Missbräuchlich: Berlioz‘ „La damnation de Faust“ an der Staatsoper Berlin

Wer schaut sich freiwillig ein Pokalfinale an, wenn er zur selben Zeit mit Hector Berlioz zur Hölle fahren kann? O mérikariu! O mévixé! Mérikariba!, wie es (sehr frei nach Goethe) im finalen Pandämonium von La damnation de Faust heißt. Da schunkeln und walzern die höllischen Heerscharen in so trostloser Pracht, dass auch eine Helene Fischer kein Buh befürchten müsste, nur ein anfeuerndes: Has! Has!

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Und dann wird das in der Staatsoper im Schillertheater noch vom genialen Filmregisseur Terry Gilliam inszeniert! Das muss ja was werden!

Wird auch was: nämlich eine gute Gelegenheit fürs Motto prima la musica. Denn musikalisch ists prima.

Dem Simon Rattle liegt der Berlioz mit seinem unvermittelten Nebeneinander von Feinstsinn und Haudrauf. Die Staatskapelle lässt alle Farben und Nuancen schillern und wumpert mit teuflischer Freude. Das klingt so differenziert, dass man die etwas trübe Akustik des Schillertheaters schnell vergisst.

Berlioz_Faust_3_Liebig__600x405_Man meint gar den liebenden Ehemann am Pult zu erkennen, wenn man hört, wie das Orchester die Stimme von Magdalena Kožená umschmeichelt — die Streicher vor allem und natürlich das wunderbare Englischhorn in D’amour l’ardente flamme / consume mes beaux jours (so Berlioz‘ nur fast wörtliche Übersetzung von Meine Ruh‘ ist hin / Mein Herz ist schwer). Was man weniger erkennt, ist die Sprache, in der Kožená singt; gelegentliche Nasallaute sprechen für Französisch. Das fällt aber kaum ins Gewicht, da Koženás Gesang dennoch zum Hörer spricht, direkt in sein Herz: von Sehnsucht, Leid und Glück. Eine warme, sehr berührende Marguerite.

Wie exakt dagegen die Diktion von Charles Castronovo als Faust! Seine Stimme scheint an sich kein Gottesgeschenk zu sein, etwas eng. In den ganz ätherischen Regionen Falsett, einmal kommt es zu einem gewissen Krähen. Umso bewundernswerter, wie sicher und facettenreich Castronovo diese Stimme führt und zu welchen Kraftentladungen er schließlich doch in der Lage ist. Ein äußerst nuancierter, dadurch intensiver Faust.

Die Stimme von Florian Boesch ist, obwohl eine Etage tiefer gelagert, im Timbre nicht unähnlich, was bei der speziellen Affaire von Faust und Méphistophélès ja durchaus seinen Reiz hat. Seiner detaillierten Wortbehandlung hört man den Liedsänger an, sehr schön. Auch hier erwartet man kaum die diabolische Kraft, die er am Ende entwickelt — inklusive einem finalen Pianissimo, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Dass er aber noch so viel herumkaspern und ins Publikum zwinkern kann und dennoch niemand lacht, auch niemandem ein Lachen im Hals steckenbleibt, das ist nicht Boesch anzukreiden, sondern der Regie — dazu gleich mehr.

Auch Jan Martiník (Brander) und Miho Kinoshita (Stimme aus dem Himmel) erfreuen, ebenso alles in allem der Staatsopernchor, der am Anfang etwas grobjustiert tönt.

Aber diese Inszenierung.

Von Terry Gilliam, der im Interview mehrmals betont, er hätte dem Stück gern den Untertitel Der Unfug des Méphistophélès gegeben. Sehr vielversprechend klingt das aus dem Munde eines Regisseurs, der nicht nur Filme wie Brazil und Twelve Monkeys geschaffen hat, sondern auch die großartigen Monty-Python-Animationen:

Kein Einwand, dass das eine Koproduktion mit drei anderen Opern ist, die schon seit 2011 in London läuft. Der Konzertgänger gehört ja zur Minderheit derjenigen Berliner, die in den letzten sechs Jahren nicht in der English National Opera waren.

Aber zwei andere Einwände: einer ist Ermessenssache, der andere skandalös.

Ermessenssache: Ob es wirklich eine gute Idee ist, Berlioz‘ fragmentarisches Faust-Dingsbums zu einer linearen Handlung verbinden zu wollen. Macht diese Glättung die Damnation nicht konventioneller, als sie eigentlich ist?

Skandalös: Dass diese lineare Handlung eine Shoa-Schmonzette ist, ein Holocaustdrama am ungeeigneten Objekt inklusive Judenverprügeln, Deportation, Marguerite in der Erlösungsszene auf einem Leichenberg im KZ. Vor einiger Zeit sah man schon einen KZ-Leichenberg auf einer Berliner Bühne, in Schönbergs Moses und Aron an der Komischen Oper. Das war schrecklich, aber es ergab schrecklichen Sinn. Hier ist es bloße Effekthascherei, Shoa-Exploitation.

Es spräche ja gar nichts dagegen, Berlioz‘ verquaster Goethe-Überstülpung auch etwas Verquastes überzustülpen. Aber muss das ausgerechnet der schale Geschichtsmystizismus von Thomas Manns Doktor Faustus sein, in dem ein direkter Weg von romantischer Innerlichkeit zu Hitler führt? Nur bei Gilliam schlechter, nämlich wörtlicher, konkreter, „politischer“ — platter: mit Gaskrieg-Videos, Kaiser-Wilhelm-Slapstick und jeder Menge Hakenkreuz-Uniformen.

Einige Szenen haben ordentlichen optischen Pfeffer, aber der ganze Ansatz ist so unschlüssig, dass er einem jede Freude daran vergällt. Und er führt teilweise zu so banalen wie empörenden Einfällen: nicht erst im indiskutablen Leichenberg-Schlussbild, sondern auch, wenn ein paar Gran von der emotionalen Kraft von Marguerites Romanze D’amour l’ardente flamme abgezweigt werden für eine geschmacklose Nebenszene, in der ein Wehrmachtssoldat während der Deportation einem jüdischen Jungen einen Papierflieger bastelt. Nicht nur da überschreitet die Regie die Grenze zum Missbrauch der Nazi-Opfer.

Was wohl die bekannte Philharmonikerin, die mit ihren Kindern da ist, nachts auf deren Frage antwortet, worauf diese Sache denn hinauswollte?

Vielleicht einfach: Unfug. Oder besser: Diff! diff! merondor, merondor aysko! Und bitte Sir Simon wieder eine konzertante Aufführung vorschlagen, das lohnte, prima la musica.

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3 Gedanken zu „Missbräuchlich: Berlioz‘ „La damnation de Faust“ an der Staatsoper Berlin

  1. „Ob es wirklich eine gute Idee ist, Berlioz‘ fragmentarisches Faust-Dingsbums zu einer linearen Handlung verbinden zu wollen“ – ach doch, eigentlich schon. Konzertante Aufführungen interessieren m.M. ja nur, wenn man sie als Ergänzung zur Opernerfahrung nimmt und nicht als Ersatz.
    „Gaskrieg-Videos, Kaiser-Wilhelm-Slapstick“ fand ich noch gut. Aber danach wurde es übler, da stimme ich voll zu.
    Hoffentlich wird Rattle auch die Wiederaufnahme dirigieren.

  2. Grins, hab die Anspielung mit dem Biergarten schon verstanden 🙂 Wenn es Fausts Verdammnis gewesen wäre, hätte ich nicht gescchwänzt. Aber bei dieser Inszenierung wohl eher doch. Verstehe aber Rattle nicht, das der sich für so eine Naziklamotte hergibt. Die DO hätte ihn und seine Gemahlin sicherlich auch für die großartige Inszenierung gerne genommen. Ebenfalls verstehe ich Barenboim, ohne den dort sicherlich nichts geht, so einen Schund zuläßt, zumal ja bekannt sein musste, was die erwartete

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