Ligetiös: Karina Canellakis und Pekka Kuusisto beim DSO

Sein Violinkonzert hat György Ligeti für Pekka Kuusisto geschrieben! Auch wenn er bei der Komposition kaum gewusst haben dürfte, dass es den Kuusisto gibt, der war da gerade sechzehn. 1992 war das, Montserrat Caballé und der tote Freddy Mercury besangen die Olympiastadt Barcelona – Jahr der bizarren musikalischen Ereignisse also. Ligetis Konzert aber ist, wie sich bei der Aufführung in der Philharmonie mit der Dirigentin Karina Canellakis und dem Deutschen Symphonie-Orchester wieder zeigt, ein Werk von divinatorischer Schönheit und überirdischem Witz.

Auf leeren Saiten wackelt sich der Geiger zu Beginn in das Werk, und vielleicht in die Musik überhaupt, hinein: als dächte er sich das alles eben aus, kindlich zur Decke kuckend. Auf einen betörenden Gesang der Violine werden später drei Gänseflötchen mit einem der wohl seltsamstklingenden Choräle der Musikgeschichte antworten (Okarinas heißen diese Instrumente korrekt). Später folgt eine langsame Passacaglia aus der Umlaufbahn des Planeten Solaris und schließlich ein Appassionato wie auf einem siebenbürgischen Feuerwehrball, bei dem die Posaunensirene zum Jüngsten Gericht ruft und eine Maus in ihrem Loch eine Entrückung erfährt, in Gestalt einer ekstatischen Kadenz inklusive Anrufung der Kellergeister. Denn Kuusisto singschreit dabei. So wie er als Zugabe ein rumänisches Volkslied pfeifen wird, dazu auf seiner Geige wie auf einer Gitarre luzide schrammelnd. In dem Ligeti-Konzert aber verbindet er Tiefsinn und Höchstkunst und wirkt dabei trotz Vergeistigung wie ein etwas schmuddliger Jahrmarktfiedelbube. Kurzum: ligetiös.

Sieben Kontrabässe stehen da auf der Bühne herum, nur einer spielt in dem so klein wie genau besetzten Ligeti-Konzert. Je eine Bratsche und eine Violine haben verstimmt zu spielen (will sagen „skordiert“), um die Ober-, Spektral-, Mikrotöne so richtig aufflirren zu lassen. Ein guter Teil der DSO-Musiker aber ist zum Ligeti-Konzert ins Publikum geeilt, in Frack, Hosenanzug oder Abendkleid, denn Pekka und Ligeti darf man sich nicht entgehen lassen.

Und Karina Canellakis, die junge amerikanische Dirigentin! Sie wird bald Chefin der Niederländischen Radiophilharmoniker und ist zum ersten, aber gewiss nicht letzten Mal beim DSO. Das Zusammenspiel des Orchesters mit Kuusisto führt sie beeindruckend auf den Punkt.

Wer nicht übt, den holt die Mittagshexe!

Vor und nach dem Ligeti-Konzert ist die volle DSO-Besetzung auf dem Podium, und auch das beeindruckt. Antonín Dvořáks Mittagshexe gerät mit Canellakis so farbenreich wie wohlsortiert. Feine Holzbläser hat das DSO. Das Gruselmärchengrauen in Dvořáks Sinfonischen Dichtungen (hier: Hexe bringt nervendes Kind um) hat ja was Peinliches bis Abstoßendes. Aber wie die Klarinetten in der Mitte des Stücks so einen mesmerisierenden Glasharmonika-Albklang bekommen, da schauerts einen doch auf höherer Ebene. (Vielleicht sollte man die Titel bei diesen Dvořák-Stücken einfach mal verschweigen?)

Das tüchtige Holz ist auch in Béla Bartóks schmerzlich-schönem Konzert für Orchester sehr nützlich, zumal in den „Paartänzen“ des zweiten Satzes und dem Finale. Ein Spätwerk wie alles heute Abend, aber jedes von ganz anderem Charakter. Das von Bartók ist gerade in seiner hart erkämpften Freude das Endzeitlichste, kein Wunder anno 1943/45 schwerkrank und heimweh im Exil. Sirrender und warmer Streicherklang, hingebungs- und schwungvoll, sehnend im ersten Satz. Die bald depressive, bald glühende Elegia im dritten Satz, dem Zentrum des Werks, steht immer unter hoher emotionaler und musikalischer Spannung, wie überhaupt Canellakis‘ starke Organisation sich mit klanglicher und menschlicher Wärme verbindet: Qualitätsdirigat also. Das Fortlachen des Léhar-Schmonzes im vierten Satz könnte vielleicht noch schärfer, härter sein. Aber das Finale ist wieder von grandioser Turbulenz ohne Rumpeln und Poltern, immer elegant. Ist das nicht der seltene Fall eines geglückten Jubelfinales? Komponiert von einem Todunglücklichen. Bartókesk.

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