Fegeprügelnd: Markus Hinterhäuser spielt Galina Ustwolskaja

Klavierabend (Symbolbild)

Die Chopin pur-Plakate an Stromkästen und Bauzäunen kennt jeder in Berlin, aber im Pierre-Boulez-Saal gibts Galina Ustwolskaja pur. Ja, für sowas wurde die Bude gebaut! Der Pianist Markus Hinterhäuser spielt an einem Abend etwa ein Sechstel des Gesamtwerks dieser sehr speziellen russischen Pianistin, das dauert eine gute Stunde, danach bluten ihm vermutlich die Hände.

Denn die pianistischen Erfordernisse sind von der Art, dass Klavierspieler, die sich an Ustwolskajas Sonaten machen, erhöhte Beiträge zur Berufsunfähigkeitsversicherung entrichten müssen.

Schon beim Zuhören drohen einem die Finger zu brechen und die Unterarmknochen zu splittern. Sechs Klaviersonaten hat die Komponistin zwischen 1947 und 1988 geschrieben, sie sind ein Monolith innerhalb eines monolithischen Werkes: Nur 25 Werke ließ Ustwolskaja gelten, ein Leben von 87 Jahren für knapp sieben Stunden.

Yefim Bronfman kombinierte Ustwolskajas vierte Sonate im Frühling mit Bartók, Schumann und -bert, Patricia Kopatchinskaja packte eins ihrer Werke zwischen John Dowland und einen gregorianischen Hymnus: sehr sinnig, aber dergestalt auch durchaus bekömmlicher. Hört man mit Markus Hinterhäuser alle sechs Sonaten nacheinander (ohne Pause, wenn schon, denn schon), dann entsteht tatsächlich sowas wie der Eindruck einer Supersonate, wie Wolfgang Stähr schreibt.

Trotz krasser Kontraste etwa in Lautstärken und Tonhöhen wirkt diese Musik nie wie ein Prozess, eher wie ein Zustand. Rhythmus oder Metrum non c’è. Schreitende Viertel, manische Wiederholungen, krasse Cluster. Selbst heftigste Steigerungen wirken karg, niemals rauschhaft. Ein bissl Fegefeuer ist das schon beim Hören, oder Fegeprügel. Wenn es religiös sein sollte, dann ist das düstere, erlösungsfreie Religiosität, ohne brausepulvrig farbenknisternde Apotheosen wie bei Messiaen, dessen spirituelle Musik auf ganz andere Weise auch gewalttätig wirken kann. Nicht fragend und suchend, sondern furchtbar apodiktisch verkündend, man weiß nur nicht was. Was für ein Kontrast zu der spürbaren Wärme in Sofia Gubaidulinas Musik, die ja durchaus auch fegefeurige Passagen kennt!

Andererseits, durch die direkte Aufeinanderfolge der sechs Sonaten spürt man dann doch sowas wie eine Entwicklung, eine Geschichte, ja eine Dramaturgie (Ustwolskaja würde sich bei dem Wort vielleicht im Grab umdrehen). Die ersten vier Sonaten, entstanden zwischen 1947 und 1957, laufen ab wie eine einzige, doch die letzten beiden, dreißig Jahre später geschrieben, ragen sehr wohl heraus. Die sechste ist mit ihrem Unterarmgedonner gewiss die drastischste und brachialste, auch horribile dictu effektvollste. Die fünfte aber dreht sich in vielen kleinen Abschnitten permanent um einen Zentralton – endlich was, woran das struktursuchende Ohrhirn sich festhalten kann! Dass dieser Ton des allerdings (wie Hinterhäuser in einer sympathischen Einführung zu Beginn des Abends vermutet) für Deus stehen sollte, wirkt im Kontext von Ustwolskajas hermetischem und zugleich ungeheimnisselnd offenem Schaffen doch allzu läppisch, geradezu lächerlich. Sie hätte solche Erklärungen wohl auch zurückgewiesen – wie auch diejenige, das apokalyptisch krachende Expressivissimo im Zentrum der fünften Sonate sei als Kreuzigung zu verstehen.

Andererseits, religiösen Benennungen war Ustwolskaja in anderen Werken als den Klaviersonaten nicht abgeneigt: Jesus, Messias, errette uns heißt ein Werk, ein anderes Amen. Was feststeht, ist die Forderung, im Expressivissimo müsse der Anschlag der Knöchel auf den Tasten zu hören sein. Die Haut reiße einem auf dabei, sagt Hinterhäuser. Der Pianist jedenfalls wird nachts stigmatisiert in sein Zimmer heimkehren. Der Hörer auch, irgendwie, selbst wenn er Ustwolskaja mehr mit Ehrfurcht als mit Liebe gehört hat. An seinem heimischen Blüthner würde er dem Pianisten diese Musik aber nicht erlauben! Doch der Steinway im Boulezsaal verkraftet derartige Geißelungen. Der ist halt auch für sowas gebaut, würde der Blüthnerianer sagen.

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3 Gedanken zu „Fegeprügelnd: Markus Hinterhäuser spielt Galina Ustwolskaja

  1. Es war bitter, auf diesen Abend verzichten zu müssen, ist es immer noch, umso mehr da ich Ihren Bericht lese. Sehr schön beschrieben, es formt sich beim Lesen doch eine Vorstellung von den sechs Werken. Es ist merkwürdig, dass sowohl Ustwolskaja wie auch Gubaidulina deutlich religiös inspirierte Musik schrieben, zumal die Lehrergeneration (Schostakowitsch) anti-religiös geprägt war. Ich habe mich dann für Gubaidulina 400 Meter weiter westlich entschieden. Ich sehe gerade, dass ich die 3. Sinfonie 2016 beim Musikfest mit Gergiew gehört hab.

    • An die Ustwolskaja-Aufführung mit Gergiev erinnere ich mich noch gut, die 3. Sinfonie, und danach Schostakowitschs 4.
      Ja, die Religiosität der sowjetischen Komponisten, sehr interessant. Alfred Schnittke, Arvo Pärt usw., die sind ja auch alle irgendwie so geprägt, auch wenn es bei jedem ganz anders klingt…

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