Lückenheizend: Nurit Stark und Cédric Pescia spielen Ernest Bloch

Lücken im Repertoire schließen sich in Berlin oft schneller als Baulücken oder Risse im Radnetz. Zum Beispiel dank des Piano Salon Christophori im Wedding, wo die Musiker ihre Instrumente nach vorbeiziehenden Polizeisirenen stimmen können. Und dank außerordentlicher junger Künstler wie Nurit Stark und Cédric Pescia. Die israelische Geigerin und der französisch-schweizerische Pianist spielen nämlich einen ganzen Abend lang nicht Beethoven oder Brahms, sondern ausschließlich Ernest Bloch (1880-1959); nur als Zugabe gibts so eine Art Zen-Nocturne von John Cage.

Donnerwetter.

Sehr eindrucksvoll ist die aufgewühlte, rhapsodische Klaviersonate von 1935, die Pescia in der Mitte des Programms spielt. Doch dass die Geige Kern und Herz der Musik Blochs ist (der Ysaÿe-Schüler war), spürt man deutlich in den beiden Violinsonaten von 1920 und 1924. Die zweite mit dem Beinamen Poème mystique ist die einfachere, melodischere, lyrischere, ein wenig an Szymanowski erinnernd, auch wenn ihr im Vergleich etwas Raffinesse zu mangeln scheint. Von unwiderstehlicher Wucht ist die packende 1. Violinsonate, zweifellos der Höhepunkt des Abends. Die pendelt zwischen wüstem Toccata-Folklorismus, fast brutalem Modernismus und gläserner Traumtranszendenz. Was für ein Werk!

Nurit Stark schrubbt, kämpft, brilliert und flageolettiert sich auf ihrer Guarneri von 1710 in die gegensätzlichen Ausdrucksextreme hinein, technisch imposant, mit extrovertierter Leidenschaft und heftigem Körpereinsatz von den Fuß- bis in die Haarspitzen, aber ohne jede selbstgefällige Theatralik: alles im Dienst der Musik. Cédric Pescia am historischen Steinwayflügel ist ein Partner von ebenbürtigem Können und Temperament. Man spürt in jedem Moment, wie die beiden Musiker miteinander ticken. Selbstverständlich würde man von ihnen auch gern Brahms hören; aber wunderbar, dass sie Ernest Bloch aufgenommen haben:

Der Pianosalon Christophori, in dem vier bis fünf Konzerte pro Woche stattfinden, ist wirklich eine Juwelenkammer für junge Musiker und selten gespielte Werke. Nicht nur Polizeisirenen hört man gelegentlich dort, manchmal dröhnen auch Flugzeuge übers Dach; anderswo braucht man für solche unerwarteten Effekte fancy Raumklanginstallationen. Stören tut das nicht, es steigert den Reiz sogar. Nur vom Fußboden der (erstaunlich gutgeheizten) Halle frischt es auf Dauer doch hinauf; dicke Schuhsohlen oder warme Socken sind zum Schaden des Hörers nicht. Hat er die vergessen, heizen Bloch, Stark und Pescia ihm schon ein.

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2 Gedanken zu „Lückenheizend: Nurit Stark und Cédric Pescia spielen Ernest Bloch

  1. Herrje, wenn ich Ihre kompetenten Berichte lese, bekomme ich stets aufs Neue das pure schlechte Gewissen. Ich ziehe mir Schmacht- und Schmalzstücke wie Alpensinfonie (die Sie ganz besonders lieben), Salome und Arlesiana rein und Sie stürzen sich wie ein Geier auf Repertoirelücken.

    • Arbeitsteilung ist wichtig. Die neue Salome werde ich allerdings in einer Woche hören und der Alpensinfonie gebe ich wieder eine Chance, wenn sie nächste Saison von Jurowski dirigiert wird; von Harding lieber nicht. Aber mit dem richtigen Dirigenten … mit Petrenko gefiel mir sogar die Domestica.
      Aber Bloch hat durchaus Schmacht und Schmalz, wie ich festgestellt habe. Und noch viel mehr.

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