Hanfholundrig: „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Staatsoper

Cosima Wagner als Biogärtnerin vor der wahnfried-eigenen Hanfzucht

Der ewige Parsifal am Karfreitag ist dem Konzertgänger ein No-go, aber DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am Gründonnerstag sind okay. Evchenfrage: Wie hältst du’s mit Ostern? Da wird nämlich die Produktion der Staatsoper Unter den Linden zum dritten und für diese Saison letzten Mal laufen. Olfaktorische Irritationen indes am Donnerstag: An der Spree duftet schon so mild, so stark und voll der Flieder, im zweiten Aufzug der MEISTERSINGER bekanntlich auch, aber da ist ja Johannisnacht und mithin Ende Juni, in Hans Sachs‘ Flieder-Monolog ist nämlich der Holunder gemeint, wie FAZ-Leser wissen. In der Inszenierung aber an der Oper Unter den Linden (noch so ein Sommergeruch, mit Diesel versetzt) sinniert der Sachs über seiner Hanf-Plantage, die ihm weich die Glieder löst. Gründonnerstagsvision, Marihuanaduft in Gethsemane.

Aber nicht nur der Hanf-Linden-Holunder-Komplex macht einen bei dieser MEISTERSINGER-Regie ein bissl schwindelicht. Denn die Inszenierung von Andrea Moses ist so deutlich auf den seinerzeitigen Premierentermin 3. Oktober bezogen (2015 wars, noch im schönen Schillertheater), dass sie in der Karwoche und auch anderswann fremdelt. Ständig hängt Schwarzrotgold in der Gegend herum und weiß nicht recht, was es will, manchmal wird eine Fahne am Zipfel halbherzig hochgezogen. Überhaupt ist das Ganze eher eine Lose-Blatt-Sammlung von Einfällen zu „Deutschland“. Ein paar hübsche Ideen gibt es, etwa die Werbetafel mit den Handwerkernamen von Beckmesser über Ortel bis Zorn, die hinter dem singenden Meisterkandidaten steht wie hinter dem interviewten Fußballer, oder eben diese Hanfplantage des zu Geld gekommenen Alt-68ers Sachs. Dass sich im schön designten Bühnenbild von Jan Pappelbaum sonst nicht gar zu viele Gedankenblitze entzünden, ist angesichts von viel Holz in Wänden und Bücherregalen brandschutztechnisch sicher besser. Auch manch elegantes Textil gefällt, der Beckmesser etwa sieht im dritten Aufzug aus wie ein goldener Holzwurm, der direkt aus der Wandvertäfelung gekrochen ist (Kostüme Adriana Braga Peretzki).

Bester Flieder wo gibt

Insgesamt aber kommt die Inszenierung kaum über harmloses Veralbern hinaus. Im Gegensatz etwa zu Barrie Koskys krasser Bayreuther Inszenierung wird das hier der Größe der Angelegenheit kaum gerecht: weder der Komik noch dem Grauen der MEISTERSINGER.

Aber was dieser Inszenierung an Charisma fehlt, machen die musikalischen Charismen more than bet.

Daniel Barenboim lässt seinem Workaholism bei den Festtagen der Lindenoper freien Lauf, innerhalb weniger Tage dirigiert er die Wiener Philharmoniker, die Premiere von Prokofjews Verlobung im Kloster, eine Verdi-Sause mit Aida Garifullina (statt Netrebko). Die MEISTERSINGER klingen dennoch, zumindest in der zweiten Aufführung am Donnerstag (wer weiß, wie’s in der ersten war), nicht dazwischengeschoben. Es hat Werf und Schwunk und ist pompös, ohne zu schnaufen. Pointen zünden. Dolle sind die abrupten Übergänge von greller Karikatur und nächtlichem Sentiment im zweiten Akt. Jedes solistische Hervortreten bereitet Freude.

Illegale Lindenzucht

Der Heart-catcher schlechthin ist natürlich die Riege der alten Wagner-Haudegen, die die kleinen Meistersingerrollen singen (neben Sängern wie dem überzeugenden Jürgen Linn als Kothner und aktuellen Ensemble-Mitgliedern wie Arttu Kataja, der über die letzten Jahre einiges Profil gewonnen hat). Olaf Bär ist da mit Anfang 60 noch das Küken. Siegfried Jerusalem, Graham Clark und Reiner Goldberg sind alle Ende 70. Franz Mazura aber wird am Ostermontag 95 Jahre alt (am Samstag gibts ein Porträt im Kulturradio), und wenn sein Hans Schwarz im dritten Akt bei Beckmessers Auftritt konzis-verärgert mümmelt: Verstand man recht?, dann hupft einem freudig die Seele, oder was es ist.

Schön ist auch die Wiederbegegnung mit dem unverwechselbaren Timbre von Matti Salminen, der hier den seltsam skrupulösen Tochterverhökerer Veit Pogner singt. Sein (kurzfristig angesetzter) Auftritt bei der ersten Aufführung soll problematisch gewesen sein, dieser hier ist gelungen, voll Altersglut, und Pogners kleine Szene zu Beginn des zweiten Akts wird durch Salminens Charisma sehr aufgewertet.

Die U60-Riege lässt sich allerdings, zum Glück, nicht die Butter vom Brot nehmen.

Zwar hat der Walther von Stolzing von Burkhard Fritz keinen ganz leichten Stand, nicht nur wegen der ganzen Alt-Stolzings in der Meistersinger-Jury. Am Sonntag war Fritz noch krank und wurde von Klaus Florian Vogt vertreten. Ob Fritz schon wieder ganz auf der Höhe ist? Fritz‘ Tenor hat natürlich nicht das Schwanenritterliche von Vogts Heldensopran, sondern eher etwas Baritonales. Abseits der Höhepunkte wirkt Fritz oft interessanter, nuancenreicher gestaltet als Vogt. Nur strahlt seine Stimme doch wenig und schon gar nicht hindurch und hinüber; im Kuddelmuddel am Ende des ersten Akts geht sie sogar komplett unter.

Holunderblüten-Dealerin (historische Abbildung)

Die Eva ist dem Walther hier ziemlich über. Julia Kleiter lebt mit Leib und Seele den Versuch der Regie, der Rolle das Bravmädchenhafte auszutreiben. Nur am Anfang wirkt das mal zu flattervibratig, zu hektisch. Dann aber ist das keine jungfräuliche Eva mehr – wohl aber eine junge und frauliche. Ja, Kleiter-Evas Wutanfall im zweiten Akt hat fast schon isoldesche Wucht. Katharina Kammerloher ist eine zuverlässige, gar nicht dümmliche Magdalene. Eine Entdeckung ist der David des Südafrikaners Siyabonga Maqungo, deutlich, ausnehmend schön klingend, sehr witzig (es brrrrrummt). Und dass in den so arg deutschtümelnden MEISTERSINGERN heuer eine Person of Color mittut, darüber darf man sich auch freuen; in fünfzig Jahren wird es eh das Normalste der Welt sein.

Die Ear-catcher aber in der insgesamt vorzüglichen Besetzung sind Sachs und Beckmesser. Wolfgang Koch ist wahrlich mehr Poet als Schuhmacher, ein Hans Sachs von einem sanften, aber dennoch raumfüllenden Timbre und einer geradezu sensationell deutlichen Diktion. Könnte man einwenden, dass dem herrlich gesungenen Schusterlied im zweiten Akt das Grobe fehlt? Die Begegnungen mit dem Beckmesser von Martin Gantner sind dennoch, oder gerade deshalb, herrliche Höhepunkte des Abends. Denn auch dieser Beckmesser hat nichts Grobes, er ist eine Figur von traurigem Witz, die hinter der Merkertafel heimlich einen Schluck aus dem Flachmann nimmt. Sein Ständchen im zweiten Akt ist ein Fest der Schattierungen und schrägen Nuancen. Beckmesser ist ja eh der wahre Meistersinger! (Ist Walthers bekifftes Siegerlied am Ende der Oper nach Beckmessers Verhunzung nicht immer eine leicht peinliche Anti-Klimax?) Bevor also auch das Orchester und der gute Chor im Schlusstumult des zweiten Aktes perfekt amalgamieren, wird das Duell von Sachs und Beckmesser zu einer wahren Sternstunde hochkultivierten Wagnerkunstgesangs: die vollkommene Synthese von Holunder, Flieder und Hanf unter den Linden, in der Nacht am Ölberg. Noch ein letztes Mal am Ostersonntag, Karten von 25 bis, hüstelhüstel, 275 Euro.

Kritik der ersten Meistersinger-Aufführung am Palmsonntag bei Schlatz.

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5 Gedanken zu „Hanfholundrig: „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Staatsoper

  1. Ich fand Gantner nicht ganz so hörenswert. Werde nach Ihrem Bericht am Sonntag genau hinhören. Beim David passt einfach alles – irgendwie akzentuiert auch die Statur das Besondere der Rolle, im Gegensatz zu den Lehrbuben-Klonen.

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