Faster, Ödipussycat! Kill! Kill!

Mythenschröckliches von Turnage und Enescu an Deutscher und Komischer Oper

Wenn der Sohne mit dem Vater (Ödipus-Version)

Ödipus-Total-Wochen in Berlin, erwerben Sie drei Komplexe und Traumata zum Preis von fünf! Während am Deutschen Theater das Original von Sophokles in der Extended version läuft, gibt’s an der Komischen Oper den seltsamen Grand-Monologue Œdipe von George Enescu und auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Mark-Anthony Turnages wüste Eddy-aka-Ödipus-Sause Greek. Keine Ahnung, ob es gesund ist, sich das alles reinzuziehen, aber der Konzertgänger tut’s: den Sophokles demnächst (gemeinsam mit dem Sohnemann – wenn schon, denn schon), bei den beiden Opern war er am Wochenende dabei. Puh.

Enescus große Ödipus-Oper ist ein Lebenswerk, begonnen 1910, uraufgeführt in Paris 1936, später anscheinend allein in Bukarest durchgehend im Repertoire (seit 1958), Mark-Anthony Turnages kammerorchestral besetztes Stück dagegen ein rotziger, aber packender Jungkomponistenwurf von 1988, da war Turnage noch keine dreißig. Aber beide Opern drücken dem alten Stoff eine gewisse neo-archaische Wucht auf, selbstverständlich mit kunstvollsten Methoden: Während Enescus „spätromantisches“ Riesenorchester mit irgendwie rumänischstämmigen modalen Tonarten über Dur-Moll-Öde hinausweist, sind die dominierenden Klangereignisse in Turnages Greek das Perkussive und der Londoner Cockney-Akzent.

Greek von Mark-Anthony Turnage

Das hat kurioserweise einen nicht unähnlichen Effekt wie das Altgriechische in der Oresteia von Xenakis, die vor ein paar Jahren schon auf dem beeindruckend betonwüsten Parkdeck der Deutschen Oper aufgeführt wurde. Verkehrswendige Paradebeispiele, wie man Räume sinnvoller nutzen kann, die wir normalerweise fürs Rumstehen von Autos verplempern! Komm ins totgesagte Parkhaus und schau, wie schon Stefan George schrieb. Bei Xenakis damals war es allerdings sommernächtlicher als heuer, wo eher friesische als griechische Wetterverhältnisse herrschen. Doch das reizende Deutsche-Oper-Personal huscht bereits bei den ersten Tropfen diskret durch die Reihen und verteilt Regencapes an Bedürftige.

Und natürlich passt das Nieselwetter auch zur Britishness, in die Turnages Ödipus umgesiedelt ist. Und erst recht zur lower class-Tristesse von Greek. Die Vorlage ist ein Theaterstück von Steven Berkoff (einem Autor, der sich auch als Schauspieler verdingte, als Bösewicht vom Dienst, leider nicht in Loriots Ödipussi, sondern z.B. in James Bond – Octopussy). Ein wenig ist die Zeit hinweggegangen über diese ganzen düsteren Thatcherismus-Apokalypsen, die die entgeisterte britische Linke in den 1980ern fabrizierte. Dennoch ist es kurzweilig, einigermaßen mitreißend und musikalisch gelungen. Aus Theben wird ein abgeranztes Café im East End, in dem Eddy ahnungslos inmitten sozialer Verwerfungen (der British plague) seinen Dad killt und seine Mum flachlegt, etc pp. An die Stelle des unerbittlichen Schicksals die eiskalte gesellschaftliche Determination der Tyrannis des totalen Markts zu setzen, ist ja ein plausibler Einfall.

Yi-Chen Lin heißt die neue Kapellmeisterin, die an der Deutschen Oper noch eine wichtige Rolle spielen wird und ihre Sache prima macht, zackig, präzis, rhythmisch. Die 18 Musiker haben, egal ob Streicher oder Bläser, alle auch Schlaginstrumente zu spielen, und stilistisch ist das ein gutes Durcheinander mit rülpsendem Strawinsky und Miles-Davis-Trompete, allein die Rap-Einlagen wirken arg nostalgisch. Aber insgesamt ist das so knallig und comic-haft wie die buntybunte, ohne Leerlauf dauerbewegte Inszenierung von Pınar Karabulut. Und Turnage schreibt wie sein Lehrer Hans Werner Henze, von dem der Anstoß zu dieser ersten Oper kam, nicht gegen, sondern für Stimmen. Dean Murphy ist ein erstklassiger Eddy, mal gottverdammt und mal herzerweichend, aber immer rebellisch, und Deutsche-Oper-Fachkräfte wie Seth Carico und Irene Roberts haben genau die richtigen Röhren für die faszinierende Beton-Ödnis des Parkdecks. Es gibt noch fünf Aufführungen im September.

Œdipe von George Enescu

Faster, Sphinxycat! Kill! Kill!

Umgemodelt haben sowohl Berkoff/Turnage als auch George Enescu, der mit dem Librettisten Edmond Fleg zusammenarbeitete, die antike Sphinx-Szene mit dem Rätsel, dessen Lösung Ödipus erst zum Herrscher von Theben macht – Sie wissen schon, die Frage mit dem Wesen, das morgens auf vier Beinen, mittags auf zwei usw. Im Londoner Unterschicht-Greek ist das dritte Bein am Abend (Pointe mit Ansage) das männliche Genital, während bei Enescu Frage und Antwort ganz anders lauten: Was größer sei als das Schicksal, will die fiese Sphinx wissen, und bekommt entgegengeschleudert, stärker sei der Mensch.

Damit ist vielleicht die Leitidee von Enescus Ödipus-Oper ausgesprochen. Und auch musikalisch liegt hier einer der Höhepunkte. Während die Sphinx bei Turnage zwei- bis vierstimmig singt (was an Strawinskys Flut erinnert, wo Gott eine Doppelstimme hat), hat sie in Enescus Œdipe an der Komischen Oper den gleichen Kopf wie Ödipus, der also in sich selbst schaut. Der Mezzosopran von Katarina Bradić vollführt scharfe Intervallsprünge, bis er im letalen Abgang auf Glissando-Höhenflug geht, den dann eine singende Säge hinauf ins Nichts fortsetzt.

Das ist einer der Momente, wo Enescus Hauptfigur Œdipe mal ein ernsthaftes sängerisches Gegengewicht hat. Denn ansonsten steht der Leidensmann von seiner verfluchten Geburt, bei der er in Evgeny Titovs Inszenierung schon zusieht, bis zu seiner finalen Entrückung im einsamen Mittelpunkt. Der grandiose Bariton Leigh Melrose erfüllt die fast christologische Pose von Enescus Ödipusfigur mit berstendem Leben und geschmeidigen Gesangslinien auch unter den harschsten Umständen. Melroses Meisterleistung ist ziemlich hilfreich gegenüber einem imposanten, aber doch auch erschlagenden Stück und einer nicht sehr zuschauerfreundlichen Regie. Der erste Akt des Werks ist – trotz drastischer Striche in der Partitur, von einem Viertel ist die Rede – von geradezu enervierender Statik, verhärtet durch die erdrückenden Riesenplattenwände ringsum, die auch bis zum Ende bleiben werden (und einen mal wieder mit dem heute fast obligatorischen „Einheitsbühnenbild“ hadern lassen). Überhaupt macht einem die gestrenge, freudlose, alle Farbigkeit verweigende Regie das schwere Pathos des Werks nicht leichter, ebensowenig wie Titovs erläuternde Fußballerweisheiten im Programmheft: Der aussichtslose, aber beharrliche Kampf gegen das eigene Schicksal ist per se ein Sieg!, laute die auf eine These heruntergebrochene Essenz des Stücks.

Trotz dieser Bedenken muss man anerkennen, dass es sich um eine absolut sauber (d.h. hier: blutig, düster) gearbeitete Regie handelt. In sich ist das alles rund.

Vor allem aber ist dieser ganz eigene Enescu-Klang immer wieder aufwühlend und überwältigend; stets dunkel grundiert, wogend, bewegt, von enormer Fülle. Dem Dirigenten Ainārs Rubiķis gelingt es, den Saal nicht platzen zu lassen von dieser Orchesterkraft. Musik voller Monumentalseufzer ist das, Hélas-Rufe des Chors vom zweiten Rang aus fluten gut den Raum. Mitunter sehnt man sich in all der Schwere nach der Rotzkomik von Turnages Eddy. Aber auch wenn die Schlussapotheose szenisch eher Behauptung bleibt, führt Rubiķis die Musik am Ende in eine wirklich ergreifende Zärtlichkeit, Betörung, Schwülstyness. Dass Hans Neuenfels einmal in Frankfurt den erlösenden letzten Akt dieser Oper einfach strich, kommt einem als abwegige Idee vor. Und, wie gesagt, der Hauptdarsteller Leigh Melrose allen anderen des starken Ensembles voran beglaubigt die ganze Tour de force-Chose.

Wenn die Tochter mit dem Vater, oder: Antigone schiebt Ödipaps von der Bühne

Rare Gelegenheit, Enescus Mammutwerk mal auf der Bühne zu erleben. In den 1990er Jahren hat es Götz Friedrich an der Deutschen Oper inszeniert, Lawrence Foster dirigiert, der jung gestorbene und fast vergessene Monte Pederson gesungen. Den Konzertgänger hat der Komische-Oper-Œdipe trotz der Kürzungen leicht durchgewalkt, dennoch wird er es sich wahrscheinlich nochmal reinziehen. Denn wann sonst wieder? Im September gibt es vier Gelegenheiten. Generell lässt sich wohl sagen: Wer sich einen guten Ödipus-Quickie gönnen will, ist bei Greek an der Deutschen Oper gut aufgehoben – wer die volle Ödipus-Dröhnung will, muss zu Enescu an die Komische Oper.

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