Weltenfarbig: Kodály, Bartók, Rimsky-Korsakow mit Gilbert Varga und Dezsö Ránki im Konzerthaus

Wenn schon Klassik, dann Oper, ist eigentlich das Motto der Tochter des Konzertgängers, aber für die Scheherazade macht sie eine Ausnahme. Denn diese Sinfonische Suite op. 35 von Nikolai Rimsky-Korsakow ist doch farbenprächtiger, sinnenfroher, kinderphantasiekatapultierender als jedes Musiktheater.

Ja, für die wunderschöne Scheherazade nimmt sie sogar das ausgiebige Vorspiel in Kauf – und nachdem sie es offenen Ohrs angehört hat, beschließt sie, es durchaus gern in Kauf genommen zu haben. Der Dirigent Gilbert Varga (den man nicht erwähnen kann, ohne zu erwähnen, dass er der Sohn von Tibor Varga ist, was doch etwas ungerecht ist) erfindet im Konzerthaus das Rad der Programmgestaltung nicht gerade neu, man könnte sich diesen Ablauf auch in einem Konzert anno 1950 vorstellen: Ouvertüre-oder-Tanzsuite-Dings, Solokonzertbums, Sinfoniedingsbums – der Klassiker schlechthin.

Na und?

Denn in so vollendeter Licht- und Farbengestaltung in die Gegenwart herübergelupft, lässt man sichs gefallen und mehr als das, ein hoher Genuss. Es ist die dritte Aufführung dieses Programms, die das Konzerthausorchester gibt, Sonntagnachmittag, alles sitzt, alles fließt, dritte Aufführungen sind doch eine feine Sache. Unter allen herrlichen Farben in Zoltán Kodálys Tänzen aus Gálanta (1930) gefällt Konzertgängers Tochter am allerbesten der knallrote Kopf von Ralf Forster, der seiner kadenzierenden Klarinette indes viel mehr Nuancen entlockt, den ganzen Verbunkos-Regenbogen.

Dezsö Ránki ist der Solist in Béla Bartóks 3. Klavierkonzert (1945). So durchdacht und voller Spannung jede Phrase wirkt, so klar und deutlich und hell klingt Ránkis Spiel im Ganzen. Anrührend, doch ohne jeden Hauch von Sentimentalität. András Schiff ist jedem ein Begriff, aber Ránki, wer kennt ihn hierzulande außer Klavierspezialisten? Er scheint in Berlin schmählich unterschätzt, kann das sein? Das vorzüglich korrespondierende Konzerthausorchester nimmt den hellen, luftigen Ton auf, ein wenig entbasst klingt diese Weltabschiedsmusik, und gewiss nicht nur, weil die Kontrabässe in Iván-Fischer-Manier hinter dem Orchester spielen.

Gilbert Varga dirigiert den Bartók aus der Taschenpartitur, Kodály und Rimsky-Korsakow aus dem Kopf. Auch mal mit der Freude am großen Armschwung, aber doch souverän und abgeklärt. Er hört manchmal einfach zu und schlägt nicht andauernd den Takt, als säßen ihm lauter Dussel gegenüber – schon gar nicht bei den unbegleiteten Soli, vor allem der sich anmutig windenden Violine von Suyeon Kim in Rimsky-Korsakows Scheherazade. Die zarten Schleier, die die Harfenistin Ronith Mues um den singenden Leib der Scheherazade wehen lässt, entzücken Vater wie Tochter Konzertgänger nachhaltig. Der gewaltige Sultan dräut und wogt von links aus der Ecke, famoses Blech. Varga bringt die Farbenpracht und die überbordenden Schönheiten der Komposition zum Leuchten und verschmilzt Wumms und Filigranität mit ökonomischer Übersicht.

Ach, Scheherazade! Der überwältigende Sog dieser wieder und wieder zauberhaften Musik macht Jung und Alt zum staunenden Kind. Wer provozierende Kombinationen sucht, Stoff zum Anecken, der mag hier von einem Allerweltskonzert sprechen; aber solche gelungenen Allerweltskonzerte können dem offenen Herzen die Welt bedeuten.

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