge zu einem pausenlosen Akt verdichtet, die Musik geht ineinander über. Der Anfang bloß ein schwer erkennbares Treffen von Schattengestalten, alle in Schwarz, der Holländer und seine Besatzung als Kapuzenmänner (Kostüme Emma Ryott). Kleine Farbkleckse setzt auch ein immer wieder auftauchendes Modellschifflein, erst weiß (Erik zerschmettert es am Schluss des Vorspiels an der Wand), später golden.

Diese Inszenierung scheint doch stärker aus einem Guss als der gar nicht so alte, jetzt schon entsorgte Vorgänger.

1d41db0ab9a2e9222db24d8bc24b4199Größte Stärke: Die Erik-Perspektive wirkt schlüssig, überhaupt nicht aufgepfropft. Weitere Stärken: Die aparte Finster-Optik und das tänzerische Element, das der vom Ballett kommende Regisseur Spuck ins musiktheatralische Spiel bringt, ohne es zum Selbstzweck zu machen (Frau Waltz?). Großartig, wie der große Chor sich entfaltet und zusammenschiebt, während der Senta-Ballade hin und her wogt oder vor Eriks Erinnerung einfriert und sich wieder verflüssigt. Dieser Erik ist ein furchtbar Einzelner, den eine Meeresbrandung aus Menschen am Ende verschluckt, dann aber wieder ausspuckt, während sie Senta mit sich fortspült.

Schwächen: Das Dauerdunkel wirkt nicht gerade wie ein Koffeinkick, dem Nebenmann des Konzertgängers plumpst bald das Kinn auf die Brust. Auch hängt der anfangs str16herabwabernde Kunstnebel (wollte den nicht schon Götz Friedrich abschaffen?) bis zum Schluss im Raum und sorgt für eine gewisse Atemnot. Dass außerdem das laute Wasserplätschern manche Blase im Auditorium im Lauf zweieinhalb pausenloser Stunden in die Bredouille bringen kann, sollte man auch mal erwähnen. (Mehr zum Tabuthema Oper und Klogang)

Der Hintermann des Konzertgängers spricht vor Opernbeginn über seine Opernfavoriten: Seine Lieblingsouvertüre sei die vom Barbier. Jetzt also im Holländer, dessen Ouvertüre muss für einen Rossini-Fan ja so spritzig wie ein Flugzeugträger klingen. Der Holländer ist auch nicht gerade der Ring, wie sich dem Konzertgänger bei diesem Wiederhören nach einigen Jahren durchaus bestätigt.

Das Blitzschneidende, Sturmpeitschende, Donnerwüste kommt dem Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles entgegen, aber es glitzert bisweilen auch golden, fördert überhaupt im Orchestergraben erstaunliche Farben hervor, die vor der Bühnenschwärze umso heller leuchten. Die von Raymond Hughes geleiteten Chöre beeindrucken schon durch ihre Wucht, auch wenn die Säume des Kollektivs (vor allem bei den Männern) hier und da ausfransen und man in den leisen Passagen vergeblich auf magische Stimmung hofft.

5b4c38a8c91449ad0ec01eb64bd3ac73Aber was für ein ergreifender Erik ist Thomas Blondelle! Der ist kein Wundertenor und hat in den Höhen schon mal zu kämpfen, aber er singt so wunderbar differenziert, ausdrucksstark, durchgestaltet, dass er den Abend ganz allein tragen könnte. (Vor kurzem brillierte er schon als kurzfristig eingesprungener Loge im Rheingold.)

Ingela Brimberg ist eine Senta mit Elektra-Gen, keine anämisch Entrückte, wie Nietzsche und Beardsley sie sich vorstellten, sondern eine volle Pulle zum Märtyrertod Entschlossene. Nach der Senta-Ballade gibt es nichts mehr zu diskutieren. Samuel Youn als Holländer orgelt imposant, aber etwas monochrom und hat, ein paar Aussetzern nach zu schließen, möglicherweise nicht seinen besten Tag erwischt – Nachtrag: wie man später erfährt, war er erkältet  (eine Ansage hätte ihm einzelne Buhrufe erspart). Tobias Kehrer als Daland hat eine Artikulation zum Mitschreiben. Matthew Newlin ist ein mehr als solider Steuermann, Ronnita Miller (Mary) hat man schon eindrücklicher erlebt.

Ein prägnanter Holländer, den man ohne Bedenken besuchen und empfehlen kann (außer für Leute mit Atem- und Blasenproblemen). Fünf weitere Aufführungen bis Juni.

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4 Gedanken zu „Schwarzgrünschwarz: Wagners „Fliegender Holländer“ an der Deutschen Oper

  1. Schön, dass der arme Erik einmal in den Fokus gerät. Er hat es verdient. Und auch schön, dass der DO eine gute Nachfolgeinszenierung gelungen ist, wobei der Gürbaca-Holländer ja auch nicht ganz schlecht war. Was SIe über Samuel Youn sagen, trifft gut meine Eindrücke von den Bayreuther Vorstellungen des Holländers 2012 bis 2015 (eifrig über BR gehört). Ronnita Miller war gestern bei Andrea Chénier wieder bei Kräften.

    • Miller schien mir auch nicht entkräftet, nur ungewohnt profillos. Mit Youn ging es mir ähnlich als Wanderer und Méphistophélès (Berlioz). Die Gürbaca-Inszenierung gehörte für mich auch zu den weniger desaströsen der Harms-Zeit, wie übrigens auch die noch schneller entsorgte Aida. Anderes war (und ist) schlimmer.

      • Hört sich auf jeden Fall gut an. Ich werde mir den Holländer nächste Saison ansehen. Ja, vermutlich ist Erik auch die unwagnerischste aller Figuren Wagners, denn bei Wagner besteht das Großteil des Personal aus Narzissten. Gänzlich unnarzisstisch sind wohl nur Nebenfiguren wie Gunther und Freia oder Fasolt und Fafner.

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