Nichtsnah, himmelwärts: Isabelle Faust und Kristian Bezuidenhout beim Musikfest

Zur Geigerin Isabelle Faust geht der Konzertgänger stets mit den höchsten Erwartungen. Aber dann werden sie doch jedesmal übertroffen.

Was für eine kunstvolle Programm-Architektur bei Faust und dem Cembalisten Kristian Bezuidenhout. Und das einen Tag, nachdem Barenboim und die Staatskapelle ihre Saison und nebenbei das Musikfest Berlin mit einem Programm eröffneten, wie man es sich schwerer (was das Werk selbst angeht) und zugleich unambitionierter (als Saison- und Festivaleröffnung) nicht vorstellen kann: nämlich Bruckner ohne alles (Tagesspiegel-Kritik).

Nun im Kammermusiksaal Bach plus Frühbarock, fast drei Stunden lang. Welche Zusammenhänge und Kontraste sich da hörend erschließen! Nicht unbedingt, zumindest nicht für Otto Normalhörer, die Verwandtschaft der Bass-Ostinati in den Passacaglien von Heinrich Ignaz Franz Biber und Louis Couperin, wie sie Martin Wilkening in seiner Einführung beschreibt. Sondern ganz unmittelbare Hörerfahrungen: Erst Johann Jakob Frobergers C-Dur-Suite (1656), die Bezuidenhout solo spielt, mit einem zitternd schwebenden Allemande-Lamento voller Triller und Arpeggien, dass die Obertöne des Cembalos wie Goldstaubregen auf den Hörer herniederrieseln. Dann Johann Sebastian Bachs Sonate Nr. 5 f-Moll BWV 1018 (1725). Die beginnt ebenfalls mit einem Lamento, erst ist nur das Cembalo zu hören, sehr zögernd setzt die Geige ein, wie auf der Suche, mit zerbrechlichen Tönen, die Isabelle Faust zärtlich aus dem Nichts entstehen lässt.

In der folgenden Fuge übernimmt die Geige die Führung, ehe sich im irritierenden dritten Satz ein Adagio ereignet, in dem die beiden Instrumente zu etwas verschmelzen, das Wilkening treffend als Modulationsspirale und Klangfläche beschreibt. Nie je wird eine Auflösung möglich sein, denkt das Ohr des Konzertgängers. Und dennoch findet sie statt, und das fugierte Schluss-Vivace sowieso. Danach zieht sich der Bogen weiter bis zum einsamen Höhepunkt selbst eines Programms, das sich um Bachs sechs Sonaten rankt: der Schluss-Passacaglia aus Bibers Rosenkranz-Sonaten (1678).

Später, zwischen Bachs erster und sechster Sonate, gibts nochmal Biber, die kontrastreiche 5. Sonate e-Moll, diesmal für Violine und Cembalo. So logisch und folgerichtig Bach auch im Gefälligen klingt, so ungreifbar wirkt der katholische Mystiker Biber auch im Gewand von strengen Formen: meditativ und ekstatisch, exaltiert und verinnerlicht, himmelfahrend und niederwerfend.

Wenn der Konzertgänger Biber hört, will er gleich katholisch werden. Wenn er wieder Bach hört, auch den weltlich amüsanten, bleibt er doch Protestant. Kaum zu glauben, wie ungeheuer abwechslungsreich Bachs sechs Sonaten doch sind, trotz auf den ersten Blick ähnlicher Abläufe.

Die technischen Seiten von Isabelle Fausts tausend Arten, einen Ton schwerelos zu machen, sollen violinistisch Berufenere analysieren. Und modisch Berufenere mögen ihre Issey-Miyake-Kleider preisen! Der Konzertgänger bewundert Fausts anmutige Hingabe, in der nie ein Ton ihrer Dornröschen-Stradivari (1704) zufällig oder beiläufig klingt, ob er sich nun himmelwärts sehnt oder erdenschwer seufzt, fragt und zweifelt oder witzig bekräftigt.

Und er wünscht sich, dass er, wenn er dereinst in die Grube fährt, Faust mit den kompletten Rosenkranz-Sonaten gehört haben wird.

Für einige Hörer etwas zu nah am Nichts sind Fausts Töne in der ersten Hälfte des Abends. Dem Konzertgänger, günstig platziert in Block A Reihe 5, klingen sie zwar ideal temperiert, aufs Vollkommenste stimmig mit den Stimmen des Cembalos in Bachs Sonaten (die kompositionstechnisch Triosonaten sind). Die hohen Töne leuchten, etwa in der c-moll-Sonate, ohne je in die naheliegende Versuchung des Überstrahlens zu geraten. Aber jenseits von Block A Reihe 5 verschluckt der riesige Kammermusiksaal offenbar dies und das. Ist eben doch kein fürstliches Kabinett in Köthen. Und so spielt Faust nach der Pause merklich lauter. Hört sich auch richtig an, vor allem in der h-Moll-Sonate BWV 1014.

Der profunde Tastenhistoriker Kristian Bezuidenhout, der wahrscheinlich auch mit 90 noch wie ein sehr aufgeweckter Student aussehen wird, verzückt indes als perfekter Partner. Erstaunlich, welche Klangnuancen und Schattierungen er seinem komischen Zupfkasten entlockt, einem Cembalo von Keith Hill (Michigan, 2010) nach Vorbild eines Pascal-Taskin-Instruments von 1769. In Louis Couperins Prélude & Passacaille C-Dur (Pièces de Clavecin 10 & 27) gehts durch alle Register, aus brummelnden Tiefen, in denen die Basslinie der Passacaille zunächst kaum erkennbar ist, bis in höhere, auch bizarre Regionen. Höfische französische Clavecin-Kunst, die plötzlich an Bibers Verzückungen erinnert. Müsste alles viel öfter gespielt werden hierzustadts. (Dann würde das Musikfest auch nicht Louis Couperins Biografie mit einem Bild seines Neffen François illustrieren; Vorsicht bei der Google-Bildersuche, liebe Programmheftgestalter.)

 

Anyway: was für eine kunstvolle Programm-Architektur.

Nach der Pause sitzt auch John Eliot Gardiner im Publikum, wahrscheinlich herübergekommen von einer Probe im Großen Saal der Philharmonie, wo er ab heute drei Aufführungen der Monteverdi-Opern leiten wird (zum Musikfest-Programm).

Verstörendes Erlebnis am Rande: Ein dem Konzertgänger bekannter Klavierlehrer schaut während Bachs A-Dur-Sonate BWV 1015 auf die Uhr. WTF, denkt der Konzertgänger da; und damit ist nicht der Bach-Sohn Wilhelm Theodor Friedemann gemeint.

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