Es gibt Programme, die kicken den Konzertgänger auf den ersten Blick. Obwohl er auch auf den zweiten und dritten Blick nicht ganz sicher ist, warum. Felix Mendelssohn Bartholdy und Gustav Mahler, das ist so ein Fall. Iván Fischer kombiniert die beiden beim Konzerthausorchester, das man ja schon deshalb mögen muss, weil es sich ohne blöden Bindestrich schreibt. (Daher der ganze folgende Text über die dritte, samstagabendliche Aufführung ohne Bindestriche.)
Warum kickts nun? Weil da Tag und Nacht aufeinandertreffen? Das sonnensüdliche Diesseits der Italienischen Sinfonie und das schwarzschattene Jenseits des Lieds von der Erde? Felix Yin Mendelssohn und Gustav Yang Mahler? Aufbruch und Abschied überdies, wie Jens Schubbe im Programmheft schreibt, ideales Italien und eigenartiges Chinafantasma. Und beide überaus sanglich.
Was jedenfalls den Konzertgänger kickt: Dass, Großformbau hin oder her, kleine Motive sich als Stimmung übers ganze Werk legen und derart nachhallen. Nicht nur bei Mahler die zu tragender Bedeutung erhöhten Ornamentmotive (wie in der Neunten) oder die absinkenden Trauermarschterzen, sondern auch der schmissige Fanfarenauftakt, der Mendelssohns Italienische auch ins Klassikradiorepertoire gekickt hat. Hat was immens Ursprüngliches, wie sich das A direkt aus dem Einstimmen des Orchesters über treibenden Triolen zum Durakkord aufkatapultiert: reines Gold, eine Explosion von Licht.
Das Orchester ist bestens italienisch aufgelegt, Iván Fischer entzaubert ihm Wärme und Leben. Seine Hände singen, schrieb neulich ein überkandidelter Fischerfan auf Facebook. Die Linien, die sie in die Luft zeichnen, als kreisten sie um eine unsichtbare Achse, erinnern ja glatt ans daoistische Taijitu, das Symbol des sehr großen Äußersten; dessen Schwung sich auch bei Kelten, Etrusken, Römern findet. Aber das Orchester bleibt intakt im Takt. Fischers kreisende Hände indes verwandeln sogar die Husterei zwischen Andante und Con Moto Moderato, diesem gesungenen Scherzo, in Musik.
Aber am schönsten ist Fischers Leichtigkeit auch im Gewichtigsten. Auch in Mahlers Lied von der Erde, wo’s vom A nicht in Durfanfarengold hinaufgeht, sondern direkt quartig zurück nach unten stürzt. Erstaunlich, was für eine lichte Textur das Werk unter Fischers Händen hat. Wirklich ein Lied, keine Sinfonie mit obligaten Stimmen. Wenn das immer so klänge wie unter Fischer, hätte Schönberg keine Kammerfassung zu schreiben brauchen. Der Konzertgänger hat die quietschhohe Tenorstimme im Trinklied vom Jammer der Erde schon öfter absaufen hören im Jammerschwall des Orchesters. Hier aber klingt der ganz unquietschige, sehr klar gestaltende Andrew Staples wunderbar durch die zerklüftete Gesamtzerrissenheit der vereinzelten Orchesterstimmen hindurch.
Fischer lässt das Orchester die Sänger auf Händen tragen, oder besser gesagt auf einer Silberbarke. So darf sich die Altstimme der so undivenhaften wie hinreißenden Gerhild Romberger als das entfalten, was sie ist: reines Silberlicht. Im Einsamen im Herbst in der Traumkombination mit Szilvia Pápais Oboe. Und ohne dass das Orchester bei Ich komm zu dir, traute Ruhestätte die Stimme mit sich sentimental hinfortschwallte – nur ein vorausdeutendes, fast dezentes Wellchen von Sehnsucht. Der zartklagend nachschwingende Schluss des Von der Schönheit ist von ätherischster Ästhetik.
Doch gerade weil die ersten fünf Lieder immer auf gewisse Weise verhalten bleiben, wirkt das große Yang des Abschieds hier so abgründig und nachgründig, wie man nur hoffen kann. Keinen Moment reißt der Spannungsbogen, dank Rombergers ergreifender Gestaltung. Und dank wunderbaren Solisten wie dem jungen Flötisten Yubeen Kim. Und eines Orchesterklangs, der seine dunkle Kraft nicht nur im langen Zwischenspiel erschütternd entfaltet. Schon hier blauen licht die Fernen: Wohl aus Alexanderplatzferne schweift eine Polizeisirene über den tiefsten Klanggrund des umflorten Saals. Und noch im Celestafunkeln, in dem Stimme und Welt am Ende leis versinken, erinnert man sich an Mendelssohns strahlendes Sonnenlicht, das (ewig, ewig ist es her) aus dem Einstimmen herausplatzte. Am Ende ein Sterben, das wie Entstimmen ist. Aber im Heimgehen ist das Ohr voller kleiner Motive, die die Welt bedeuten.
Denn haben wir ja beide ein tolles Erlebnis gehabt,. Vorab etwas fast unvorstellbares, 3,5 Std eine fast hustenfreie, total ausverkaufte Lohengrinaufführung, teilweise sogar im letzten Akt Totenstille. Die musikalische war einfach phänomenal, zum Schluss ein paar winzige Schwächen, was den Ovationen aber keinen Abbruch tat. Sogar Fr. Lang mit ihrer ziemlichen Textunverständlichkeit, hatten dafür alle anderen mehr