Ferndelektierend: Brandenburgische Konzerte mit Akamus im Konzerthaus

„Nimm dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg“

Mit BRANDENBURG verbindet der Bachfreund nicht wie der Rainald-Grebe-Hörer Bisamratten im Freibad und das Autohaus in Schwedt, das Achim Menzel nicht finden kann, sondern bekanntlich sechs außerordentliche Instrumentalkonzerte. Auch wenn die Ortsbezeichnung in die Brandenburgischen Konzerte kam wie Pilatus ins Credo, Bach widmete die fertigen Konzerte von Köthen aus irgendeinem stoffeligen Markgrafen (ergebnislos), und Spitta erfand in seiner Bachbiografie aus den 1870er Jahren den Namen. Wieder mal zu hören waren sie jetzt in (nochmal Grebe) halleluja Berlin, alle wollen dahin.

Vier von sechs Konzerten zumindest, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt von der Akademie für Alte Musik. In den letzten Wochen spielte Akamus viel in Kirchen (ein originelleres Adventsprogramm als das Weihnachtsoratorium gibts nochmal am 14.12. in der Sophienkirche), demnächst ist man bei den Barocktagen der Lindenoper im Einsatz. Bachs Brandenburgische Konzerte hat das Ensemble gerade eingespielt, zum zweiten Mal nach 25 Jahren. Ich habe diese neue Aufnahme neulich ziemlich begeistert gehört, gegen die der BR Klassik-Chef Bernhard Neuhoff hingegen gerade einige musikalische Einwände erhob: pingelig übertaktiert, immerzu EINS zwei drei EINS zwei drei, ergo sinnwidrig und fad.

Empfind ich nicht so arg, überhaupt nicht. Wohl konzertiert das hier eher tänzerisch als sängerisch. Und im ersten Trio des Schlusssatzes vom Konzert Nr. 1 F-Dur, wo einmal die Streicher schweigen und die Holzbläser allein spielen, spürt man schon, dass es atmender und weiter phrasiert klingt. Im 3. Konzert G-Dur ist dann feurigeres Temperament im Raum, was nicht nur am Charakter des Stücks liegt, sondern auch am violinistischen Temperament und Witz und der Beredsamkeit (dieses paarsekündige Adagio!) des jungen Geigers Edi Kotlyar, der hier einmal führt und enorm mitzieht – bei allem Respekt für die verdienten älteren Herrschaften der Akademie, tut auch ganz gut.

Der zurückhaltendere Ton des Konzertmeisters Georg Kallweit kommt dafür innig zur Geltung im Zusammenspiel mit Oboe (Xenia Löffler) und Blockflöte (Christoph Huntgeburth) im langsamen Satz des 2. Konzerts F-Dur, das hier am Ende des Konzerts steht. In den Rahmensätzen tritt die virtuose Trompete von Rupprecht Drees dazu, und so rahmen die Festbläser ihrerseits das ganze Konzert, das mit Hörnern im ersten Concerto begann.

„In Berlin kann man soviel erleben / In Brandenburg soll es wieder Wölfe geben“

Grundsätzliche Probleme sind aus meiner Hörsicht eher räumlicher als interpretatorischer Art: Der Große Saal des Konzerthauses ist nun mal eben das, nämlich (zu) Groß, für diese Musik. Die Kunst von Huntgeburths Traversflöte im 5. Konzert D-Dur ahnt man eher, und auch die bekannte Solokadenz fürs Cembalo (Raphael Alpermann) bewundert man zwangsläufig recht von fern. Die Mischung von Cembalo-Flirren, Traversflötentrillern und Bassfigur im Cello hat zwar dann ihren speziell silbrigen piano-Reiz, aber insgesamt ist das natürlich ein Manko für eine Live-Aufführung. Was mir einen interessanten Artikel von Julian Kämper und Felix Kruis neulich im VAN Magazin in Erinnerung ruft, der für einen offeneren Umgang der Klassik mit ausgefeilter Lautsprechertechnologie argumentierte und eine Neujustierung der Begriffe Manipulation und Authentizität vorschlug. Denn es sei doch absurd, dass

der Klassikliebhaber mit Verweis auf die historisch informierte Aufführungspraxis authentische Instrumente einfordert, sich aber nicht daran stört, diejenige Musik, die einst für Kirchen, Salons oder kleine Bürgersäle komponiert worden ist, in einem modernen 2.000-Personen-Saal anzuhören – und sich dann darüber empört, wenn mit technischen Mitteln die Raumakustik »manipuliert« werden soll. (VAN, 18.8.2021)

Hier wäre in der Tat mit „manipulierter Akustik“ der musikalische Genuss und wohl auch die Authentizität höher, als wenn es mitunter verhallt wie im leeren Brandenburg. Der nächste Akamus-Termin im Konzerthaus findet übrigens im Kleinen Saal statt, der für „historische“ Verhältnisse ja auch schon gar nicht so „klein“ ist.

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