Düstrentagshoffend: „Rheingold auf dem Parkdeck“ der Deutschen Oper

Wagner-Wahnsinn kündigt ein Plakat an der Beton-Mauer des Parkhauses hinter der Deutschen Oper Berlin immer noch an, und um die Ecke wird Entdeckerkurs verheißen. Um Rued Langgaards raren Antikrist aus den 1920er Jahren, der im März ohne Corona hier Premiere gefeiert hätte, kanns einem besonders leidtun. Und auch auf das neue Rheingold, das es als Höhepunkt der Wagner-Wochen und Beginn des neuen Ring-Zyklus im Juni hätte geben sollen, war man gespannt. Eine eingeschmolzene Fassung also nun. Unter strikten Bedingungen im Parkhaus der Oper – eher Lebenszeichen als Geniestreich, aber ein wohltuendes, für manche sogar lebensnotwendiges.

2014 war der brutalistische Betonhof des Parkhauses der kongeniale Aufführungsort für Iannis Xenakis‘ archao-avantgardistische Oresteia, harsche Zukunftsmusik auf Altgriechisch. Für das reduzierte Rheingold fühlt es sich schon eher wie Notlösung an, denn diese Fassung mit 110 statt 150 Minuten, 12 statt 14 Sängern und lediglich 22 Instrumentalisten wurde ja nicht für Freiluft-Aufführungen geschaffen. Im Gegenteil, der Zweck der Kompaktversion des Komponisten Jonathan Dove und des Regisseurs Graham Vick für die Birmingham Opera Company bestand ja gerade darin, den Ring des Nibelungen auch für kleinere Häuser und Tourneen wuppbar zu machen. Seine Orestie hatte Xenakis dagegen für einen nordamerikanischen Supermarkt-Parkplatz konzipiert …

Aber darum gehts ja nicht. Es geht um einen Abglanz des Rheingolds für Opernfreunde auf Entzug, auch wenn es nach Katzen- oder Spreegold funkeln sollte, das ist uns heute Abend ganz egal. Linde Lüfte laben die Lungen, ätzende Ärosole äntfernen sich eiländs, linksaußen sitzt man auf den Frauenparkplätzen, überall mit Abstand natürlich, und die ausgehausten Saaldiener tragen Mundschutz und blaue Gummihandschuhe. Das alles ist ja schon endzeitlich-bizarre Inszenierung genug. Insofern muss man die Einfälle des Spielleiters Neil Barry Moss nicht unbedingt dürftig nennen, sondern könnte sie auch als ehrlich bezeichnen. Es ist ja alles eilig dahergestemmt, um uns endlich wieder zusammenzuführen. Kostüme wie Glitzerfummel und goldene Steppjacke der Rheintöchter stammen gewiss aus der schlimmsten 80er-Jahre-Giftkammer des Deutsche-Oper-Fundus, inszenatorisch ist das mittleres Schülertheater, aber die entscheidenden Momente sind hier ja ganz andere: etwa wenn die Rheintöchter am Ende beim Einzug der Götter nach Walhall aus dem Fenster im ersten Stock klagen und flehen, vor dessen ekligen Taubenstacheln sie nur ein hastig hindrapiertes schwarzes Tuch schützt.

Aber verschweigen wir es nicht, konzertant wäre auch okay gewesen…

Die Kürzungen dagegen sind ganz sinnvoll, die Länge passt hier so, wie sie ist. Den Wagneristen schmerzt sicherlich der eine oder andere Bruch, und der Verzicht auf Mime tut stärker weh als der auf Froh. Aber es geht dadurch so flott voran, wie Nicht-Wagneristen es sich wohl auch bei den Originalen manchmal wünschten.

Das vom Chef Donald Runnicles dirigierte kleine Orchester, hier erhöht hinter den Sängern, klingt natürlich ziemlich vom Winde verweht. Natur- bzw betongemäß kommen Basstuba und Posaune besser zur Geltung als die sehr vereinzelten hohen Streicher, die eher mal so durch die Lücken lugen, bis die Klinze verklemmt. Generell sind natürlich die Proportionen in Richtung der Bläser verschoben. Plötzlich hört man eine Flöte so exponiert, wie man nie gedacht hätte. Die wagnerische Dimension des Orchesters als Erzähler aber ist natürlich extrem reduziert unter diesen Umständen. Doch es wird zu einem Erzähler der anderen Art, dieses Orchester, einem gebrochenen, der uns von vergangenem Opernglück erzählt und von neuem, auf das wir hoffen und harren.

Mehr als erwartet hat man, sogar in Reihe 13, von den Sängern. Es ist weitgehend die Besetzung, die man in Stefan Herheims richtiger Rheingold-Premiere am 12. Juni gehabt hätte: komplett aus dem Ensemble besetzt und doch überwiegend ziemlich verheißungsvoll. Derek Welton ist ein ganz guter, wenn auch etwas steifer und nicht zu aufregender Wotan. Es gibt ansonsten ein paar Abstriche, aber zwei Sänger sind unbedingt hervorzuheben: Philipp Jekal als zwar nicht dämonischer, aber in Emotion wie Diktion ungeheuer genauer Alberich (wie überhaupt die Textverständlichkeit bei den meisten Beteiligten sehr hoch ist). Und Thomas Blondelles Loge ist hinterlistig, witzig, akkurat ohne Klamauk.

Unter den Rheintöchtern ist außerdem Elena Tsallagovas feiner Sopran besonders beglückend. Sein Kontrapunkt sind die Mauersegler, die am offenen Himmel das Walhall-Motiv umzwitschern. Nur gelegentlich verdröhnt der ewige Hubschrauber-Verkehr über Berlin das Geschehen. Ein düstrer Tag dämmert den Göttern, verheißt Judit Kutasis etwas flattrige Erda, während der sehr schöne Junitag sich langsam in die blaue Stunde abschattet. Ach, möge er!

Zum „Rheingold auf dem Parkdeck“ (es war ratzfatz ausverkauft, aber für die letzten drei Aufführungen gibt es aktuell wieder einzelne Karten)

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5 Gedanken zu „Düstrentagshoffend: „Rheingold auf dem Parkdeck“ der Deutschen Oper

  1. Lieber Herr Selge,

    auch ich danke Ihnen sehr für Ihre Besprechung jenes leider vor allem hinsichtlich des erzwungenen „Settings“ so außergewöhnlichen Rheingolds!

    Ich habe es nicht gehört, weil ich keine Karte mehr bekommen habe. Und auch jetzt sind alle Karten wieder ausverkauft (ebenso für die August-Aufführungen).
    Ich fürchte, das wird auch beim Vorverkaufsstart der DO für September mein Schicksal sein: keine von den wenigen Karten zu erhaschen.

    Doch mir geht es da gleichzeitig auch wie Herrn Schlatz: Ich weiß nicht, ob das überhaupt etwas für mich wäre.
    Ein Not-Musik-Programm (zum Beispiel: Statt meiner persönlichen 4 Verdi-Premieren, die – mitsamt der bereits für 2020/21 erfolgten Abo-Ordre – gebucht waren, nun im Corona-September also eine „Verdi-Gala“ ~ sorry, liebe DO, aber „Gala“ gibt’s im Fernsehen und am Zeitschriftenkiosk …) unter den Bedingungen von interstellarer Leere und Maskenkurzatmigkeit im Publikum.

    Doch da ich wohl keine Karte ergattern werde, werde ich nie erfahren, ob das (keine Karte zu ergattern) vielleicht nicht ganz gut war.

    Beste Grüße aus dem Witwesk
    von Corinna Laude

    PS: Wie machen Sie, lieber Herr Selge (und Herr Schlatz und all die anderen Aficionados der klassischen Musik), das jetzt so lang schon ohne leibhaftige Musik-Aufführungen?
    – Okay, Sie haben kürzlich wieder zwei Konzerte besucht, mit Maskenschnauf und Abstandshalt. Aber auch Sie haben zuvor monatelang ohne ausgehalten. Wie?
    Ich bin nur ein Kretin und Newbie in Sachen Klassik-Konzert und Oper, doch mir fehlen die beiden nunmehr bitterlich, bitterlich, bitterlich, und es wird schlimmer, weil ich allmählich befürchte, dass das, was da nun vielleicht strukturell zerstört wird, niemals wieder aufgebaut werden kann.
    (Ich habe die strukturelle Zerstörung einer germanistischen Fachbibliothek an einer Universität erleben müssen: die ging einfach kaputt, weil eine Teilzeitprofessorin [den anderen Teil verbrachte die in einem An-Institut, damals hieß es ZfL] die Germanistik dem geisteswissenschaftshungrigen Rektorat zum Fraß vorwarf. Seither weiß ich: Merke, wenn eine Bibliothek nicht gepflegt wird, geht sie kaputt.
    Sind nicht auch Opern- und Konzerthäuser Bibliotheken?)

    • Ein paar mehr Konzerte als zwei waren es in letzter Zeit schon, hab aber nicht über alle geschrieben … aber Sie haben Recht mit dem monatelangen Entzug, und auch, was das musikalisch Notdürftige etwa des Park-Rheingolds angeht.
      Eigenes Klavierüben hat mir mehr über die fehlenden Konzerte hinweggeholfen als Aufnahmen hören.
      Was die Regeneration der kulturellen Strukturen angeht, wenn der ganze Mist mal vorbei und dieses Virus kontrollierbar ist, bin ich etwas zuversichtlicher. Ich glaube, fast alles wird dann wieder wie vorher sein – freilich auch im Schlimmen, z.B. was die Zustände in der Billigfleisch-Industrie angeht, über die wir uns gerade empören. Wird bald wieder vergessen sein. Und der Kulturbetrieb wird wieder laufen, als wär nichts gewesen, das ist in vieler Hinsicht auch schön. Allerdings ist die Frage, wie viele Künstler wirtschaftlich bis dahin irreversibel unter die Räder gekommen werden sein. Das wird die Opern-Ensembles eher weniger betreffen, aber die „freien“ Künstler, die prekären, die Nicht-Stars.
      Im Betrieb wird von dieser Malaise aber nicht viel zu spüren sein…

  2. Schön, dass Sie berichten. Dieses Ersatz-Rheingold scheint ja ungeachtet aller Widrigkeiten gelungen zu sein. Daumen hoch für die DO, die so schnell reagiert hat. Weiß nur nicht, ob das was für mich ist. Auch die nun für Herbst angekündigten Vorstellungen – so wie’s aussieht mit weit im Saal verteilten Zuhörern – werden mich aller Voraussicht nach noch nicht in die Oper oder auch ins Konzert locken. Leider ist es – vermutlich auf der ganzen Welt – so, dass Fluglinien und Schlachtbetriebe, jeweils im maximal möglichen Betrieb, munter weitermachen dürfen, Theater aber werden zum Schmalspurbetrieb verdonnert.

    • Es ist toll, dass sie es gemacht haben, aber man muss natürlich ein bisschen Ohren zudrücken, und wahrscheinlich wäre konzertantes Nullszenisch statt „halbszenisch“ überzeugender gewesen. Ich verstehe Ihre Zurückhaltung ganz gut. Für viele Besucher, auch mich, lag der Reiz vor allem darin, mal wieder mit dem Opernhaus und einigen Künstlern in Berührung zu treten. Nicht im reinen Kunsterlebnis…

      • Vielleicht kommt auch alles ganz anders. Meine Frau sagt jetzt, einmal in 90 Minuten durch Aida hören, da will sie hin. Also vermutlich höre ich mir die Stikhina an, die vor 2 oder 3 Jahren eine vorzügliche Äthiopierin war.

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