Samtsichtig: Wiener Philharmoniker, Blomstedt, Kit Armstrong spielen Beethoven & Bruckner

Beethoven_HornemannBesser als in die Scharoun-Philharmonie passen die Wiener Philharmoniker, wenn sie Berlin besuchen, doch ins Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Sie werden ja wohl nachsichtig sein gegenüber den akustischen und bildhauerisch-malerischen Mängeln im Katzengoldenen Saal unseres realklassizistischen Musikvereins alla piefka.

Gänzlich unentschuldbar ist nur das Rumpeln und Pumpeln, Knistern und Knuspern des Berliner Publikums zu Beginn des Largo von Beethovens 3. Klavierkonzert c-Moll op. 37. Aber weder der Dirigent Herbert Blomstedt noch der Solist Kit Armstrong lassen sich etwas anmerken: Gelassenheit des hohen Alters und der knackfrischen Jugend.

Kaum zu glauben, dass Herbert Blomstedt schon 90 wird: vier Jahre älter als Alfred Brendel, zu dessen Ehren er hier auftritt und der, wie bei allen Konzerten der Hommage im Großen Saal, als Ehrengast in der Intendantenloge sitzt. Blomstedt verzieht keine Miene, dass so ein Jungspund sich schon zur Ruhe gesetzt hat (zumindest was das aktive Musikerdasein angeht), sondern absolviert sein Zweieinhalbstunden-Programm.

Kaum zu glauben auch, dass der Brendel-Schüler Kit Armstrong erst 25 ist. Der wirkt immer etwas verschroben mit seiner Mathematik und seinen Gedichten, aber klingt gar nicht so. Kein bisschen eigenbrötlerisch, sondern äußerst kommunikativ. Hält den Blick bei vielen Läufen fest ins Orchester gerichtet. Hat eine enorme Stilbreite, viel bachsche Mehrstimmigkeit meint man zu hören (beim frühen Beethoven!), impressionistische Nebelhelle (etwa am Ende der Kopfsatz-Kadenz), hohe Virtuosität quasi nebenbei.

Die Interaktion der Wiener Philharmoniker mit dem Solisten bewegt sich doch auf einem anderen Level als bei den drei vorhergehenden Beethoven-Konzerten des Hausorchesters mit Helmchen, Piemontesi, Lewis. Und phänomenal, wie durchhörbar dieser Streicherklang bei aller Breite und Samtigkeit ist. Gewisse Ballungen, etwa am Ende der Durchführung des Kopfsatzes, erinnern hier schon dezent an Bruckner.

Beethoven hätte sich aber vielleicht doch gewundert, sowas zu hören: Das soll von mir sein? So ein Ausbund von Schönheit und Wohlklang, vielleicht auch Glätte? Wenn man Arno Lückers interessante Konzert-Einführung liest, kann man sich Beethovens eigenhändige Uraufführung anno 1803 lebhaft vorstellen, rumpelnd und pumpelnd nach fast lauter leeren Blättern, während das Orchester von stundenlangen Vormittagsproben geschlaucht vor sich hinschnarcht. Das hätte man gern erlebt; auch wenn es sich vielleicht nicht als Ideal historisch informierten Musizierens aufdrängt.

Nachtrag: Fehlhörleistung des Tages war, Armstrongs als Mozart angekündigte Zugabe für Bach zu halten und einen schrulligen Versprecher Armstrongs zu vermuten; tatsächlich war es Mozart (KV 399), danke an den aufmerksamen Leser!

Obligatorisches Frauenzählen bei den Wienern: elf bei Beethoven, in Anton Bruckners 4. Sinfonie Es-Dur noch ein oder zwei mehr.

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Es gibt nicht nur einen Bruckner-Olymp, sondern mehrere Gipfel. Der vor ein paar Wochen verstorbene Stanisław Skrowaczewski war einer, ein anderer ist Blomstedt, der jetzt ja wohl der älteste aktive Dirigent der Welt sein dürfte. Oder ist noch einer 90plus unterwegs? Blomstedts Bruckner ist nicht so schroff und aufwühlend wie Skrowaczewskis, sondern selbst in den gewaltigsten Aufschichtungen und gewalttätigsten Ausbrüchen abgerundet, ja federnd. Hingebungsvoll und gelassen zugleich. Sogar Mozart-Momente im ersten Satz. Zu Beginn der Streicherteppich wie aus dem Nichts, darüber das Solohorn – die Blechbläser der Wiener sind ein Traum, zweifellos.

Blomstedt aber: ehrt im Applaus alle Solisten, die hervortraten, doch als letztes lässt er den Bratschenblock aufstehen. Word.

Wem haben 90jährige Dirigenten eigentlich ihren Blumenstrauß geschenkt, bevor die Wiener Philharmoniker in ihren Reihen Frauen erlaubt haben?

Das letzte Beethoven-Klavierkonzert der Brendel-Hommage (Nr. 2) spielt am Freitag und Samstag, weil Till Fellner erkrankt ist, ebenfalls Kit Armstrong. Das Programm rundherum ist das originellste, mit Mauricio Kagel und Bernd Alois Zimmermann.

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3 Gedanken zu „Samtsichtig: Wiener Philharmoniker, Blomstedt, Kit Armstrong spielen Beethoven & Bruckner

  1. „realklassizistischen Musikvereins alla piefka“ – sehr gut! Sie bei den Wienern? Bei so einem weanerischen (=konservativen) Programm? Ja, der Armstrong ist gut. Zu Blomstedts Bruckner habe ich zu meinem eigenen Bedauern noch keinen Zugang gefunden. Wird wahrscheinlich auch nichts mehr…

      • Ja, finde ich auch, das mit dem Sich-Gönnen. Ich empfinde es immer wie ein Schock, wie schön z.B. die Hörner klingen, auch wenn sie 10 Mal so oft kieksen wie bei den Berlinern. Interpretatorisch fand ich die Wiener in Berlin meist weniger interessant, was aber eher an den Dirigenten lag.
        Blomstedt, hmm, schwierig zu sagen. Er lässt mich dann doch kalt (bei Eschenbach oder Aschkenazy ist es ähnlich). Er hat kein Temperament, seine vielgerühmte Werkdienlichkeit empfinde ich stets als Mangel an Gestaltung, als Fantasielosigkeit, als Trockenheit. Ich zöge das Partiturlesen des jeweiligen Werks einem Konzert mit ihm wohl in den meisten Fällen vor. Aber es muss ja was dran sein an Blomstedt, sonst würden ihn die großen Orchester nicht so ausdauernd einladen. Auch seinen Beethoven finde ich ehrlich gesagt sehr wenig attraktiv.

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