Feenbärtig: KHO, Fischer, Schiff kündigen die Wiener an

Brahms (links) und Schubert (rechts)?

Konzert mit Verwien-Aroma™: Sind, adventlich metaphert, die Wiener Philharmoniker in der ihnen gewidmeten Hommage im Berliner Konzerthaus das Christkind, so ist das gastgebende Konzerthausorchester das Johannestäuferlein, mit Iván Fischer als Zacharias und András Schiff als Elisabeth (vgl. Lukas Kapitel 1). Lediglich auf dem Papier droht dem Eröffnungsprogramm der Wiener-Hommage bedenkliche Schieflage, weil im ersten Teil einmal Fettiges und einmal Gewichtiges sitzt, im zweiten Teil dann jugendlich Schwungvolles. Aber Dirigent Iván Fischer wuppt alles ins Gleichgewicht.

Dabei ist es rein äußerlich der alttestamentliche Standard-Ablauf Ouvertüre (Strauss), Solokonzert (Brahms), Sinfonie (Schubert). Am Anfang plustert sich Richard Strauss‘ Fanfare für die Wiener Philharmoniker von 1924 auf, pieknobel gepustet, aber man darf gar nicht dran denken, was Janácek etwa gleichzeitig zu Beginn seiner Sinfonietta aus so einer (freilich anders gemischten) gewaltigen Überdosis Blech gemacht hat. 22 Bläser hier, dazu zwei Pauken; eine einzige Frau darunter, Quote wie in einem DAX-Vorstand.

Doch dieser pompöse Auftakt-Gag ist in Johannes Brahms‘ 2. Klavierkonzert B-Dur sofort vergessen. Schon das einleitende Hornsolo (Dmitry Babanov) verbreitet mehr Bläserfreude als die ganze Straussfanfare. András Schiff, der diese Saison die Residence im Konzerthaus höchstkarätig besetzt, spielt das Konzert am Steinway, ganz ohne Brahmspranke des Schreckens. Sein Zusammenwirken mit dem Dirigat von Iván Fischer ist in jeder Hinsicht kon: kontänzerisch, konluftig, konwitzig – kurz, kongenial. Große Spiralkraft, wenns sonnwärts geht; erdwärts stets gefedert. Dank der fischer-schiffschen Klarität ist die Helligkeit von Brahms‘ zweitem Klavierkonzert hier endlich mal mehr als nur Behauptung.

In seinen Spielpausen dreht sich Schiff auf die kurze Seite des Klavierhockers und schaut das gut aufgelegte Orchester an, fast als pfiffe er mit. Der zweite Satz beginnt so leichtfüßig, als pfiffe er weiter und weiter und das Orchester mit ihm – aber nicht auf die Musik (immerhin ein Allegro appassionato), sondern aus purer Freude an ihr. Nullerlei Poltern auch in den dynamischen Exaltationen: im brahmsschen Großbart ist heute immer was Feenhaftes. Brahms der Frauschrittliche. Ganz folgerichtig, dass der Feentanz im Finale vollends ausbricht. Ungarische Feen sind das natürlich, mit einer Prise Jazzwalzer, trotz 2/4-Takt. Die witzigen Pendeldialoge zwischen Klavier und prima Holzbläsern gelingen bestens.

Und dennoch, das ist das Wunder, sind auch alle brahmsschen Tief- und Abgründe da, zumal in den ersten beiden Sätzen. Der bestrickende dritte Satz dann ein Andante-Tagtraum, der einen hier eher schweben lässt als dass man darin versänke. Solo-Cello Friedemann Ludwig.

Das Musizieren von Iván Fischer und András Schiff hat nichts Weihevolles an sich, dafür viel Würde, es wirkt menschenfreundlich und liebevoll, durchdacht und empfunden. Schiffs Zugabe ist Brahms‘ A-Dur-Intermezzo opus 118, Nr. 2, das Andante teneramente klingt bei ihm allegretto-beschwingt.

Und nach diesem feenhaften Koloss ein kükiges Jugendwerk von Franz Schubert? Aber seien wir ehrlich, solche Jugendwerke wie Schubert mit neunzehn wird unsereiner auch mit neunzig nicht komponieren. Das Konzerthausorchester klingt bei der 4. Sinfonie c-Moll D417 bestechend, eine Interpretation mit Schwung, Genauigkeit und pochendem Herzen. Besonders schön ist die elegante Wehmut des Andantes; jedoch, von vorn bis hinten ist das eine lustvoll musikantische Tragische. Die drei finsteren Schläge am Schluss wirken fast wie ein Schelmenstreich. Was für ein Gegensatz zum vollreifen Strauss-Ei.

Das schöne Konzert gibts am Sonntagnachmittag nochmal. Die Wiener Philharmoniker themselves kommen dann am Dienstag mit Muti und am Freitag mit Welser-Möst: erst Wolfgang Amadeus Bruckner, dann Brahms & Brahms. Dazu wird in kleineren Formaten gestrichen, geschrammelt, geringstraßt und gewalzt, etc pp, hier das ganze Programm.

Weitere Kritik: Der scharfohrige Sascha Krieger hat (fast) alles genau andersherum gehört.

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Ein Gedanke zu „Feenbärtig: KHO, Fischer, Schiff kündigen die Wiener an

  1. Habe vor etlichen Jahren den Beethovenzyklus von Schiff im Kammermusiksaal fast vollständig gehört und mir hat es nicht richtig gefallen. Seitdem meide ich Schiff, aber vielleicht solle ich es mal wieder probieren, vor allem, wenn er jetzt im Konzerthaus öfters auftritt. Am besten gefiel mir damals op. 7 und eine aus op. 2, erinnere ich mich jetzt, was ja schon was heißt.

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