Glücklich, wer bei Roger Norringtons über fünf Jahre laufendem Ralph Vaughan Williams-Zyklus von Anfang bis Ende dabei war! Zum Abschluss und als Zugabe zu den Sinfonien dirigiert er beim Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie „Job“ – A Masque for Dancing (1930).
Diese dreiviertelstündige, von Bildern William Blakes inspirierte Hiobs-Musik für Riesenorchester ist eher symphonische Dichtung als Ballett, aber auf jeden Fall ein theatralisches Spektakel und ein Fest für Freunde des romantischen Mischklangs, der auch mal zum Weltkulturerbe erklärt werden sollte. Plakativ (erztonaler Gott versus dissonanter Tritonus-Springteufel), manchmal leicht bescheuert (plötzliches Losfetzen der Orgel wie in einem bizarren Horrorfilm), aber herrlich lustig und schaurig. Auch gut als Orchester-Leistungsschau missbrauchbar, wäre also Berliner-Philharmoniker-tauglich.
Das DSO leistet Großes, im Kollektiv wie solistisch. Das heuchlerisch doloroso-gefühlige Saxophon im Dance of Job’s Comforters zeigt wieder mal, wie bedauerlich es ist, dass der ins Monströse erweiterte Orchesterapparat der Spätromantik ausgerechnet dieses Instrument meist links liegenließ. Und das fragile Solo des Gast-Konzertmeisters Gregory Ahss in Elihu’s Dance of Youth and Beauty macht Lust, mal Vaughan Williams‘ kleines Violinkonzert von 1925 zu hören. Wunderbar, wie am Schluss die Kontrabässe im Unendlichen verklingen.
Roger Norrington, 83, merklich dünner geworden, aber immer noch admirabel gut beisammen und bester Laune, dirigiert vom Drehstuhl auf extrahohem Podest aus. Der perfekte Hiobsbotschafter.
Hier die klassische Einspielung unter Adrian Boult:
Fazit: Gerne jeden siebten Feuervogel durch Job ersetzen.
Und Norrington möge den Vaughan-Williams-Zyklus doch gleich wieder von vorne beginnen. Die ausgelassene Siebte, eine als Sinfonie etikettierte Filmmusik, könnte das DSO vielleicht auch mal als Filmkonzert (wie das Rundfunk-Sinfonieorchester es öfter macht) nachschieben.
Job dirigiert Norrington am Montag nochmal, diesmal mit Erläuterungen als Casual Concert. Das wird sicher großartig.
Der schöne erste Programmteil fehlt dann allerdings: Joseph Haydns Sinfonie Nr. 95 c-Moll Hob. I:95, in der jeder Satz voller Überraschungen steckt, an denen Norrington sicht- und hörbare Freude hat wie ein Kind. Die Bläser stehen paarweise im Halbkreis hinter den Streichern, im Zentrum das Cembalo.
Ein Traum, wenn auch ein Albtraum, ist Benjamin Brittens Nocturne für Tenor, 7 obligate Instrumente und Streichorchester op. 60 von 1958. Die Bläser dürfen jetzt sitzen, keine Paare mehr, dafür Englischhorn und Klarinette dabei, und aus dem Cembalo ist eine Harfe geworden. Zwischen den einzelnen Gedichten treten die obligaten Instrumente einzeln hervor, immer ein anderes, eine simple, aber bestechende Struktur.
Was für eine Interpretation des Tenors! Ian Bostridge und Roger Norrington sind eine außerordentlich skurrile, außerirdisch gute Kombination. Bostridge ist so eins mit jedem lyrischen Ich des Nocturne-Zyklus, dass einem angst und bange wird. Vom Falsett bis zum Urschrei. Wildernesses, deklamiert er im ersten Gedicht, Shelleys Prometheus Unbound: ein kunstvolles Chaos, das einem den Atem verschlägt. Oder er brüllt erst mit Wordsworth den Hörer an Sleep no more!, um ihn gleich darauf mit Wilfred Owen sinister in Ruhe zu wiegen: She sleeps on soft, last breaths.
Wenn Albträume so klingen wie bei Britten: dann heiße sie willkommen, lieber Schlaf, jede Nacht!
Schönes Programm und eine gute Idee, mit Feuervogel zu pausieren und Williams mehr Konzertzeit zu gönnen. Ähnliche Pausierungswünsche beträfen ja auch so manches andere Stück (Daphnis und Chloe z.Bsp oder Brahms‘ 2. oder das unvermeidliche La Valse). Leider wird das nicht passieren. Ich hatte mir das Konzert auch vermerkt, habe mich aber für Reimann und Komische Oper entschieden.
Ja, schwere Entscheidung. Medea habe ich deshalb auf Anfang Juni verschoben, dank Ihrer Kritik weiß ich dann, was mich erwartet.