Hier keine Perlenfischer. In Berlin hat man ja den Luxus, nach anderen Perlen zu fischen: Man kann z.B. Giuseppe Verdis Don Carlo, gestern an der Deutschen Oper wiederaufgenommen, mit dem eben gehörten Don Carlo an der Staatsoper vergleichen. Dort alles in allem differenzierter, hier theatralischer, auch plakativer, für den Konzertgänger letztlich aber emotional berührender.
Noch anregender der Vergleich mit dem sehens- und hörenswerten Boris Godunow, der eben an der Deutschen Oper Premiere hatte: Traurige Despoten unter sich, der Boris und Carlos Vater Philipp (siehe rechts). Beide wahrscheinlich gar keine schlechten Könige, so sub specie historiae betrachtet. Aber wie sie sich quälen sich sub specie aeternitatis (im Puschkin-Russland) bzw sub specie amoris (im Schiller-Spanien).
Der Italiener Giacomo Prestia verkörpert den ungeliebten Philipp II. mit mächtigem Bass, der ihn stante voce zum Mega-Großinquisitor qualifizieren würde und angeohrs dessen jeder Frau das graue Monarchenhaar schnuppe sein dürfte. Außer eben Elisabeth von Valois, die lieber Stiefsohn Carlo liebt. Trotz, oder gerade wegen, Prestias Volumen hat man das Ella giammai m’amò selten so ergreifend gehört, mit einer Zerbrechlichkeit, die das Herz zerreißt.
Sängerisch noch stärker ist allein der Bariton Etienne Dupuis als famoser Posa, der nicht nur mit klarer Diktion und kontrollierten Ausbrüchen besticht, sondern den idealgläubigen Jungen weckt, der noch in der verhärtetsten Männerseele verschüttet liegt, wenn er singt: No, fa cor, l’estremi spiro lieto è a chi morrà per te. Glücklich der letzte Atemzug dessen, der für den Freund sterben darf! Winnetou ist nix gegen Posa.
Schade nur immer, dass der trottelige Carlo kein Shatterhand ist. Jedesmal ärgert man sich, wenn dieser Tenorschluffi, nachdem er so heroisch gerettet wurde, mit seiner ewigen Verabschiederei von der Geliebten das Schicksal Flanderns besiegelt. Was für die Rolle dieses Carlo getan werden kann, tut Teodor Ilincai tadellos und dem großen Saal gerecht werdend, wenn auch ohne überraschende Facetten. Dito Ievgen Orlov als Großinquisitor.
Licht und Schatten bei den Frauen: Kristin Lewis hat als Elisabeth anfangs mit den Höhen zu kämpfen, liegt am Anfang auch in der mittleren Lage hörbar daneben. Aber ihr langer Monolog im Schlussakt ist dann doch sehr bewegend in seiner Unausgewogenheit zwischen zärtlichen Erinnerungen und heftigen Ausbrüchen. Das ist allerdings eine staunenswerte Leistung, wenn man hört, dass Lewis für die erkrankte Liudmyla Monastyrska eingesprungen ist und zudem in der Pause einen Kreislaufkollaps erlitten hat, so dass die Fortsetzung des Abends offenbar auf der Kippe stand. Die junge Jamie Barton ist eine beeindruckende Hochdruck-Eboli, die vielleicht Brüche (noch) zu sehr durch pure Intensität ersetzt, heftiges Schluchzen inbegriffen.
Der Dirigent Roberto Rizzi Brignoli spürt mit dem Orchester der Deutschen Oper im Don Carlo keiner präimpressionistischen Italo-Wagnerei nach, sondern nimmt ihn direttissimamente als 120prozentige Theatermusik. Das Blech trudelt am Anfang ziemlich unpünktlich ein, jeder für sich, überhaupt rumpelt und pumpelt es im ersten Teil bisweilen, und die Synchronität mit den Sängern will nicht immer, wie sie soll. Aber das bessert sich im Lauf des Abends merklich, grazie a Dio. (Und wird es im Lauf der Folgeaufführungen wohl weiter tun; aber müssen Wiederaufnahmen so oft verspätete Proben sein?). Das Holz singt dann wunderbar, das Streichermelos glänzt, das Blech entwickelt hohe Leuchtkraft und bläst zum Sturz in den Abgrund.
Durchwachsen klingt der Chor, den man schon sauberer gestaffelt gehört hat, zum Beispiel aktuell glänzend im Godunow. Ausgepowert vom Vorabend? Oder einfach unterprobt?
Die atmosphärische Inszenierung von Marco Arturo Marelli steht im Zeichen des Kreuzes, das gar nicht da ist: Es entsteht nämlich nur in den Lücken von massiven Mauern, als Luftspiegelung sozusagen. Diese Fata Morgana aber ist groß und deutlich und bühnenvereinnahmend. Carlo blickt sehnsüchtig in diese große Kreuz-Lücke, aber hinter der verbirgt sich nur das Leid Flanderns, die Verbrennung der Ketzer, die Behausung des Großinquisitors. Schließlich färbt sich die Luft, aus der das Kreuz besteht, im Blut-und-Feuer-Purpur der Kardinäle.
Die Mauern indes, die das Kreuz erst definieren, werden ein klein wenig oft hin und hergeschoben, das ist jedesmal wieder ein großes Rumpeln und Pumpeln. Und Simulation von Dynamik, wie auch die Personenführung nicht frei von Aktionismus ist. Aber das Bühnenbild ist trotz einer gewissen Monotonie von beklemmend stimmiger Klaustrophobie, und die Anlage der Figuren wirkt sinnvoll. Vorneweg die beiden Träumer im Mittelpunkt dieser vielstimmigen Oper: Posa als wühlerischer Idealträumer (in den Carlo sich am Ende vergeblich zu verwandeln sucht) und Carlo als Albträumer. Seiner Rolle angemessen luschig liegt er öfter in der Gegend herum und muss vom Bühnengeschehen erst aufgeweckt werden. Dass er am Ende von keinem Mönch-Kaiser entrückt wird, ist folgerichtig. (Weitere Vorstellungen am 29. Juni, 2. und 6. Juli)
Bei Ihnen liest man ja immer wieder Interessantes. Ich habe die gestrige Vorstellung besucht. Die Inszenierung ist wohl kein Geniestreich aber sehenswert. Die Monastyrska entwickelt sich ja allmählich zur Absage-Spezialistin. Ich hoffe, die DO weiß, was sie tut, sie hat die Gute nächste Saison auch zwei Mal gebucht (wobei Monastyrska eine Wucht ist, wenn sie denn auf der Bühne steht). Die Elisabeth der Lewis fand ich recht gut, trotz einer gewissen Unausgewogenheit.
Dramaturgisch finde ich Don Carlo immer noch heikel und schwierig. Es wäre eine gute Idee gewesen, wenn in Berlin eines der beiden großen Häuser die 5-aktige Fassung mit Fontainebleau-Akt spielen würde.
ohhhhhhhhh klingt ja super. Na mal sehen, wer bei mir die Elisabeth singt. Bisher steht noch keine fest. Insgeheim hoffe ich ja auf Fr. Harteros, die ja auch gerade in Berlin ist. Wird aber wohl ein Wunschtraum bleiben
„Super“ würde ich nicht sagen, aber das Gesamtpaket hat für mich gestimmt. Folgeaufführungen sind ja ohnehin meist besser.