Hoppelteufelig: Daniil Trifonov spielt Beethoven, Schumann, Prokofjew

Die Phase „jahrelanger Geheimtipp“ hat Daniil Trifonov mit einem großen Hopps übersprungen, er füllt schon mit 27 die Philharmonie bis auf den letzten Platz. Im Grunde sind diese Klavierabende im Großen Saal eine Abwegigkeit – wo doch der Kammermusiksaal schon zu groß ist für Klavier. Trifonovs Programm bewegt sich zwischen irrwitzig und innig, wobei das Irrwitzige deutlich stärker gelingt. Bedenklich stimmt das Publikum, das auf Jubel gebürstet ist wie der Hooligan auf Krawall.

Aber vielleicht will man nur höflich sein. Schließlich ist Trifonov diesjähriger Artist in Residence der Berliner Philharmoniker. Er ähnelt nicht mehr so stark wie früher Rasputin, geschniegelt und gedresst tritt er jetzt herein. Und spielt auf einem Bösendorfer, begrüßenswerte Abkehr vom Steinway-Einheitsklang; wobei der Bösendorfer ja auch nicht gerade eine Sprinze unter den Hochleistungsrindern ist, sondern ebenfalls eins von den Letzteren, absolut Großer-Saal-fähig.

In Ludwig van Beethovens Andante favori F-Dur (1803) klingt das Instrument allerdings zunächst schwerfällig, manchmal fast plumpsig. Dabei summen romantisch gesonnene Hörer bei diesem Thema gern Jo-se-phiiii-ne mit. Das Einfache scheint nicht Trifonovs Sache, fast unbeteiligt wirkt er bei diesem Herzensstück. Das gilt auch für den zaubrig-zaudernden Septakkord-Verminderungs-usw-Beginn der 18. Sonate Es-Dur op. 31/3, den Trifonov direkt anschließt: zauberlos, ohne zu zögern reingespielt. Danach aber hat der etwas dumpfe Bösendorfer-Ton auch seine Vorteile, weil er das Hackspitzige dämpft. Und in die Staccati-Kaskaden passt auch dieses Springteufelige von Trifonov prima, das in der Durchführung dann explodiert. Das wirkt oft wie eben in diesem Moment er- oder gefunden. Zwischendrin trillert Trifonov mit dem Pedal.

Die Es-Dur-Sonate hat keinen richtigen langsamen Satz. Das Scherzo an zweiter Stelle mit seiner irren Motorik wird erwartungsgemäß der Knaller, wie auch das teuflische Gehoppel des Presto con fuoco-Finales. Geile Linke insonderheit. Nicht ganz befriedigend dagegen auch hier das Einfache, selbst wenn es so eine uneigentliche Innigkeit ist wie im dritten Satz, einem Menuetto, das Trifonov sehr ausstellt; grazioso ist es höchstens im sarkastischen Sinn.

Musik, in der der Klang aus dem Moment heraus entsteht, wie aus einer spontanen Idee, scheint Trifonov zu liegen. In Robert Schumanns Bunten Blättern (die der Komponist Spreu nennen wollte!) wirkt auch das Innige überzeugender, etwa in den Nummern 1 und 4. Das Virtuos-Bravouröse wie in Novellette und Präludium sowieso.

Es scheinen nicht alle 14 Nummern der Bunten Blätter gleichermaßen interessant, so der Marsch mit seinem Langweiler-Klimbimbim-Trio. Auch die Crème der öffentlich-rechtlichen Musikjournalisten blättert zwischendurch im Programmheft, um zu kieken, welches bunte Blatt welches ist.

Obwohl es einem nach dieser halben Stunde schon reicht mit Schumann, schiebt Trifonov noch das Presto passionato g-Moll hinterher, das ursprüngliche Finale der 2. Klaviersonate. Und das ist nun mehr als ein weiteres buntes Blatt – ein viel reicheres, schillerndes Gewächs! Enorm gespielt; bloß vielleicht als Appendix der Bunten Blätter unter Wert programmiert.

Pause ist erst nach 80 Minuten. Denn obwohl diese lange erste Hälfte schon als komplettes Konzert durchginge, gibts noch eine zweite. Hier werden Sie was geboten.

Und der zweite Teil ist kürzer und komplett überzeugend. Sergej Prokofjews 8. Sonate B-Dur, entstanden im Zweiten Weltkrieg, ist von wuchtiger Clarté selbst im dröhnenden Rausch. Das eröffnende Andante dolce steigert sich in vollendete Springteufeligkeit hinein. Das folgende Andante sognando führt seine Kantabilität in verhalten virtuose Exerzitien, die Trifonov perfekt gestaltet. Das finale Vivace ist von nur anfangs diskreter Protzigkeit.

Nachdem er das durchkämpft hat, ähnelt Trifonov wieder mehr Rasputin. Das ist sympathisch. Note to self: Wenn man Trifonov mal in der Kneipe trifft, ihn nicht zum Fingerhakeln herausfordern.

Man hört, dass diese Musik eben für so einen modernen Flügel, auch und gerade einen Bösendorfer, geschrieben ist. Und für so einen Pianisten. Das gilt auch für die beiden Zugaben, darunter Rachmaninows Vocalise, bei der der Konzertgänger zuerst denkt, hör an, die könntest du vielleicht mal probieren am Klavier; und die sich dann doch in ziemliches Teufelszeug steigert. Die zweite Zugabe ist ein Arrangement aus dem ersten Satz von Rachmaninows Glocken (danke für den Hinweis an Wendelin Bitzan).

Der zuvor schon hohe Applaus-Level ist am Ende von einer Frenetik, die ans Übergriffige grenzt. Hoffentlich findet der junge (!) Pianist Trifonov einen Weg, um, wenn nicht heraus, so doch zumindest unbeschadet durchzukommen durch den Tastenlöwen-Hype.

Zum Konzert / Mehr über den Autor  /  Zum Anfang des Blogs

4 Gedanken zu „Hoppelteufelig: Daniil Trifonov spielt Beethoven, Schumann, Prokofjew

  1. Es ging mir ähnlich wie Herrn Selge.
    Der erste Beethoven, das Andante, arg dumpf, sowohl im Klang als auch in der Ausführung die Sonate teils besser, v.a. die schnellen Sätze. Trotzdem hätte ich die Sonate lieber von sechs anderen Pianisten gehört – leider alle tot.
    Trifonov kann derzeit tatsächlich kaum still sitzen, hat meist den Hintern vom Hocker abgehoben, „ruht“ auf dem linken Fussballen bzw. den Mittelfussköpfchen, und auf dem rechten Hacken, aus welcher Stütze er dann sein Pedal-Tremolo ausführt, wie beschrieben.
    Wirkt etwa so ruhig wie der Kapellmeister Kreisler in der Zeichnung von ETA Hoffmann.

    Der Schumann um Längen besser, phantastisch z.B. der rauschhafte Nebel in No. 5.
    Versprochen hatte ich mir v. a. etwas von 2. Teil, das wurde ja dann mehr als erfüllt.
    Mit dem letzten Tastenkontakt ist der Zappelphilipp dann mehr von Hocker nach vorne an die Rampe gestürzt als aufgesprungen.
    Und ja – das Publikum schon nach Beethoven auf frenetischen Jubel gestimmt, ich habe in der Nachbarschaft Tränen wischen sehen, und dann das frühe Bravo-Gebrüll.
    Ähnlicher Jubel aber auch kürzlich bei einem arg schwachen Schubert-Abend im Kammermusiksaal (anderer Pianist).

    Warten wir also hoffnungsvoll auf russische Programme von Trifonov.

    Danke für die Hilfestellung zur 2. Zugabe.

  2. Da wär ich gern gewesen.
    Rein aus Interesse: Was ist ein trillerndes Pedal?
    Hm, und die Crème de la Crème fehlte?
    Trifonow scheint Schumann zu lieben. Er spielt es oft. Ich freu mich aber auch auf das Skrijabinkonzert im Juni.

    • Trillerndes Pedal = Raufrunterraufrunter schneller als du kucken kannst. Pianologisch keine konzise Begrifflichkeit.
      Ja, Schumann. Letztes Mal Kinderszenen, die überzeugten mich nicht, er blies zu viel rein. Schwer tat ich mich vor Jahren auch mit seiner Schubert-B-Dur-Sonate, noch in der Deutschlandfunk-Debütreihe. Aber dolle Chopin-Préludes damals! Das ist seins. Skrjabin wird bestimmt großartig.

Schreibe einen Kommentar