Zartnagelnd: Mozarts Es-Dur-Sinfonie und Requiem mit Iván Fischer im Konzerthaus

Was spielt man so vor Mozarts Requiem? Beim Musikfest grundierte der teils vergötterte, teils verspötterte Teddy Currentzis es mit einem mystischen Overkill von Hildegard von Bingen bis Ligeti. Iván Fischer hingegen spiegelt und kontrastiert das Mozart-Requiem beim Konzerthausorchester Berlin mit — nun ja, mit Mozart. Eine helle, federnde Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543 gibts vor der Pause. Höchste Lebensfreude, die durch ihre Momente von plötzlicher Eintrübung nur noch größer wird. Und durchs Bewusstsein, was danach kommen wird: Il Requiem.

Mag sein, dass eine langsame Einleitung Seltenheitswert hat in Mozart-Kopfsätzen. Aber der Pfiff ist doch, dass die Adagio-Introduktion so schnell wirkt und die Allegro-Exposition so langsam. Deren lange Notenwerte breitet Fischer mit armlang ausladender Gestik genussvoll aus. Zu Beginn der Einleitung aber ist man erschrocken, wie man den Maestro wieder mal wild in der Luft herumfuchteln und -stochern sieht. Er piekst da was an. Und höre und staune, die Zweiunddreißigstel in den Violinen purzeln prima präzise herunter. Das dirigentische Iván-Fischer-Paradoxon.

Feiner Streicherklang auch im Andante con moto. Die Bläsereinsätze treffen nicht immer hunderteinsprozentig exaktemang, aber wie überaus nett ist das Klarinettduett im Triett vom Menuett. Ohne Fett dieser ganze dritte Satz, schwerelos, obwohl oder gerade weil mit ordentlich Zack auf der Eins. Und die Holzbläser-Eintrübung im flotten Finale präkurriert wieder auf das, was da folgen wird. Ein kleines Präquiem sozusagen.

Nichts scheint Iván Fischer ferner zu liegen, als den Hörer mit dem Requiem d-Moll KV 626 emotional an die Wand zu knallen wie Currentzis mit seiner überdrehten Panikattacke im September. Nichts ferner, als den Hörer zu schrecken oder zu strafen, auch im Dies irae oder der Höllenpartie des Confutatis. Hier wird die Seele subtiler genagelt.

Etwa durch behutsame Umgruppierung. Das Holz sitzt im Herzen: zwei Bassetthörner und zwei Fagotte direkt vor dem Dirigenten, was zu fein ausbalancierter Klangbalance führt. Die vier Sängersolisten sitzen direkt vor dem von Benjamin Bayl einstudierten Kammerchor Vocalconsort Berlin. Das ist, so wie Fischer als Dirigent, ein Chor der leisen Töne, dabei nüchtern und sinnlich zugleich. Allein wie fein er im Introitus auf den beiden e-Vokalen in lux perpetua das ewige Lichtlein entzündet!

Tönt der Chor anfangs des Kyrie nicht sogar zu zart? Andererseits, wann hat man die Posaunenlinie je so klar und deutlich hervorleuchten gehört? Oder die Orchesterlinien im Recordare?

Dem Sohnemann des Konzertgängers gefällt eh das Tuba mirum mit der Soloposaune (Lars Karlin) am besten.

Immer wieder aber entzückt der Chor mit seiner Strukturiertheit (die es in der Konzerthaus-Akustik nicht immer leicht hat), seiner Leichtfüßigkeit, seiner Zartgliedrigkeit und seinen Pianissimi. Selbst das langweilige Sanctus übersteht man so. Ja, wir hören die verdienstvolle Süßmayr-Version. Das Benedictus berührt einmal gerade in seiner Schlichtesse.

Immer wieder denkt man an die Instrumentalfreuden der Es-Dur-Sinfonie zurück. Auch im Angesicht des Todes wird wohl Freude erlaubt sein.

Einwandfrei auch das Solistenquartett, mit Abstrichen beim Tenor Jeremy Ovenden, den es einige Anstrengung zu kosten scheint, sich auf einem Level mit Hanno Müller-Brachmann (Bass), Sophie Harmsen (Alt) und vor allem Lucy Crowe mit ihrem sehr charakteristischen Sopran zu bewegen.

Der Konzertgänger gehört nicht zu den Enthusiasten über die schon seit Monaten von den Dächern gepfiffene und nun verkündete Fischer-Nachfolge Christoph Eschenbach. Aber erstens kann das ja auch eine Gelegenheit sein, liebgewordene Vorurteile zu überprüfen. Und zweitens gibts weiterhin, auch 2018/19, jede Menge Iván Fischer. Das Mozartprogramm nochmal am Samstagabend, im Dezember dann das Italienische Lied von der Erde.

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2 Gedanken zu „Zartnagelnd: Mozarts Es-Dur-Sinfonie und Requiem mit Iván Fischer im Konzerthaus

  1. Die Entscheidung für Eschenbach und die Zustimmung habe ich mich auch gewundert, obwohl ich ja nicht der Konzertgänger bin…
    War ja noch mal ein entspannter Abend, vor dem morgigen Brocken. Die vielen Bilder auf der Website, lassen ja einiges erwarten

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