2. Juni, schmerzlicher Abschied von Benjamin Brittens Billy Budd: für diese Saison, hoffentlich nicht für immer. Aber wo soll die Deutsche Oper Berlin das Publikum herzaubern für dieses Juwel? Besser kann sie ja kaum sein, dieser Billy Budd gehört(e) zum Stärksten, Eindrucksvollsten, Berührendsten, was hier in den letzten Jahren auf die Bühne gekommen ist.
Sowohl musikalisch als auch regielich: David Aldens Inszenierung ist (war) ein Muster an Personenführung und Ökonomie der Dinge und Metaphern. Allein die mehrmals auftauchende Röhre lässt einen nicht los, bald Kapitänskajüte, bald Bewusstseinstunnel, bald Schiffskanone und irgendwie auch ein diskreter Riesenpenis.
In der letzten Vorstellung singt der schöne Seemann John Chest verzweifelter, ergreifender und vergeblicher um sein Leben denn je. Gidon Saks singt seinen Master-at-Arms vor Sehnsucht hassenden John Claggart tief aus dem Rachen, die Hölle sitzt gleich unter dem Gaumenzäpfchen. Der Captain Vere des eingesprungenen Richard Croft ist so fein und nuancenreich gestaltet, wie alle weiteren Rollen rundum überzeugen (u.a. Seth Carico und Derek Welton sowie der alte Lenus Carlson und der junge Andrew Dickinson). Chor und Orchester erweisen sich unter dem Kommando des Kapitäns Moritz Gnann (hier im Interview) als völlig hochseetauglich, lassen alle Farben des rauschenden Meeres und des Sturzes in den Seelen-Malstrom hörbar werden. Wie grandios Britten doch orchestriert hat. Und wie viel Operngeschichte in der nächtlichen See am Ohr vorbeifliegt, die Großinquisitor-Szene aus Don Carlo bei der doppelten Begegnung Vere-Claggart, das Lied an den Mond von Dvořáks Rusalka in der Nacht vor Billy Budds Hinrichtung.
Und wie viel deutsche Geschichte auf der Bismarckstraße vor der Deutschen Oper: Die letzte Billly Budd-Aufführung findet am 2. Juni 2017 statt, genau 50 Jahre nachdem der Student Benno Ohnesorg vor der Deutschen Oper umgebracht wurde, während der Schah zur Zauberflöte scharwenzelte. Die Aufführung des Budd ist Ohnesorgs Andenken gewidmet, das passt: die Ermordung der Unschuld, des schönen Seemans Ohnesorge. Kann man sich den Stasi-Nazi Karlheinz Kurras, den autoritären Charakter überhaupt als einen Claggart denken? Den damaligen Regierenden Bürgermeister gar als einen Captain Vere, der das alles verantworten muss, was er gar nicht will?
Vielleicht zu viel Tiefsinn, zu viel Fatalität für ein solches Verbrechen. Budd und Ohnesorg, das passt trotzdem. Auf der anderen Straßenseite, am Shakespeareplatz (kein Mensch weiß, dass der so heißt), findet eine Gedenkveranstaltung statt. Etwas revolutionäre Nostalgie schallt nach der Vorstellung herüber, naja. Todtraurig, das alles.
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Schade, hätte ich doch gehen sollen.
Danke , danke und nochmal danke für diese Einschätzung. Mir ging es genauso. Habe noch eine kleine Ergänzung berührend fand ich das Wiederhören mit Lenus Carlson, der einen Dansker zum Weinen sang und die Begegnung mit dem noch sehr jungen Andrew Dickinso, einen Namen, den man sich merken sollte
Sie haben völlig Recht, die beiden verdienen eigene Erwähnung, ich habe die Namen ergänzt. Freue mich auch, Dickinson öfter zu hören, erstmal demnächst im Godunow.
🙂 ja und in der nächsten Saison auch, nach mal hören, was wird