Wie aufregend, mal eins dieser glanzvoll klingenden asiatischen Orchester mit etwas anderem zu hören als Strauss oder Tschaikowsky! Anlass ist der 100. Geburtstag des deutschkoreanischen Komponisten Isang Yun, dem das Musikfest einen ganzen Tag widmet. Das Gyeonggi Philharmonic Orchestra eröffnet ihn sonntagfrüh im Konzerthaus, später folgt ein Kammermusiknachmittag und ein Yun-Einstieg bei der Saisoneröffnung des Rundfunk-Sinfonieorchesters.
Das Konzert des südkoreanischen Gyeonggi-Orchesters wird zu einem Höhepunkt des Musikfests. Zwei großartige Orchesterwerke von Isang Yun sind die Klammer, innerhalb derer zwei geistesverwandte Komponisten zu hören sind: Ligeti und Hosokawa. Ein kompromissloses Programm, und das ohne Pause, Hut ab!
György Ligeti ist gewiss der Komponist, an den man als erstes denkt, wenn man Isang Yuns Musik neu kennenlernt; doch bei weiterem Hinhören zeigen sich tiefgreifende Unterschiede in der Klangflächen-Ästhetik der beiden. Ligetis Lontano (1967) präsentiert das Gyeonggi-Orchester unter der sachlichen, präzisen und eleganten Leitung der Dirigentin Shiyeon Sung nicht als mikrotonale Wellness-Klangfläche, sondern als Raum, durch den Starkstrom fließt, bis in den pulsierenden Schluss.
Toshio Hosokawas Klage trifft sich mit Yun dagegen eher in der Assoziation des atmenden Klangs; das Risiko, ins beliebig Atmosphärische abzudriften, scheint bei Hosokawa doch höher. Zumindest in diesem 2013 komponierten Stück nach Texten von Georg Trakl, die die Sopranistin Yeree Suh zitternd und zagend und dabei mit bewundernswert klarer Diktion vorträgt: verzweifelte Zitate aus Briefen an den Verleger Ludwig von Ficker sowie das späte Gedicht Klage (1914). Nur Yeree Suhs klischeehafte Mimik aus der Puccini-Kiste (Schluchzblick, Hochgucken zu den Sternen, wenn von Sternen die Rede usw) ist nicht zuträglich. Schön, wie der Orchesterklang mit Trakls Vokalen verschmilzt:
Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt
Unter Sternen
Drumherum Isang Yuns Réak (1966) und Muak (1978). Fantastische Musik ist das! Réak ist ein lebendiger Organismus, in dem nichts gereiht oder geklebt scheint, sondern eine Klangnuance aus der anderen entsteht. Bebende Klänge von der silbrigen Seite des Regenbogens, mystisch, dabei doch auch zielstrebig, effektvoll und nicht zuletzt witzig mit ihrem Tuten und den Buckelglissandi. Eine Eigenschaft, die in Muak noch stärker durchbricht: Mehrmals nimmt die erste Geige Anlauf, aber heraus kommt eine Art Marsch mit Schluckauf. Aber jedesmal anders. Und dann schwillt der Klang doch an, und wie. Aber am eindrucksvollsten ist der Zwischenstopp auf einem stehenden (oder besser gesagt sich drehenden) Klang der Holzbläser. Dessen innerste Linie zieht die Oboe, die in Muak immer wieder exponiert ist und das hübscheste „Leitmotiv“ hat, einen Ton mit einem energischen kleinen Rutscher in der Mitte.
Hier eine im Vergleich zum Gyeonggi-Konzert doch recht hölzerne Muak-Aufführung, dafür mit dem seligen Gerd Albrecht im Gespräch mit dem seligen Isang Yun in der seligen Reihe Wege zur neuen Musik (die einer Wiederbelebung wert wäre):
https://youtu.be/EXZzo1cC278
Isang Yuns leidenschaftliche Neigung zu den Blasinstrumenten wird auch in einem abwechslungsreichen, anregenden Konzert mit zehn Musikern am Nachmittag im Kammermusiksaal deutlich, von jungen Nachwuchsmusikern bis zu gestandenen Isang-Yun-Wegbegleitern, allesamt auf beeindruckendem Niveau. Das Quartett für Flöten (1986) führt offenhörlich auf Yuns eigenstes Terrain. Selbst in mehreren Stücken für Streicher und Klavier meint man den Atem von Blasinstrumenten zu spüren, darunter Gasa (1963). Sehr eindrucksvoll am Ende die farb- und facettenreich, spannend mäandernden Images für Flöte, Oboe, Violine und Cello (1968).
Den Klängen des Weltalls lauschen müsse man, bevor man komponiere, schrieb Isang Yun 1992, drei Jahre vor seinem Tod in Berlin. Vor aller Arbeit stehe: Ausschnitte aus diesem großen Strom einfangen.
Das Konzert des Gyeonggi-Orchesters ist am 19. September auf DLF Kultur nachzuhören.
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Schade dass die Kammermusiker, die sich sicher einen Haufen Arbeit mit der Erschließung der Yun’schen gemacht haben, in Ihrer Rezension so gänzlich anonym bleiben…..
Ich habe mich in dem Fall fürs Verlinken entschieden. Das Niveau schien mir durchweg hoch, und Namedropping nützt niemandem. Das fantastische Kammerkonzert hätte insgesamt noch mehr Platz verdient.