Mestorein: Belcea Quartett spielt Mozart, Bartók, Mendelssohn

Nach ein paar Tagen alter Musik auch wieder Freude über die vollkommene Intonationsreinheit eines Streichquartetts. Die ist bei einem guten Ensemble natürlich nicht Ziel, sondern bloß Bedingung erfüllten Musizierens – erst recht bei einer Hausnummer wie dem Belcea Quartett, dem Ensemble in Residence des Pierre-Boulez-Saals. Der Ton ist rein, aber der Sinn ist trüb, ja mesto in diesem novemberabschiedlichen Programm mit Mozart, Bartók, Mendelssohn.

Die vier Musiker (man ist versucht zu schreiben: Corina Belcea und drei Männer) sitzen je rechtwinklig einander zugewandt in der Mitte des Saals, ein Streichquadrat. Wie neulich das JACK-Quartett im Kammermusiksaal spielen sie alle vom Tablet, während die Partitur-Mitleser im Auditorium noch am Gedruckten kleben, den Bleistift zwischen Zeige- und Mittelfinger.

Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquartett B-Dur KV 589 von 1790 war als Dediktion an den Hohenzollerich Friedrich Wilhelm II. gedacht und wurde zum Abschiedsstück, weil sich die Preußen-Option zerschlug; entsprechend verabschiedet sich das Cello, des Königs Leib-und-Seele-Instrument, nach dem zweiten Satz zwar nicht aus dem Zusammenspiel, aber aus seiner hervorgehobenen Rolle. Was ist das für ein beseelter Gesang, den der Cellist Antoine Lederlin im beseelten Larghetto anstimmt!

Noch weiter an den Rand der Töne aber, dorthin, wo man spürt, dass auch mal einer zerbrechen könnte, wagt sich Corina Belcea, die sehr zu Recht Namensgeberin des Quartetts ist. (Namensmatrone sagt man nicht, oder?) Belcea scheint jede Figur einen gewagten Hauch riskanter zu spielen als ihre Kollegen.

Und ist doch völlig eins mit ihnen in den krassen blockhaften Unisoni des Kopfsatzes des 6. Streichquartetts, das Béla Bartók 1939 auf dem Weg in den Emigrations-Abschied aus dem vernazigifteten Europa schrieb. Doch bevor das erste, gleich besonders harsche Unisono losbricht, setzt Krzysztof Chorzelskis Bratsche zum Mesto an: skrupulös zögernd, kaum scheint sein Bogen die Saite zu berühren zu wagen.

Dieses Mesto-Thema taucht variiert als Introduktion der ersten drei Sätze auf. Bevor im zweiten die Marcia in Gang kommt, tritt für einen Moment die Geige von Axel Schacher hervor; später, als es mächtig stampft, torkelt sie in zitternden Figuren, ehe ein scheußliches Pfeifen diesem Abschnitt den Marsch bläst. Die folgende Burletta aus der Hölle klingt, als spielte Norman Bates zum Tanz auf. Und nach drei Mesto-Introduktionen schließlich das Finale, eine Introduktion, die nie mehr enden wird: ein Mesto-Klagegesang, in dem sich die vier Quadratstreicher gemeinsam an den Rand der Töne wagen, dorthin, wo die Welt zu zerbrechen droht. Oder schon zerbrochen ist. Erschütternd ist gar kein Ausdruck dafür.

Eins dieser Werke ist das, aus denen man mehr über die Zeit seines Ursprungs zu begreifen meint als aus 2000seitigen Geschichtsbüchern.

Zerbrochen war auch die Welt von Felix Mendelssohn Bartholdy, als er 1847 sein letztes Werk schrieb, das Streichquartett f-Moll. Die im Programmheft abgedruckten Zitate aus seinen Briefen nach dem unerwarteten Tod seiner Schwester Fanny Hensel schnüren einem allein schon die Kehle zu: Gott helfe uns allen – weiter weiß ich nichts zu sagen und zu denken. Heut und gestern und in vielen, vielen Tagen werde ich nichts mehr zu schreiben wissen, als eben – Gott helfe uns, Gott helfe uns!

Aber was für ein Gotthelfeuns ist dieses Streichquartett! Ein Zittern, Schreien, Weinen binnen weniger Takte. Auch hier: erschütternd kein Ausdruck. Das Adagio dieses Abschieds zerreißt einem das Herz in der Brust. Nein, eigentlich alles. Zugleich empfindet man grenzenlose Dankbarkeit: vor allem gegenüber Mendelssohn, der es sich, vielleicht ja wirklich als Produkt eines schon fanatischen bürgerlichen Arbeitseifers, im Angefratz des Todes abzwang, solche Musik zu schreiben. Und dann auch gegenüber dem Belcea Quartett für diese in jeder Hinsicht erfüllte Interpretation.

Darf man da einen Einwand wagen? Vielleicht sind zwei Werke dieser tragischen Weite, Bartók und Mendelssohn, doch mehr, als eine Seele an einem Abend vertragen kann, die sich wirklich auf diese Werke einlässt. Der zweite Einwand indes zerfällt nach wenigen Tönen: Will man, kann man nach diesen Sachen noch eine Zugabe hören? Aber sie erweist sich als richtig. Denn dieses schöne Largo cantabile von Haydn scheint von einer Art Melancholie, die einem das Weiterleben erlaubt.

Das Belcea Quartett spielt im Boulezsaal wieder am 23. Februar, dann gemeinsam mit Piotr Anderszewski – was für eine vorfreudeschenkende Paarung!

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